Sehnsucht nach Lore

28.11.2008
Aus der Perspektive von Jugendlichen der "verlorenen Generation" erzählt Oliver Storz die Geschichte eines Sommers. Knapp und in schnoddrig-rauem Tonfall gibt der Drehbuchautor in seinem Roman "Die Freibadclique" Einblicke in die Psyche seiner Figuren, die noch einmal das Leben genießen, bevor sie in den Krieg müssen.
Sommer 1944. Sie waren fünfzehn, eine Handvoll Freunde, Gymnasiasten, die die Schule schwänzten und zunehmend den HJ-Dienst; die heimlich Benny Goodman hörten und für Lore schwärmten, Lore im roten Badeanzug, die es hinter den Jasminbüschen mit schneidigen Luftwaffenpiloten trieb. Schauplatz ist eine schwäbische Kleinstadt, das dortige Freibad die Kulisse für sommerliche Initiationserlebnisse - erste Erotik und die Demonstration von kühler Lässigkeit.

Mit Heldentum haben die 15-Jährigen nichts im Sinn. Sie werden zum Volkssturm eingezogen und an die Westfront geschickt. Einer kommt bei einem englischen Luftangriff ums Leben, ein anderer wird vermisst, zwei schlagen sich als Deserteure nach Hause durch, zwischen SS-Truppen und einmarschierenden Amerikanern.

Knuffke schließlich, ein Berliner Bombenflüchtling und das Idol der Clique, kehrt im Gefolge eines US-Army-Offiziers zurück, spannt diesem die Geliebte aus und mischt auf dem Schwarzmarkt mit. Die Freunde erleben einen zweiten Freibadsommer, nun in anderer Besetzung. Geblieben ist ihre Sehnsucht nach Lore, Gunda, Britta und den vielen anderen.

Oliver Storz erzählt aus der Perspektive der Jugendlichen - ohne jede Sentimentalität, knapp, lakonisch, im schnoddrig-rauen Tonfall der später so genannten "verlorenen Generation". Mit intimer Detailkenntnis blickt er in die Psyche seiner Figuren, gibt glaubhaft Stimmungen und Erfahrungen wieder, die, das darf man getrost annehmen, durchaus autobiografische Züge tragen.

Oliver Storz, Produzent, Dramaturg, Regisseur und einer der meistbeschäftigten Drehbuchautoren Deutschlands, dessen Filme mehrfach ausgezeichnet wurden, wuchs in der Kleinstadt Schwäbisch Hall auf, wo er 1944, im Alter von 15 Jahren, in den Wehrdienst eingezogen wurde. Immer wieder beschäftigte ihn das Thema von "Zusammenbruch" und "Befreiung" in der Provinz. Wie in der "Freibadclique" hat er es immer wieder packend dramatisiert, so in seinem vielfach preisgekrönten Film "Drei Tage im April", der von einem schwäbischen Dorf erzählt und einem über Nacht dort abgestellten Eisenbahnwaggon mit KZ-Häftlingen.

Der Roman ist jedoch mehr als eine Autobiografie. Er liest sich wie ein literarischer Modellfall darüber, wie Erinnerung funktioniert, wie sich subjektive Vergangenheit zusammensetzt. "Des Menschen Gedächtnis ist unsolide", schreibt Storz, und immer wieder: "Was weiß ich noch?"

Intime Impressionen, so die Aussage des Buches, bleiben stärker haften als die Erinnerung an völkische Parolen oder wie man als Pubertierender über Führer, Volk und "Wunderwaffe" gedacht hat. Besonders plastisch ist die Passage darüber, wie die "Pimpfe" ihren Eintritt in die Waffen-SS unterschreiben sollen - ein indirekter, selbstironischer Diskussionsbeitrag zur Frage, was alten Männern erinnerlich ist.

Die Erfahrungen des geschliffenen Drehbuchautors merkt man in den pointensicheren Dialogen des Romans; nur manchmal schießt er übers Ziel hinaus, wenn ihm Wendungen aus der heutigen Umgangssprache unterlaufen wie: Das war alles andere als "ein-ich-bin-dein-du-bist-mein-Text" oder: "Das war kein gutes opening".

Doch das sind "peanuts" in diesem reizvoll erzählten Rückblick auf das Erwachsenwerden zwischen Krieg und Nachkriegszeit: eine Art Heimatroman, der unter der Hand das anrüchige Genre souverän rehabilitiert - originell, temporeich, spannend.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Oliver Storz: Die Freibadclique
SchirmerGraf-Verlag, München 2008
248 Seiten, 19,80 Euro