"Selbst mit der Hamas muss verhandelt werden"

Moshe Zuckermann im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 02.01.2009
Der israelische Historiker und Soziologe Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv hat den Militäreinsatz Israels gegen die Hamas kritisiert und Friedensverhandlungen gefordert. Mit militärischen Mitteln sei der Konflikt nicht beizulegen, sagte Zuckermann.
Birgit Kolkmann: Bomben auf Gaza Stadt. Sieben Tage in Folge fliegt die israelische Armee nun schon Luftangriffe auf den Gazastreifen, und an dessen Grenze fahren israelische Seite Panzer auf, während die Kämpfer der Hamas auf der anderen Seite Minen und Sprengfallen gegen eine bevorstehende Bodenoffensive der Israelis legen. Die Situation der verletzten Menschen - es sollen um 2000 sein - ist derzeit verzweifelt.

Es gibt nicht genügend Personal und offenbar keine Medikamente und Geräte mehr, um die Menschen zu versorgen. Moshe Zuckermann ist Soziologe und Historiker an der Universität Tel Aviv und einer der führenden Intellektuellen in Israel, die sich für eine Friedenslösung engagieren. Guten Morgen in der "Ortszeit".

Moshe Zuckermann: Guten Morgen.

Kolkmann: Herr Zuckermann, Israels Armee hält sich immer zugute, dass sie Zivilisten schonen würde. Wird aber dieser Einsatz auch auf Kosten der Zivilisten geführt?

Zuckermann: Auf jeden Fall wird er auf Kosten der Zivilisten geführt. Die Tatsache, dass man immer von chirurgischen Eingriffen redet, ist natürlich ein Stück Ideologie. Ich meine, die Technologie mag sich inzwischen verbessert haben, aber es sind immer wieder Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen. Auch diesmal waren ungefähr 25 bis 30 Prozent der bislang Umgekommenen - man redet mittlerweile von über 400 Todesopfern* - Zivilisten. Erst gestern ist - das war mit Vorbedacht - einer der führenden Hamas-Leute gezielt umgebracht worden. Dabei ist seine gesamte Familie mit draufgegangen. Ja, Zivilisten werden auf jeden Fall in Mitleidenschaft gezogen.

Kolkmann: Nun hat Israels Außenministerin Livni ja gesagt, es gehe mehr um die Ziele dieses Einsatzes und nicht so sehr um den Zeitplan. Was haben wir zu erwarten und was ist das Ziel?

Zuckermann: Das wüsste ich auch gerne und ich glaube, auch die Regierung selbst wüsste das gerne, denn die Regierung selber kann sich als Nahziel setzen, dass sie sagt, wir wollen die Hamas dazu bringen, einen Waffenstillstand unter israelischen Bedingungen zu wollen. Um das zu erreichen, wird es nicht ausreichen, dass man von der Luft her angreift. Es wird zum Bodeneinsatz kommen müssen und sobald der Bodeneinsatz stattgefunden hat, haben wir es mit einem Sumpf zu tun, der gar nichts mehr mit den Zielen zu tun hat, die man sich vor der Gesamtoperation gesetzt hat. Ich würde im Moment sagen, dass keiner genau weiß, was das Ziel ist. Offiziell ist es die Ruhe in der Südregion, aber diese Ruhe ist unter den Bedingungen, wie die Operation geführt wird, einfach nicht zu erwarten.

Kolkmann: Geht es indirekt vielleicht auch um die Kompensation des Libanon-Krieges, auch um einen gewissen Aggressionsabbau?

Zuckermann: Was heißt indirekt? Es geht direkt um die Kompensation des Fiaskos im zweiten Libanon-Krieg vor zwei Jahren. Es geht auch um den Wahlkampf. Es geht um eine ganze Menge fremdbestimmter Momente, die bei dieser ganzen Angelegenheit eine Rolle spielen. Ich habe jetzt lediglich auf die unmittelbaren Schäden geantwortet. Natürlich: Man muss überhaupt damit anfangen, warum dieser Krieg zu diesem Zeitpunkt geführt worden ist, und was man noch mehr tun müsste - das wird nirgends getan - ist, was ist der gesamte Kontext, in den das reingesteckt worden ist.

Ich meine, man hat jetzt vor, Krieg gegen die Hamas zu führen, nachdem man die Hamas selber sozusagen in die Regierung hochgeschleudert hat, indem man die PLO über Jahre als nicht legitimen Partner angesehen hat. Scharon wollte ja nichts anderes, als die PLO demontieren, die Autonomiebehörde außer Kraft setzen und Arafat neutralisieren. Das ist nun das Ergebnis davon. Man hat es jetzt mit der Hamas zu tun. Das sind Hardliner. Mit diesen Hardlinern muss man jetzt Krieg führen, und die führen natürlich den Krieg unter ihren Bedingungen und nicht unter den Bedingungen der Israelis.

Kolkmann: Generiert Israel so nur neuen Widerstand?

Zuckermann: Ja. Es ist mir vollkommen klar, dass mit militärischen Mitteln das nicht beizulegen ist, was man hofft beizulegen. Was man jetzt nur erhoffen kann, dass man irgendwie einen längeren Waffenstillstand erreichen kann. Den wird man wohl früher oder später auch erreichen. Dabei ist aber auch vollkommen klar, dass die nächste Gewalt schon wieder um die Ecke wartet. Wann die kommen wird, ist eine Frage, wie schnell Israel wieder vergessen wird, was passiert ist und wie schnell sich die Hamas wieder von neuem bewaffnet haben wird.

Kolkmann: Stehen wir wieder vor der alten Frage, wie kann man einen unlösbaren Konflikt lösen?

Zuckermann: Er ist nicht unlösbar. Er ist lösbar. Die Frage ist, ob man ihn lösen will, und ich rede von beiden Seiten, aber vor allem von der israelischen Seite, weil die israelische Seite die Karten in der Hand hat, um diesen Konflikt zu lösen. Man kann nicht erwarten, dass man sich aus einer Region, die man über Jahre besetzt hat, zurückzieht, und zwar unilateral, eine Absperrung, eine totale Abriegelung, die diese Region zum Ersticken bringt, sowohl wirtschaftlich als auch zivilgesellschaftlich, und dann erwarten, dass irgendetwas sich von selber auflöst, indem man sich zurückgezogen hat.

Es müssen Friedensverhandlungen und die Friedensverhandlungen müssen mit denen geführt werden, die an die Regierung gekommen sind und die man unter anderem auch selber an die Regierung gebracht hat. Selbst mit der Hamas muss verhandelt werden, und das ist ja genau das, was für meine Begriffe ansteht. Wie lange es dauern wird, bis das alle Seiten eingesehen haben werden, ist die Frage, die sich lediglich mit dem Tauschwert von wie viel Toten dabei herauskommen werden, zu verhandeln.

Kolkmann: Sie sagen, Israel hat die Karten in der Hand. Wie sehr braucht es aber Hilfe von außen, vor allen Dingen auch von der arabischen Seite, von Ägypten, um dieses in Gang zu bringen?

Zuckermann: Das ist klar. In der Situation selbst ist ja vollkommen klar, dass man die Vermittler braucht, zumal wenn man beidseitig sagt, man verhandelt nicht miteinander, obwohl man natürlich sehr wohl miteinander verhandelt. Da muss man die Vermittler haben. Ägypten, die Türkei, von Senegal war letzte Woche in der Rede. Klar, die braucht man. Aber diese Hilfe ist natürlich nur eine Hilfe, die ans Eingemacht geht, und das Eingemachte selbst muss natürlich unter den Kontrahenten, unter den Gegnern, unter den Feinden geführt werden.

Kolkmann: Vielen Dank. Moshe Zuckermann, Soziologe und Historiker von der Universität Tel Aviv, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Danke schön dafür.

Zuckermann: Ich danke Ihnen.

* Nach einer Richtigstellung des Interview-Gastes wurde die Zahl der Todesopfer abweichend vom O-Ton nachträglich geändert.