Serbien EU-Außenstelle für Flüchtlinge?

Das Dealen mit Menschen

23:58 Minuten
Afghanische Mädchen im Flüchtlingscamp Principovac an der serbisch-kroatischen Grenze in Serbien
Afghanische Mädchen im Flüchtlingscamp Principovac an der serbisch-kroatischen Grenze. © Deutschlandradio / Sabine Adler
Von Sabine Adler · 22.08.2018
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Rund 7000 Geflüchtete warten in Serbien auf die Weiterreise. Sie könnten dort Asylanträge für die EU stellen, schlagen Staaten wie Österreich vor. EU-Sammelzentren in Serbien? – Das sei nicht gut fürs Land, meinen dortige Oppositionspolitiker.
"Die EU schaut nicht hin, wenn unsere autoritäre Regierung die Menschenrechte verletzt. Wenn Brüssel es wichtiger findet, stattdessen hier in Serbien Flüchtlingszentren zu bauen, dann fragen sich die Leute, wo die demokratischen Werte der EU geblieben sind."
Der junge Oppositionspolitiker Konstantin Samofalov von den Sozialdemokraten geht davon aus, dass die serbische Regierung mit der EU gerade verhandelt. Demokratischen Defizite könnte künftig eine geringere Rolle spielen, der Beitrittsprozess mit der EU beschleunigt werden. Als Gegenleistung sind Außenstellen der EU für Flüchtlinge in der Diskussion. Schon jetzt ist Serbien längst nicht mehr nur Durchgangsland.

Iraner können visafrei nach Serbien kommen

Am alten Bahnhof von Belgrad liegt der Afghani-Park. Afghani-Park nennen ihn die Hauptstädter, weil hier nicht nur die Einheimischen ihre Hunde Gassi führen und sich die Studenten der Wirtschaftsfakultät auf den Bänken sonnen, sondern weil man hier an jeder Ecke Paschtu hört. Flüchtlinge bevölkern den Park zu jeder Tages- und Nachtzeit, hier ist Nachrichtenbörse, hier finden Schlepper ihre Kunden.
Ebrahim Bagherikaj und seine Cousine Zarah Mohammadirad aus dem Iran sitzen im Erstaufnahmezentrum in Belgrad.
Ebrahim Bagherikaj und seine Cousine Zarah Mohammadirad aus dem Iran im Erstaufnahmezentrum in Belgrad.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Die meisten stammen aus Afghanistan, Pakistan. Immer mehr kommen aus dem Iran, weil das Mullah-Regime in Teheran und Serbien den visafreien Tourismus vereinbart haben. Niemand stört sich an den Dösenden auf den Wiesen. Die Flüchtlinge seien ja bald wieder weg.
In Sichtweite liegt das Erstaufnahmezentrum, wo die Handys aufgeladen werden können, es Toiletten gibt, die Angekommenen erfahren, wie es für sie weitergeht. Den meisten ist nicht klar, dass sie für Monate, ja, Jahre in Serbien festsitzen werden.

Opposition: In Serbien keine Lager errichten für die EU

"Hussein Jaffa, 38 Jahre alt, startete in Pakistan und kam über den Iran, die Türkei, Griechenland und Mazedonien schließlich nach Serbien. Der Zweite, mit Namen Sukedai, 23 Jahre alt, noch ohne Familie, Klempner von Beruf, gelangte über Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Belgrad. Er will in Österreich arbeiten, sein älterer Landsmann in Italien."
Die beiden Pakistaner würden als Wirtschaftsflüchtlinge vermutlich aus einem EU-Außenlager in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Dass eines dieser Sammelzentren an der Außengrenze zur Union in Serbien entsteht, ist noch nicht ausgemacht. Dragan Marsicanin von der oppositionellen Demokratischen Partei, die schon zwei Mal mit Boris Tadic den Präsidenten stellte, ist strikt dagegen:
"Solange die Flüchtlinge hier sind, müssen wir uns um sie kümmern. Aber es ist nicht an uns, ihnen zu sagen, in welche Richtung sie Serbien verlassen sollen, über die ungarische, die kroatische oder bosnische Grenze. Was wir auf keinen Fall akzeptieren können, ist, dass wir in Serbien Lager errichten, in denen geklärt wird, welche Flüchtlinge für die EU infrage kommen."
Konstantin Samofalov von der sozialdemokratischen Oppositionspartei verweist auf das Zögern der Regierung:
"Im Moment würde ich bezweifeln, dass die Regierung überhaupt eine politische Vision und Position zur Migration hat. Ihr geht es nur um einen politischen Vorteil. Deswegen dealt sie mit der EU. Brüssel sollte unserem autoritären Staatschef keinerlei Anreize bieten oder ihn für solche Zentren in Serbien belohnen. Wir befürchten, dass die EU als Gegenleistung dann vor den demokratischen Defiziten die Augen verschließen müsste in den nächsten fünf oder zehn Jahren."

Nur zwölf Asylbewerber in diesem Jahr anerkannt

Der konservative Oppositionspolitiker Marsicanin, ein älterer Herr, ehemaliger Botschafter, ist aus ganz grundsätzlichen Erwägungen dagegen, der EU in der Migrationspolitik zu helfen.
"Um diese Krise zu lösen, braucht es nicht Serbien, wir sind nicht wichtig. Die Krise kann nur von denen beendet werden, die daran schuld sind, also die EU und vor allem aber die USA. Sie müssen diese Probleme lösen und die Migranten bei sich unterbringen."
Mit einer derartigen Verweigerungshaltung ist auch den in Serbien gestrandeten Flüchtlingen nicht geholfen. Seitdem Ungarn und Kroatien die Grenzen geschlossen haben und dort auch vor Gewalt gegen illegal Einreisende nicht zurückschrecken, sitzen rund 7000 Personen in Serbien fest. Asylanträge haben kaum Aussicht auf Erfolg, nur zwölf Bewerber wurden in diesem Jahr anerkannt.
Der Präsident der europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic bei einer Pressekonferenz in Belgrad.
Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker (links), mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic in Belgrad 2018.© imago stock&people
Die Serben sind freundlich zu den Migranten, aber nur, weil sie annehmen, dass sie das Land schnell wieder verlassen, wie zu Zeiten der offenen Balkanroute, sagt Vladimir Pejic vom Umfrageinstitut Faktor 4.
"Wenn von Sympathie und Mitleid für die Flüchtlinge die Rede ist, spielt dabei immer auch die eigene Kriegserfahrung und die Erinnerung an das NATO-Bombardement 1999 eine Rolle. Aus Serbien selbst mussten die Menschen zwar nicht fliehen, aber wir sahen uns als Opfer an und können nachvollziehen, wie sich die heutigen Flüchtlinge fühlen. Wir gehen immer noch von Serbien als Transitland aus, und weil es keine offizielle Anfrage der EU gibt, die Lager zu errichten, gibt es auch keine Antwort, nicht mal ein Nein. Doch sobald uns Brüssel um die Lager bittet, wird die Stimmung komplett umschlagen. Ich bin überzeugt davon, dass Serbien eine solche Forderung nicht akzeptieren wird."
Dem serbischen Präsidenten Aleksander Vucic wird ein Deal mit Brüssel zugetraut, sollte er aber mit dem Preis unzufrieden sein, könnte er schnell mobil machen. Er könnte Stimmung gegen die EU machen, der er eigentlich bisher gewogen scheint. Ernsthafte Verhandlungen über EU-Außenlager für Flüchtlinge in Serbien gibt es aber noch nicht, die Menschen hoffen weiterhin, irgendwie die Grenzen überschreiten zu können.

Mit Hunden und Pistolen gegen Geflüchtete

Im Moment warten im serbischen Subotica an der Außengrenze der EU 58 Flüchtlinge. Vor zwei Jahren, als Ungarn die Grenzen ganz und gar schloss, saßen 500 Personen hier im serbischen Sumpfland fest. Hastig wurden Zelte und Wohncontainer aufgestellt.
Afghanische Flüchtlingsfrau im Transitzentrum an der serbisch-ungarischen Grenze in Subotica.
Afghanin im Transitzentrum an der serbisch-ungarischen Grenze in Subotica.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Damals wie heute verlässt beim Warten auf die Ausreise viele die Geduld. Sie versuchen es auf eigene Faust, nach Ungarn und von dort weiter in die EU zu gelangen, Tag für Tag, bestätigt Aleksander Palalic, der Schichtleiter des Camps: "Es kommt darauf an: Fünf, zehn oder 15 versuchen es jeden Tag. Die Polizei nimmt sie fest und schickt sie zurück."
So harmlos laufen die Festnahmen fast nie ab. Der Beamte in Subotica unterschlägt die Brutalität, mit der die Menschen an der Außengrenze zur EU gestoppt werden, sowohl von der ungarischen als auch der kroatischen Grenzpolizei. Seine Kollegin Nevena Brajovic arbeitet im Transitzentrum in Principovac. Das liegt weiter westlich an der serbisch-kroatischen Grenze. Sie ist von den Methoden der Grenzer schockiert und benennt sie deutlich.
"Sie halten den Flüchtlingen ungeladene Pistolen an den Kopf, um sie einzuschüchtern. Oder sie nehmen ihnen die Kleidung weg und schicken sie nackt zurück. Es wurden auch schon Hunde auf die Flüchtlinge gehetzt. Wir dokumentieren die Zwischenfälle, die Verletzungen. Ich selbst habe mindestens 20 Fälle von wirklich schlimmer Folter gesehen. Aber noch grausamer als die kroatische ist die ungarische Grenzpolizei. Die Flüchtlinge probieren es trotzdem."
Nevena Brajovic ist wie Aleksander Palalic beim Flüchtlingskommissariat der serbischen Regierung angestellt, sie kennt auch das Camp an der ungarischen Grenze.
"Einmal kamen 20 unbegleitete Minderjährige, 15- bis 16-Jährige, die über die ungarische Grenze gerannt sind. Die ungarische Grenzpolizei hetzte Hunde auf sie, fing sie ein, nahm ihnen ihre Kleidung, das Geld, die Mobiltelefone weg, schlug sie. Zu uns kamen sie halbnackt, übersät mit Hundebissen und gebrochenen Armen und Beinen. Es war ein Desaster."
Nevena Brajovic hat ihren Master in Projektmanagement in Portugal gemacht. Die Länder, aus denen die Flüchtlinge stammen, würde die weltoffene junge Frau am liebsten einmal mit eigenen Augen sehen. Sie kennt jede Familie im Lager und beobachtet, wie die Ungewissheit die Migranten mürbe macht.
"Sie versuchen es so oft. Einige Familien leben schon seit November 2016 hier und haben schon über 20 Mal probiert, über die Grenze nach Kroatien zu kommen. Jedes Mal verabschieden sie sich, bedanken sich für alles und am nächsten Tag sind sie wieder da. Wer allein reist, hat schon eher eine Chance. Der springt auf einen LKW, braucht wenig Platz. Aber mit Kindern ist es kaum möglich, illegal nach Westeuropa zu gelangen. Aber als es drei Familien nach Deutschland schafften, sprach sich das wie ein Lauffeuer in allen Flüchtlingslagern in ganz Serbien herum. Unser Lager hier ist nur deswegen attraktiv, weil es direkt an der Grenze liegt, aber die ist streng bewacht. Deswegen gehen sie zehn Kilometer weiter nach Sid, wo sie einen Schlepper finden. Oder Taxis, die sie nach Zagreb bringen, dort beantragen sie Asyl oder es geht gleich weiter nach Italien und Westeuropa."

"Schockiert vom Verhalten Ungarns und Kroatiens"

Serbien haftet auch wegen des Massakers in Srebrenica 1995, bei dem rund 8000 muslimische Jungen und Männer getötet wurden, ein äußerst negatives Image an. Jetzt zeigt sich das Land den Flüchtlingen gegenüber von einer freundlichen Seite. Schon als Hunderttausende 2015 auf der Balkanroute von Süd nach Nord zogen. Wie dagegen ausgerechnet die EU-Länder Ungarn und Kroatien mit Migranten umgehen, sorgt landauf, landab für Kritik. Auch bei dem Oppositionspolitiker Dragan Marsicanin von der konservativen Demokratischen Partei DSS.
"Ich bin von dem Verhalten von Ungarn und Kroatien schockiert. Sie sind doch genau wie Serbien nur Transitländer. Bulgarien und Mazedonien verhalten sich teilweise auch nicht besser. Was ist mit den Werten, auf die die EU-Länder doch immer verweisen?"
Serbien gehört zu den aussichtsreichsten Kandidaten der Westbalkan-Länder, die Chancen haben, Mitglied der EU zu werden, weswegen die Union ständig als Vergleichsmaßstab herangezogen wird.
Auf dem Spielplatz des Transitlagers spielen zwei Mädchen aus dem Iran und Afghanistan mit leeren Joghurtbechern. Ihnen gegenüber sitzen drei Jungen so alt wie sie, zwischen zehn und zwölf Jahren. 70 Kinder leben im Lager, viele gehen zur Schule. In der nahegelegenen Kleinstadt Sid werden sie am Abend Gedichte und Lieder vorführen, Nevena Brajovic bittet sie um eine Kostprobe.
Iranische Jungen im Flüchtlingscamp Principovac, Serbien.
Iranische Jungen im serbischen Flüchtlingscamp Principovac.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Für die Lagerangestellte sind die unbeschwerten Kinder Beweis dafür, dass es den Menschen in diesem serbischen Camp gut geht. Sie gibt sich Mühe mit ihnen und deren Eltern. Dass die aber nichts anders als weg wollen, scheint Nevena Brajovic zu kränken.
"Manchmal kommen sie zu mir und wollen Schuhe und Mäntel, weil es in Kroatien regnet. Dann erkläre ich, dass ich nicht für ihre Flucht zuständig bin, sondern dafür, dass sie bleiben. Iranische Familien standen schon mit ihren Koffern vor mir, legten Geld auf den Tisch, ich sollte ihnen die Weiterreise organisieren. Iraner brauchen für Serbien keine Visa mehr. Deswegen gibt es jetzt so viele iranische Familien hier."
Weil der Weg in die EU über Kroatien und Ungarn versperrt ist, nehmen viele Flüchtlinge die Abzweigung der Balkanroute über Bosnien-Herzegowina. Nevena Brajovic hat sich die Notunterkünfte dort angesehen.
"Ich war in Bihac und in Velika Kladusa. Hier hatten sie eine Unterkunft, einen Arzt, Essen, Kurse für die Eltern, Schule für die Kinder und dort in Bosnien standen sie im Matsch vor ihren Zelten. Aber sie denken, dass die Grenze zwischen Bosnien und Kroatien weniger gut bewacht ist wie hier die serbisch-kroatische."
Im Lager Principovac zeigt Nevena Brajovic stolz die Räume für die Sprachkurse und wo die Frauen zu Frisörinnen ausgebildet werden. Die Männer sind für die Außenanlage zuständig, richten gerade das Volleyballfeld her.
"Serbien ist für sie immer nur ein Transitland. Sie träumen von Westeuropa. Sie könnten hier bei uns in Serbien Asyl beantragen. Es sind nur wenige, die bleiben."

Serbien ist kein Transitland mehr

In Serbien Asyl zu beantragen, ist allerdings leichter gesagt als getan. Jana Stojanovic vom Asylum Protection Center Serbien erkennt die Bemühungen, den Migranten das Warten in den Transiteinrichtungen zu erleichtern, an. Aber sie kritisiert, dass sie am Kern des Problems vorbeigehen. Für die Flüchtlinge müsse eine legale Lösung gefunden werden.
"Sie werden toleriert, man lässt sie bleiben und abwarten, wann sie weiterkönnen oder einen Schmuggler gefunden haben."
Die Menschenrechtsaktivistin macht sich seit zehn Jahren für die Rechte von Flüchtlingen stark. Dass die Regierung immer noch Serbien als Transitland bezeichnet, versteht sie längst nicht mehr, denn schon lange gebe es kein Durchkommen mehr auf der Balkanroute.
"Das ist die Philosophie und Herangehensweise der Behörden. Die Migranten würden ja nicht bleiben wollen und Serbien habe ohnehin nicht die Kapazitäten, sie aufzunehmen. Drei Jahre nach der Öffnung der Balkanroute kommen immer noch jeden Tag Menschen, wenn auch längst nicht mehr so viele. Die Balkanroute ist also keineswegs geschlossen, aber die Situation hat sich verändert. Die Regierung tut jedoch so, als herrsche unverändert eine Krise. Sie spricht von Ausnahmezustand und davon, dass die Migranten ja nicht bleiben. Dabei gibt es jetzt Flüchtlinge, die schon seit anderthalb Jahren hier sind."
Jana Stojanovic vom Asylum Protection Center Serbien
Menschenrechtsaktivistin Jana Stojanovic vom Asylum Protection Center Serbien.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Serbien solle endlich damit aufhören, nur eine Erstversorgung anbieten, sagt Jana Stojanovic vom Asylschutz-Zentrum in der Hauptstadt Belgrad. Den Menschen, die einen rechtlichen Anspruch darauf haben, müsse Schutz und eine Perspektive in Serbien selbst gewährt werden, statt sie über Monate und Jahre in Unsicherheit zu halten.
"Seit Jahresbeginn bis Juni haben 3694 Personen den Wunsch geäußert, einen Asylantrag zu stellen. Dazu kommen Personen, die das im letzten Jahr getan haben. Sodass wir in den Lagern und außerhalb rund 5000 Personen haben, die Asyl wollen. Von ihnen haben lediglich 98 Personen die Chance bekommen, das Asylverfahren zu beginnen."
In Serbien Asyl zu bekommen, ist fast unmöglich. Gerade einmal zwölf Menschen haben in diesem Jahr in Serbien Asyl bekommen, davon fünf nur subsidiären Schutz, also eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Die anderen müssen sich in den Camps einrichten bis die Weiterreise möglich ist, legal oder mit Hilfe der Schmuggler.
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