Sehnsucht nach Schönheit

Von Eberhard Straub · 28.01.2007
Aus "Necessitet", um seiner neuen königliche Würde und dem Rang des Königlichen Staates zu genügen, ließ sich Friedrich I. von Preußen von Andreas Schlüter ein mächtiges und prächtiges Schloss bauen, "welches den ersten Gebäuden Europas in jeder Hinsicht gleichgestellt werden kann", wie Schinkel urteilte. Es bestand keine Notwendigkeit, den im Krieg nur leicht beschädigten Palast im August 1950 zu beseitigen.
Es gab genug Warnungen, wie schwer es fallen würde, die dadurch entstandene wüste Fläche architektonisch zu fassen und einer neuen Mitte einzuordnen. Aus ideologischen Gründen wurde das Schloss gesprengt, damit im Neuen Berlin und im Neuen Deutschland auf einem Aufmarschplatz das freie Volk auf freiem Grunde sich mit sich selbst imponierte. Seitdem wurden immer neue Pläne entwickelt und verworfen und der Palast der Republik vermochte endlich auch nicht die Leere zu bändigen Dessen Abbruch zieht sich hin, aber schon jetzt zeigt sich, dass alles, wenn er vollzogen ist, nur noch schlimmer wird. Es ist ganz einfach notwendig, die größer werdende Brachfläche zu bebauen, und zwar so schnell wie möglich.

Es gab seit der Wiedervereinigung zähen Widerstand gegen die Absicht, das Schloss zu rekonstruieren, weil sich darin ein Misstrauen gegen die Moderne äußere und eine peinliche Flucht in Lüge und Kulissenzauber. Immerhin berechtigen die enttäuschenden Folgen allzu liebenswürdigen Vertrauens in die urbanistische Gestaltungskraft zeitgenössischer Architekten in Berlin zu nicht allzu verwegenen Optimismus. Da Architekten nicht mehr größere Zusammenhänge bewältigen können, bleibt nur die Resignation, den früheren Zustand annähernd wieder herzustellen. In München hatte man das gleich 1945 eingesehen und baute in fünf Jahrzehnten die zerstörte Residenz wieder auf. Wie man überhaupt darauf verzichtete, sich ein neues München auszudenken. Die Münchner wollten ihr altes München wieder haben. Die Dresdener suchen den Anschluss an ihre Vergangenheit und finden begeisterte Zustimmung dafür. Nur in Berlin wird sofort griesgrämig preußischer Ungeist mit seiner fatalen Kaiserherrlichkeit beschworen, wird daran erinnert, nun endlich den parlamentarischen Beschluss zum Bau des Schlosses tatsächlich umzusetzen.

Friedrich I. verstand sich auch "als der erhabene Wiederhersteller der edlen Künste zum bleibenden Schmuck für seine Stadt und seine Zeit" worauf eine Inschrift an der Hofseite hinter dem Hauptportal einst hinwies. Der Schlosskörper gibt den übrigen Gebäuden wieder Halt und der Straße Unter den Linden ihren angemessenen Abschluss, unbedingt wieder zum bleibenden Schmuck Berlins. Im Inneren sollen die edlen Künste das Wort haben, die Sammlungen außereuropäischer Kunst, die wissenschaftlichen Sammlungen der Universität und die umfangreiche Landes- und Stadtbibliothek. Dieses Humboldt-Forum der Weltkulturen fügt sich in die gegenüberliegenden Museen zur europäischen Kunstgeschichte. Alle zusammen erinnern daran, dass Preußen auch ein Kulturstaat war, dessen Erbe verpflichtet und als Weltkulturerbe anerkannt wird. Nach neuesten Berechnungen des Bundesbauministeriums bräuchte der Bau nur noch knapp 400 Millionen Euro zu kosten statt 700 Millionen Euro, die früher veranschlagt wurden, als allerdings auch noch ein Luxushotel und eine teure Tiefgarage geplant waren. Der Förderverein zum Wiederaufbau verspricht mit 80 Millionen Euro Spenden seinen Beitrag zu leisten.

Da man in Berlin stets eine sehr eigenwillige Auffassung von Gottfried Benns Vers hat: "Kommt reden wir zusammen, wer redet ist nicht tot", muss man immer mit weiteren Gesprächen und Bedenken rechnen. Um es dazu erst gar nicht wieder kommen zu lassen, drängt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, den Baubeginn nicht weiter hinauszuschieben. Wenn die Bundesregierung 700 Millionen Euro dem Bundesnachrichtendienst für einen einfallslosen Verwaltungsbau spendiert, sollte sie doch nicht Haushaltsnöte vorschieben, die den Bau verzögern. Wer sucht, der findet, heißt es in der Bibel. Aber vorerst hat man sich nur unentschlossen und halbherzig auf die Suche gemacht. Die Bundesregierung könnte sich an Andreas Schlüter ein Vorbild nehmen, der seinem König schrieb, nun schon im siebenten Jahr beim Schlossbau zu verharren "und alle Weltlust in der Zeit gemieden, diese meine aufgetragene Arbeit emsig und fleißig fortgesetzt, auch dabei weder auf Geld, Kind und Weib gesehen" zu haben. Mit solch treuem Fleiß wurden damals Pläne verwirklicht. Könige wussten freilich auch, dass man sich beim Dialog verplaudern kann und irgendwann das ewige Gespräch ein Ende haben muss. Vernünftige Pläne liegen vor. Die Übervorsichtigen sollten sich nicht ein weiteres Mal auf ein volkskaiserliches: Schau’mer mal zurückziehen, sondern seiner munteren Devise folgen: Also pack’ mer’s an oder meistersingerlich geredet: Fangt an!

Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin.
Buchveröffentlichungen u. a. "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", "Albert Ballin" und "Eine kleine Geschichte Preußens" sowie zuletzt "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit".