"Seine Kunst steht im Schatten seiner politischen Aktivitäten"

Shirin Ebadi im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 07.06.2013
Die Ausstellung "Meditationen der Freiheit" in Berlin zeigt Werke des iranischen Malers und Ex-Oppositionsführers Mir Hossein Mussawi. Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi erinnert an seine schwierige Lage: Der 71-Jährige stehe unter Hausarrest und habe kein Telefon.
Stephan Karkowsky: Am 14. Juni beginnen die Präsidentschaftswahlen im Iran. Gleichzeitig finden dort Kommunalwahlen statt. Die Situation ist angespannt – nach den Wahlen vor vier Jahren hatte es gegen das Ergebnis wochenlang Massenproteste gegeben, Millionen Demonstranten warfen dem Regime Wahlbetrug vor. Auch die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi war dabei, danach aber musste die erste iranische Richterin das Land verlassen, sie lebt seitdem in London im Exil.

Zur Eröffnung einer Ausstellung traf ich sie in der Akademie der Künste in Berlin, die zeigt Papierarbeiten des iranischen Oppositionspolitikers Mir Hossein Mussawi, der im Iran unter Hausarrest steht. Frau Ebadi, ich würde gerne wissen, gibt es sie überhaupt noch, die sogenannte grüne Protestbewegung im Iran, die also 2009 zu Millionen angeschwollen war und von der man heute nichts mehr hört?

Shirin Ebadi: Wenn wir von der grünen Bewegung sprechen, dann meinen wir all diejenigen, die Protest erheben gegen die Vorgehensweise und gegen die Politik des iranischen Regimes. Jetzt ist die allgemeine Situation anders, das heißt, die Regierung hat mit brutaler Gewalt die Demonstranten, die Demonstrationen niedergeschlagen, und deswegen ist es so, dass die Proteste auch eine andere Form angenommen haben, und die finden dann nicht mehr auf der Straße statt aufgrund dieser brutalen Gewalt, sondern haben andere Formen angenommen.

Karkowsky: Ist es denn richtig, dass vor den nächsten, vor den kommenden Wahlen mehr Demokratie nicht das wichtigste Anliegen der Iraner ist? Bill Clinton hat den Spruch geprägt: It’s the economy stupid. Es geht um die Wirtschaft: Die Iraner leiden unter Arbeitslosigkeit und der Wirtschaftskrise, sichere Jobs und Wachstum scheinen derzeit Priorität Nummer eins zu sein. Würden Sie zustimmen?

Ebadi: Ich stimme dem nicht zu, denn die Armut und die schlechte wirtschaftliche Situation im Iran hängen direkt mit der Demokratie im Iran zusammen. Die schlechte wirtschaftliche Situation im Iran hat mit den Sanktionen, mit den wirtschaftlichen Sanktionen, die gegen den Iran verhängt worden sind, zu tun. Und diese Sanktionen sind verhängt worden aufgrund des Bestehens der iranischen Regierung auf die Urananreicherung. Die Menschen im Iran sind nicht für diese Politik der iranischen Regierung, aber sie bekommen nicht das Recht, ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. Wenn also die Regierung an die Macht kommt, die die Menschen im Iran wollen, dann werden ihre Forderungen auch in Erfüllung gehen, das heißt, da werden auch die Sanktionen aufgehoben werden. Wenn eine andere Politik dann sozusagen geführt wird – und ein anderes Problem ist auch die Korruption –, wenn wir freie Presse im Iran hätten, wenn wir freie Medien hätten, dann würde man dies anprangern, und auch dieses würde beseitigt werden können.

Karkowsky: Sie sind derzeit in Berlin zu Gast bei der Akademie der Künste. Akademiepräsident Klaus Staeck stellt Arbeiten seines ehemaligen iranischen Amtskollegen aus, denn Mir Hossein Mussawi war nicht nur einer der Anführer der grünen Bewegung 2009, er war nicht nur Präsidentschaftskandidat gegen Ahmadinedschad, er ist auch Künstler, und er steht im Iran zusammen mit seiner Frau seit 2011 unter Hausarrest. Wissen Sie trotzdem, wie es ihm geht?

Ebadi: Herr Mussawi und auch seine Frau sind ohne ein gerichtliches Urteil seit über zwei Jahren in Haft, und die entbehren jeglicher Rechte, die auch ein normaler Verurteilter im Iran hat. Sie dürfen nur alle paar Monate einmal für einige Minuten ihre Töchter im Beisein von Sicherheitsbeamten besuchen, sie haben kein Telefon, sie haben keinen Zugang zu Verteidigern und zu Rechtsanwälten, und sie haben überhaupt … ihnen werden überhaupt keine Rechte gewährt.

Karkowsky: Auf dem Filmfest Berlinale im Februar hier in Berlin wurde ein heimlich produzierter Film von Jafar Panahi mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Panahi steht ebenfalls im Iran unter Hausarrest, und er deutet im Film auch an, was das mit ihm macht, dass er nämlich durchaus schon einmal an Selbstmord gedacht hat. Mussawi ist nun 71 Jahre alt. Gibt es ein Fünkchen Hoffnung, dass er seine Wohnung jemals wieder verlassen darf?

Ebadi: Was den Gesundheitszustand von Herrn Mussawi angeht, haben seine Töchter gesagt, dass es ihm, was seine Moral angeht, geht es ihm sehr gut. Allerdings ist es so, dass er Herzprobleme gehabt hat und zweimal für eine ärztliche Untersuchung hat sorgen müssen. Allerdings ist es so, dass die Behörden es nicht gestatten, dass sein eigener Hausarzt ihn untersucht, sondern das sind Ärzte, die von den staatlichen Behörden dort für diese Sache vorgesehen werden.

Karkowsky: Immerhin konnte die Kunst von Mir Hossein Mussawi den Iran verlassen: "Meditationen der Freiheit", so heißt die Ausstellung mit 28 Papierarbeiten hier in Berlin. Wie bekannt ist er als Künstler, weil im Westen kannten wir ihn bisher eigentlich nur als Politiker?

Ebadi: Herr Mussawi hat schon in seiner Jugend damit begonnen, politisch aktiv zu sein, und nach der Islamischen Revolution im Iran war er ja Premierminister. und was die Menschen im Iran angeht, die kannten ihn eher als Politiker als einen Maler, das heißt, seine Kunst ist oder steht im Schatten seiner politischen Aktivitäten.

Karkowsky: Dem sogenannten Westen fällt häufig die Differenzierung sehr schwer. Wir teilen die Iraner meist ein in entweder Oppositionelle, die um ihr Leben fürchten müssen oder im Exil sind, oder Opportunisten, die sich vom Regime Vorteile versprechen. Mussawi scheint da nicht so richtig reinzupassen, denn auch er gilt ja als Befürworter des iranischen Atomprogramms, das diese Sanktionen gegen den Iran ausgelöst hat. Wie passt das zusammen, wie können Sie das erklären?

Ebadi: Was den Herrn Mussawi angeht und seine Position: Es war so, bis zu dem Zeitpunkt, in dem er sozusagen unter Hausarrest … also dass der Hausarrest verhängt wurde gegen ihn, da war es so, dass er für die iranische Verfassung eintrat und meinte, ohne jedwede Reduktion oder Reduzierung sollten die Artikel der iranischen Verfassung umgesetzt werden. Und er hatte auch gegen das Prinzip der Herrschaft des islamischen Rechtsgelehrten, also Velayat-e Faqih, nichts gesagt. Er hatte keinen Protest gegen ihn erhoben, aber er war der Meinung, dass die Person des Rechtsgelehrten, des höchsten Rechtsgelehrten seine Macht, die ihm in der Verfassung zugebilligt ist, missbraucht hat. Und er war gegen die Politik, die die Regierung sozusagen führte, und er meinte, das sei eine falsche Politik.

Karkowsky: Dennoch war er für das iranische Atomprogramm. Wie lässt sich das erklären?

Ebadi: Es ist ja nicht so, dass die gesamte Politik des Iran von dieser Atomfrage abhängt, und insbesondere ist es auch so, dass zu der Zeit, als er noch sich frei äußern konnte, diese Sanktionen gegen den Iran nicht so heftig und stark waren.

Karkowsky: Auch Ihr eigener Freiheitsbegriff, Frau Ebadi, passt nicht unbedingt in die sehr steife Schablone der Demokratie westlicher Prägung. Mal verurteilen Sie die Mohammed-Karikaturen, und mal sagen Sie, dass Sie klerikale Regime für durchaus demokratiefähig halten. Wird diese Haltung im Iran womöglich besser verstanden als in Europa, wo das durchaus zu Missverständnissen führen kann?

Ebadi: Mein Maßstab für die Freiheit sind die Bestimmungen der Allgemeinstellung der Menschenrechte und der Konventionen, die in dem Zusammenhang auch verabschiedet worden sind. In der internationalen Konvention für zivile und politische Rechte, da steht, dass die Freiheit der Rede zu respektieren ist, aber Propaganda für den Krieg und Propaganda, die auf der Grundlage der Konvention, der Rasse oder der Volkszugehörigkeit erfolgt, diese nicht gestattet sind. Die Mohammed-Karikaturen würden kein Problem darstellen, hätten kein Problem, wenn sie in einem islamischen Land entstanden wären. Aber in einer Gesellschaft, in der die Muslime eine Minderheit darstellen, und in einer Gesellschaft, in der es auch Islam-Phobie gibt oder die Anfänge damit zu verzeichnen sind, sind diese Mohammed-Karikaturen, und zwar mit einer Bombe auf dem Kopf, eine Tat, die Förderung von Hass bedeutet auf der Grundlage einer religiösen Begebenheit, und deswegen ist es nicht zulässig. Das ist genau das, was die allgemeine Erklärung der Menschenrechte sagt, also was dort heißt, dass es nicht gestattet sei.

Karkowsky: Heute eröffnet in der Akademie der Künste in Berlin eine Ausstellung mit 28 Arbeiten des iranischen Politikers und Künstlers Mir Hossein Mussawi. Sie hörten dazu die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Danke für das Gespräch.

Ebadi: You’re welcome!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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