Serie "Gestalten!"

Jetzt geht's an den Kragen

05:37 Minuten
Eine Frau legt den Kopf zur Seite, sie trägt einen gehäkelten Kragen
Kragen wie diese entstehen in der Neuköllner Manufaktur Rita in Palma © Myriam Lutz
Von Marietta Schwarz · 15.01.2019
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Einst trugen Adlige so große Kragen, dass längeres Essbesteck hergestellt werden musste. Heute sind Kragen bis auf den Button Down, Roll- oder Polokragen weitgehend verschwunden. Eine Richterin in den USA und ein Modegeschäft aus Neukölln könnten das ändern.
Sicher ist Ihnen bei dem Wort "Kragen" auch sofort aufgefallen, dass Sie schon lange keinen Spitzenkragen mehr getragen haben. Oder einen Kragen, den man sich umlegt – auf die nackte Haut oder auf die Kleidung, so wie Ruth Bader Ginsburg das tut, die Richterin am Supreme Court der USA. "Notorious RBG", wie ihre Fans sie nennen, hat eine ganze Kleiderstange voller Kragen, die sie im Gericht, auf ihrer Robe, trägt. Und zwar bestimmte Kragen zu bestimmten Anlässen.
Ruth Bader Ginsburg trägt über ihre schwarze Robe eine weißen geflochtenen Kragen, sie schaut ernst in die Kamera
Bekannt für ihre Kragen: die Richterin am Obersten Gerichtshof der USA, Ruth Bader Ginsburg© Prod.DB/Imago
Wenn sie Mehrheitsbeschlüsse verkündet, zieht sie einen beigen Häkelkragen an, der mit Perlmuttringen und hellgelben Perlchen besetzt ist. Eine goldene Kette fasst das Stück am Hals zusammen. Möchte sie sich hingegen öffentlich von der Mehrheitsmeinung im Supreme Court distanzieren, trägt sie einen schwarzen, mit edlen Steinen besetzten Stoffkragen.
Ein ikonografisches Stück, das es in den USA inzwischen auch auf Kaffeetassen, Broschen und T-Shirts geschafft hat – sicher auch, weil Ginsburg einen Tag nach der Wahl Donald Trumps damit auftrat. "So breite Krägen umrahmen das Gesicht, den Kopf. Das ist in gewisser Weise eine Ikonisierung, die stattfindet", sagt Kunsthistorikerin Uta-Christiane Bergemann von der Ruhr-Universität Bochum. Sie ist spezialisiert auf Stickereien. Aber Kragen können natürlich auch geklöppelt, gehäkelt oder genäht sein.
"Ich finde es sehr interessant, weil sie tatsächlich das Statement macht für uns heute", sagt Bergmann. "Seit dem 20. Jahrhundert ist der Spitzenkragen ein weibliches Accessoire, ein Symbol der Weiblichkeit." Wenn man es denn noch sieht. Denn vom Kragen als Schmuckelement, Statement, das es früher übrigens auch für Männer war, ist nicht viel geblieben: Rollkragen, Polokragen, Haifischkragen, Button Down. Ok, und dann halt noch Ronja von Rönne mit ihrem Bubikragen.
Ronja von Rönne schaut freundlich, sie trägt ein schwarzes Oberteil mit einem weißen Bubikragen
Trägt oft einen Bubikragen: Die Schriftstellerin Ronja von Rönne © Frank Pusch/dpa
Das war’s dann aber auch. Schaut man sich alte Ölschinken an, ging da wesentlich mehr, liebe Ronja. Bis hin zur Erscheinung der sogenannten Mühlsteinkrausen, die teilweise so dekadente Ausmaße annahmen, dass Besteck verlängert werden musste, um das Essen zum Mund führen zu können. "Die waren so international beliebt und exklusives Recht des Adels, dass 1623 die spanische Regierung sogar diese Krägen per Dekret verbot, dass diesem Ausgabenwahnsinn Einhalt geboten wurde."
Je mehr historische Kragen-Bilder ich mir anschaue, desto mehr reift in mir der Gedanke, dass uns da doch etwas abhanden gekommen ist, das wir mal wieder auspacken könnten. Richtig tolle Krägen! Beim Googlen nach Spitze und Fashion stoße ich aber leider nur auf Dessous. Bis mich jemand auf eine Manufaktur in Berlin Neukölln aufmerksam macht, die Rita in Palma heißt.
Bei Rita in Palma gibt es genau das, was ich nur noch von alten Abbildungen kenne: Vom gehäkelten Fünfzigerjahre-Bubikragen bis zum mit klitzekleinen Swarowski-Steinen besetzten Collier, möchte ich fast schon sagen. Die Migrantinnen, die das aus feinstem Garn herstellen, sitzen im Verkaufsraum bei der Arbeit.
Eine Frau trägt ein schulter freies T-Shirt und darüber einen kunstvollen Kragen, der ihr fast bis zum Kinn reicht.
Dieser Kragen wurde in der Manufaktur Rita in Palma hergestellt© Myriam Lutz
"Ich wusste, dass in der Türkei noch ganz feine Couture-Spitzen mit der Hand hergestellt werden. Und dachte, Mensch das wäre doch ne tolle Geschäftsidee! Bei den vielen tollen Türkinnen, die wir hier haben, mal zu gucken, was die so können und gemeinsam mit denen ein Unternehmen aufzubauen. Und das machen wir ja jetzt auch", sagt Ann-Kathrin Carstensen, die das Label gegründet hat und selbst aus einem eher spitzenkragenfeindlichen 68er-Elternhaus stammt.
"Da war das total verpönt, also alles." Genau. Andererseits: Es ist auch total sexy. "Und da geht es wie in der Menschheits-Kunstgeschichte seit jeher um diese Diskrepanz zwischen der Heiligen und der Hure.", sagt Carstensen. Womit wir wieder beim Kragen als Statement wären. Ann-Kathrin Carstensen jedenfalls möchte Ruth Bader Ginsburg so schnell wie möglich auch einen Spitzenkragen schicken. Die kann sich freuen! Und Sie? Wie gehen Sie morgen aus dem Haus?
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