Seniorentreff am Samowar

Von Werner Nording · 15.11.2005
"Am 10.6 1965 kam ich nach Deutschland, und zwar zur Flaschenfabrik in Bergedorf". So beginnt der Bericht, mit dem der 61-jährige Mehmet Cerik sein Leben erzählt. Mitglieder des Vereins der türkischen Rentner und Alten in Hamburg treffen sich einmal im Monat zu einem Erzählcafe mit deutschen Senioren, zumeist Frauen. Einer der beiden Gruppenleiter übersetzt, schnell kommen die 60 bis 70 Jahre alten Teilnehmer ins Gespräch. Sie belassen es nicht beim Reden, sondern haben ein Schrebergartenprojekt oder einen islamischen Friedhof initiiert.
Auch einen gemeinsamen Urlaub in der Türkei hat die Gruppe gemacht. "Diese Annäherung, diese Freundschaft hätte viel früher beginnen müssen", sagt Cerik heute nach allem, was er an Ablehnung in Deutschland im Laufe der Jahre erfahren hat. Gerade Zuwanderer der ersten Generation haben Schwierigkeiten, sich auf die westdeutsche Kultur einzulassen. Dabei werden Kontakte untereinander gerade im Alter immer wichtiger. Denn die Zahl der Migranten in Deutschland, die über 60 Jahre alt sind, hat sich in den letzten zehn Jahren auf 800.000 verdoppelt.

"Eine Sache, die ich doch gleich am Anfang sagen möchte, Dschingis hatte Geburtstag. - Vielen Dank der ganze Tee heute geht auf meine Rechnung. "

Ausgelassene Stimmung bei der deutsch-türkischen Teestunde an diesem Nachmittag im Haus im Park in Hamburg-Bergedorf. 50 Seniorinnen und Senioren haben sich in der Altenbegegnungsstätte der Körber-Stiftung versammelt, unter ihnen auch 20 ältere türkische Frauen und Männer. Dschingis Yagli, einer der beiden Initiatoren der Teestunde, ist gerade 49 Jahre geworden. Ein Anlass auch für die türkischen Teilnehmer dem Diplomsozialpädagogen in ihrer Sprache ein Ständchen zu bringen.

Heute genau vor zehn Jahren hat sich die Runde zum ersten Mal getroffen. Elisabeth Kiwitt ist heute 82 Jahre alt. Die frühere Lehrerin war von Anfang an dabei.

"Beim ersten Mal haben wir hier gesessen, da waren nur türkische Männer und nur deutsche Frauen da, war ein urkomischer Zustand. Haben dann gefragt, warum bringt Ihr Eure Frauen nicht mit, da sagten die, die arbeiten zum Teil noch, während die Männer schon vorzeitig in Rente waren. Ab und zu kommt ja auch ein deutscher Mann, die sind ja immer etwas schwer zu bewegen, seitdem muss ich sagen, die Sache hat sehr viel Gemeinschaft dadurch gekriegt. "

Um eine wohlige Atmosphäre zu schaffen, wird türkischer Tee in einem Samowar gekocht und in den typischen kleinen Teegläsern ausgeschenkt. Dieses Ambiente genießen die deutschen Teilnehmer sehr. Jedes Treffen steht unter einem thematischen Schwerpunkt, den Ute Ising, die Leiterin der Akademie im Begegnungszentrum Haus im Park vorbereitet.

"Es sind Themen, die an die Lebenserfahrung der Einzelnen anknüpfen, wozu jeder etwas beitragen kann, also zum Beispiel alte Kinderspiele, meine Ankunft und die erste Zeit in Deutschland. Wir haben auch mal über die Vielehe im Islam gesprochen, auch religiöse Feste und Bräuche, wir feiern auch in der Adventszeit ein Adventsfest zusammen, wir feiern andere islamische Feste auch zusammen, das wird dann auch ganz praktisch vollzogen. "

Mit den Jahren hat sich ein persönliches Verhältnis zu den Teilnehmern aufgebaut. Entsprechend herzlich ist die Begrüßung.

"Hallo Tschemely, bist du mit dem Bus gekommen, geht es dir heute nicht so gut, musst du dich gleich mal hinsetzen "

Die ältere türkische Dame greift in ihre Einkaufstasche. Mit leuchtenden Augen packt sie eine Puppe aus, die sie gerade in der Stadt gekauft hat.

"Oh ein Babygeschenk, hast Du ein Enkelkind. Hallo Lena, Ute, schön dass du da bist. Jetzt müssen wir das Kindergeschenk angucken, jetzt gibt es gleich Musik, pass auf "

Ein türkischer Mann hat Rosen mitgebracht für die beiden Kursleiter.

"Eine für Dich und eine für Dschingis. Das ist ja nett - vielen Dank, da freu ich mich aber reden weiter. "

Für den 71-jährigen Kazim Arslan ist die Teestunde ein fester Termin. 1969 ist er als Bauarbeiter nach Deutschland gekommen und hier hängen geblieben. Auch er besucht die Teestunde schon seit zehn Jahren.
"Jeden Monat, Nachmittag, halb zwei und dann fünf Uhr, fertig - alle zusammen, zehn Jahr schon, und dann komm ich immer alle zusammen, das ist gut, ich muss kommen, draußen Leute nix gut, Ne unfreundlich draußen, hier freundlich. "

Kazim Arslan ist in der Türkei nur fünf Jahre zur Schule gegangen. Er hat zwar lesen und schreiben gelernt, doch als er nach Deutschland kam, blieb keine Zeit, um Deutsch zu lernen. Er wollte nur in paar Jahre bleiben, um hier ordentlich Geld zu verdienen. Mittlerweile lebt er 36 Jahre in Deutschland. Er hat elf Kinder, doch den Kontakt zu seiner Familie hat er verloren. Heute lebt er allein in einer kleinen Wohnung, oft fühlt er sich sehr einsam.

" Ich bin sehr allein zu Hause, guck ich meistens fern, aber wenn ich hierher komme, dann schalte ich ab, dann bin ich nicht mehr allein, ich hab hier viele Freunde, die sind sehr fortschrittlich und nett, wir kommen sehr gut miteinander klar und lernen eine Menge voneinander, deshalb komme ich gerne. "

Die Fremdsprachensekretärin Gitta Lange hat lange in der Türkei gelebt. Seit einem Jahr wohnt die 65-Jährige wieder in Hamburg. Sie musste intensiv suchen, bis sie schließlich auf die Teestunde stieß.

"Das ist das Einzige, ich war so erfreut, dass es so was gibt, ich hab das nicht für möglich gehalten. Ich wohne weiter weg, mehr nach Schwarzenbek raus in der Nähe von Geesthacht, da leben eine Unmenge Türken, aber ich glaube, die sind sehr unter sich. Da hatten wir zwar einen VHS-Kurs in Türkisch, was leider viel zu wenig angeboten wird, aber es passieren keine Begegnungen in dem Sinne, da bleibt jeder für sich, das finde ich so schade, man weiß so wenig voneinander. "

Die Teestunde möchte die engagierte Frau nutzen, um ihr Türkisch nicht zu verlernen, aber auch um zu einem besseren Verständnis zwischen Deutschen und Türken beizutragen.

"Es ist immer noch sehr schwierig, diese Gesprächsrunde besteht seit zehn Jahren, was ich phantastisch finde, ich hab das jetzt erst gelernt, aber es ist oft noch so, dass die Türken da sitzen und die Deutschen da, sie kennen sich untereinander, sie mögen sich, aber ich möchte so gerne, dass sich das mehr mischt, dass man sich auch im privaten Bereich näher kommt und die Familien zusammen kommen, nicht nur hier, dass man wirklich mal die Grenzen aufweicht, das geht und es ist Staunen auf beiden Seiten. "

Das Thema, über das die Gruppe heute während der Teestunde diskutieren will, ist der Fastenmonat Ramadan. Ute Ising hat einen Text vorbereitet, den sie zur Diskussion stellt.

"Ich les das mal eben vor: Im Ramadan, dem neunten Monats des Mondkalenders hat der Erzengel Gabriel nach islamischer Überlieferung dem Propheten Mohamed die 114 Suren des Koran offenbart. Dort steht: Esst und trinkt, bis der weiße Faden von dem schwarzen Faden der Morgenröte zu unterschieden ist. Tagsüber ist praktisch alles verboten, was irgendwie Genuss bereitet, darunter auch Essen, Trinken, Rauchen. Ausgenommen von dem Verbot sind Kranke, Reisende, Kinder und schwangere Frauen, kann man das so sagen? "

Damit die türkischen Teilnehmer sich an der Diskussion beteiligen können, wird der Text von Dschingis Yagli übersetzt.

Die deutschen Teilnehmer erfahren, dass ihre türkischen Gesprächspartner heute schon vor sechs Uhr frühstücken mussten. Erst nach Sonnenuntergang um 18.10 Uhr dürfen sie wieder etwas essen oder trinken. Wie das denn Ärzte oder Profifußballer aushalten könnten, will ein deutscher Teilnehmer wissen. Ein anderer fragt, ob denn auch Sex tagsüber verboten sei.
Der 62-jährige Wilfried Rudolf, der sonst eher im Computerclub der Senioren aktiv ist, hat eine Menge gelernt.

"Es bringt mir zumindest mal einen anderen Blickwinkel. Nicht einfach zu sagen, die Türken oder wer auch immer, sondern dass man mal sieht, was ist zum Beispiel Ramadan. Da kann man auch mal sagen, auf Grund der deutsch-türkischen Teestunde, hier hat man uns erklärt, was Ramadan ist, wie das abgewickelt wird und und und. "

Auch bei den türkischen Teilnehmern werden durch die Teestunde eine Menge Vorurteile abgebaut. Peschan Hajek, die vor 31 Jahren mit ihrem Mann ein türkisches Restaurant in Hamburg aufgebaut hat, möchte die Treffen nicht mehr missen.

"Wir haben ja früher gesagt, oh Deutschland schlecht oder Deutsche sagten, türkische Frauen schlecht, das stimmt nicht, wenn bisschen Kontakt, man versteht das sehr gut, ich hab so viel deutsche Freunde, so viel Kontakt, wir reden immer von unserer Familie, unseren Kindern, unserer Arbeit, unser Essen kochen, Tee kochen, sehr interessant sehr gute Achtung. "

Für die ehemalige Arzthelferin Elfriede Schlieper ist der Schlüssel des Erfolgs, dass in der Teestunde über jedes Thema offen gesprochen werden kann.

"Es gibt kein Tabu, man kann alles fragen und bekommt auf alles Antworten, die Enthaltsamkeit während des Fastens oder auch nicht, man braucht keine Hemmungen zu haben hier, das ist eigentlich ganz schön. Die Deutschen können alles fragen, die Türken können alles fragen, egal zu welchem Thema. "

Motor der Teestunde ist die Körber-Stiftung, die sich schon viele Jahre für den deutsch-türkischen Dialog einsetzt. Anfangs haben wir Ausflüge unternommen und Betriebsbesichtigungen gemacht, erzählt Ute Ising. Dabei hatte die Akademieleiterin aber das Gefühl, mit zwei Gruppen unterwegs zu sein. Die Teilnehmer hätten sich zwar freundlich zugenickt, doch dabei sei es geblieben. Erst mit dem Erzählcafe habe sich das grundlegend geändert.

"Es war etwas ganz Sensationelles, dass sich diese beiden Gruppen so getroffen und ausgetauscht haben und ganz besonders ist mir das auch bei den Türken aufgefallen, die dann auch sagten, das hätten wir nie für möglich gehalten, dass wir uns so mit Deutschen treffen und austauschen und es werden die unterschiedlichen Traditionen und Werte ausgetauscht und akzeptiert, das Gefühl zu haben, so wie ich bin, mit meinen Traditionen, werde ich auch akzeptiert. "

Die zwei Gruppenstunden sind auch heute wie im Fluge vergangen. An den Tischen haben sich längst kleine Diskussionsrunden gebildet. Die Kursleiterin muss die Teilnehmer daran erinnern, dass die Zeit schon wieder abgelaufen ist.

"Wir müssen langsam Schluss machen, Ihr könnt Euch gerne weiter unterhalten, aber wir müssen offiziell Schluss machen "

Dschingis Yagli erinnert sich, dass der Bedarf für eine deutsch-türkische Altenbegegnung langsam gewachsen ist. Viele Türken waren schon 30 Jahre in Deutschland, als sie plötzlich feststellten, dass sie bald aus dem Berufsleben ausscheiden würden.

"Die Reife ist Ende der 80er Jahre da gewesen, viele Menschen haben nachgedacht, ich bin bald Rentner, was soll ich machen, Rückkehr, hier bleiben, in dem Moment ist die Arbeit entstanden, um für solche Fragen eine Antwort zu finde, mit anderen zu finden und gemeinsam eine gesunde Antwort herauszubekommen. "

Ute Ising hat mit den Jahren gelernt, dass viele Gastarbeiter eine völlig andere Lebensplanung hatten. Auch in der Teestunde sei das immer wieder angesprochen worden.

"Und wir sind hier hingekommen und wollten möglichst schnell wieder nach Hause zurück. Wir haben gesagt, drei, vier Jahre arbeiten wir und sparen wir und dann fahren wir wieder zurück. Und es wurde immer um ein paar Jahre verlängert. Die Kinder kamen in die Schule, aus der Schule, mussten eine Ausbildung machen, dann heirateten die Kinder, dann wurden Enkelkinder geboren, es gab immer wieder Gründe hier zu bleiben und einer sagte mal, jetzt sind 30 Jahre vergangen und wir drehen uns um und sind ganz erschrocken. "
Weil viele Türken ihren Lebensabend in Deutschland verbringen, werden Angebote wie die Teestunde immer wichtiger, meint der 71-jährige Kazim Arslan.

"Es müssten deutsch-türkische Teestunden wie hier überall viel öfter stattfinden, das ist einmal im Monat hier, wenn das in Hamburg an 25 verschiedenen Orten geschehen würde, ist fast jeden Tag irgendwo eine Veranstaltung. Viele Menschen würden sich dann näher kommen. Wenn man auf der Straße jemanden trifft, den man kennt, sofort kommt ein Gespräch zustande. Dann freue ich mich, weil wir dann mehr voneinander erfahren. Umso mehr sollten solche Veranstaltungen unterstützt werden. So könnte man sich dann näher kommen. "

Es gibt nicht genug Angebote für Türken im Rentenalter, Altenhilfe ist immer noch nicht auf die Bedürfnisse der hier lebenden moslemischen Bevölkerung ausgerichtet, kritisiert Dschingis Yagli.

"Ein organisiertes staatliches Ziel für die Gruppe ist nicht vorhanden. Alleine für Portugiesen, Spanier, Griechen, was die christlichen Länder anbelangt, kann man sehr in das vorhandene System integrieren, da gibt es nicht so viel Unterschied, der Kulturunterschied ist nicht so groß wie zwischen islamischen Gläubigen und der deutschen Gesellschaft, Altenarbeit ist eher geprägt christlich. "

Vertrauen zwischen Bevölkerungsgruppen, die so unterschiedlich wie Deutsche und Türken sind, kann nur langsam entstehen. Das musste auch die Teestunde lernen, sagt Ute Ising.

"Wir sind 98 mit einer Gruppe in der Türkei gewesen und das war ein schönes Erlebnis. Die Menschen sind sich sehr viel näher gekommen, wir haben sehr viel gemeinsam gemacht, wir haben zusammen gefrühstückt, dann stand schon einer unserer türkischen Männer in der Tür und begrüßte uns einzeln, er empfand sich als Gastgeber und unsere türkischen Freunde waren froh, dass sie uns ihre Heimat zeigen konnten und nach der Reise sagte Mehmet, ihr habt Euch 30 Jahre um uns gekümmert und jetzt haben wir uns mal um euch gekümmert. "