Selbstoptimierung

Grenzerfahrungen garantiert

Ein Läufer passiert morastigen Untergrund.
Cross durch den Schlamm © picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Von Henry Bernhard  · 28.12.2013
Ein 23-Kilometer-Lauf mit zweimaliger Durchquerung der Saale, insgesamt 900 Höhenmeter rauf und runter, davon ein Anstieg mit geschultertem Autoreifen, Kriech-, Slalom- und Schlammabschnitte - warum tut der Mensch sich so etwas an?
Über 1200 Sportler haben sich versammelt, fast alles Männer. Sie drängen sich im Festzelt, auf dem Platz davor, vor den Toiletten. Verwegen sehen sie aus, bereit für ein großes Abenteuer. Patrick, Chris und Steve wollen das, was jetzt kommt, gemeinsam bestehen.
"Warum machen wir das? Die Herausforderung! Wir wollen halt nur zu dritt hier durchkommen. Die Zeit ist uns eigentlich egal, wir wollen nur ankommen."
"... mal den Körper testen!"
"Mal den Körper testen! ... also so eine Selbstbestätigung, so eine gewisse, die wir uns mal holen wollen. Mal gucken, an welche Grenzen man gehen kann."
"Wovor habt ihr am meisten Schiss?"
"Vor'm Wasser eigentlich. Das ist ja das Unberechenbare, das Wasser. Die Kälte und das Wasser ..."
"... wie sich das dann auswirkt. Ich hab's mit Wechselduschen versucht zu Hause!"
23 Kilometer Laufstrecke liegen vor ihnen, 900 Höhenmeter geht es auf und ab, 100 Hindernisse auf der Strecke sollen die Läufer zermürben. Denn "Getting Tough" will ein Rennen sein, das Grenzerfahrungen garantiert. Peter aus Neuß und Ruppert aus Köln sind genau deshalb nach Thüringen gereist:
Peter: "Letztendlich ist es einfach nur krank! Es ist kalt, es schneit, also widrige Bedingungen. Und von daher ... Wir hoffen, dass wir alle viel Spaß haben!"
Ruppert: "Du, meine Frau hat vor vier Monaten Zwillinge bekommen! Und ich wollte wenigstens ein bisschen einen Beitrag leisten, dass ich auch leidensfähig bin. Wobei das nicht zu toppen war, muss ich Dir ganz ehrlich sagen."
Start-Geschrei: "... trainiert für diese Scheiße hier! Seid ihr bereit? Ja! Gettin' ... TOUGH! Gettin' ... TOUGH! Gettin' ... TOUGH!"
Am Start eine riesige grau-braune Wiese, trüber Himmel, es schneit. Der Sprecher vertreibt die Zuschauer, der Weg muss frei sein für die Läufer. Da stehen sie in Neoprenanzügen oder Laufsachen, in Bundeswehruniform oder kurzer Hose. Drei junge Männer tragen außer einem Lendenschurz aus der Deutschlandfahne und einer Pickelhaube nichts: Keine T-Shirt, keine Hose, keine Schuhe.
Ein Quad sammelt Verletzte und Erschöpfte ein
"Alle auf die Positionen! Zurücktreten ins Spalier. Rechte Seite - linke Seite - und in einem großen Block: Die Teilnehmer."
Der Startschuss. Sie stürmen los auf breiter Front. Von der Seite spritzt die Feuerwehr Schwaden von Wasser über die Läufer. Dann durch einen Wassergraben. Die braune Brühe reicht den Läufern bis zur Hüfte. Ein paar hundert Meter weiter geht es durch die Saale, wieder bis zur Hüfte im Wasser. Dann bergauf, stetig, heftig. Peter aus Neuss ist noch frohgemut.
"Wir war's im Wasser?"
"Herrlich erfrischend! Könnte ein bisschen kühler sein! Und es waren keine Biere im Wasser ..."
Ein Quad nimmt mich mit. Ein gutes Dutzend dieser vierrädrigen Motorräder ist auf der Strecke unterwegs, um Verletzte oder Erschöpfte einzusammeln. Es geht steil bergauf, an den Läufern vorbei.
Auf halber Höhe die nächste Schikane: Ein Slalom-Lauf. Bergauf, bergab. Etliche Höhenmeter weiter werden Autoreifen verteilt. Ich treffe: Peter.
"Da ist er ja wieder!"
"Geht's gut?"
"Ja, anstrengend, aber läuft!"
Aus einem Container bekommt jeder Läufer einen alten Autoreifen. Mit ihnen über der Schulter gilt es, alte Weinterrassen zu erklimmen.
"So, jetzt stehen wir an einem terrassenförmigen Hang. Hier müssen alle Läufer mit Autoreifen geschultert mehrfach hoch - runter, hoch - runter, hoch - runter. Die Hänge sind teilweise so steil, dass man auch ohne Autoreifen kaum hoch kommt."
Bald sind die Reifen alle, und die Läufer stauen sich. Sie laufen denen entgegen, die die Schikane schon hinter sich haben, deren Reifen zu empfangen
Der Anstieg zum Kulm, hoch oben über Rudolstadt, führt über einen steilen Waldweg. Die wenigsten nehmen ein Stück Banane. Zu anstrengend wäre das Essen. Gleich geht es weiter: Durch Gitterkästen, Schikanen eben.
Nun geht's die Straße bergab mit dem Quad. Die Lauf-Strecke ist oft zu schmal für Läufer und Fahrzeug. Ich treffe sie alle im Tal wieder, an der Saale, wo der Start war.
Am Ende: Mehr tapsen als laufen
Mit schwachen Schritten, leerem Blick, zitternd waten die Läufer durch die Saale. Sie haben gerade das bislang Schlimmste hinter sich: Tauchstrecken im Freibad, das Wasser knapp über Null Grad. Die Gesichter sind ausgezehrt, manchem hängt der Rotz aus der Nase.
Einlauf in den sogenannte "Walk of Fame“. Die Läufer haben gut 22 Kilometer hinter sich, viele tapsen mehr als dass sie laufen. Vor ihnen liegen noch Dutzende Hindernisse. Wände müssen überklettert, Netze durchstiegen, ein Meer von Autoreifen überstiegen werden.
Die letzte Station vor dem Ziel: Betonröhren. Viele robben sich nur noch mit Hilfe der Arme durch die Röhren und lassen die Beine hinterherschleifen.
50 Meter vor dem Ziel sitzt ein junger Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einem Strohballen und ruft nach einem Sanitäter. Beinkrämpfe verhindern, dass er noch einen Meter gehen kann.
Im Ziel triumphiert nur der Sieger, ein junger Mann, der noch fast fit wirkt. Der Anblick der Nachfolgenden verschlimmert sich von Minute zu Minute.
Die Männer und auch die wenigen Frauen werden in goldglänzende Folien gehüllt, um einen Rest Wärme im Körper zu halten. Vergebens. Die Frau, die einen nahrhaften Schleim ausgibt, muss vielen den Pappbecher zum Mund führen, weil ihnen die Kraft fehlt, ihn zu heben. Peter, der vor knapp drei Stunden noch gescherzt hatte, dass das Wasser zu warm sei, schlottert so sehr, dass nicht viel Tee im Becher bleibt.
"Ach, völlig am Arsch! Das Krabbeln war der Hammer! Die Krämpfe! Ich bin froh, dass ich fertig bin."
"Was war das Schlimmste?"
"Das Krabbeln, da vorne das Krabbeln unter den Röhren. Und das Wasser! Aber hat Spaß gemacht."
Im Sanitätszelt liegt ein knappes Dutzend Läufer. Nichts Ernsthaftes. Zerrungen. Unterkühlungen. Kreislaufschwächen. Krämpfe. Von draußen wird warme Luft reingeblasen. Das letzte Bild bleibt hängen: Ein Mann sitzt zitternd direkt vor dem warmen Gebläse. Sein Gold-Umhang flattert im Wind. Sein Blick ist leer. Dabei wollte er nur seinen Körper testen.
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