Sehnsucht nach Hoffnung in Chile

Lieder von Víctor Jara bei Protesten allgegenwärtig

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Ein Demonstrant schwenkt einer große Flagge mit dem Antliz von Victor Jara auf der Plaza Italia in Santiago de Chile. Im Hintergrund ist eine brennende Barrikade zu sehen.
Ein Demonstrant schwenkt einer große Flagge mit dem Antlitz von Víctor Jara auf der Plaza Italia in Santiago de Chile. © imago images / Aton Chile / Andres Pina
Nicolás Miquea im Gespräch mit Andreas Müller · 31.10.2019
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Hoffnung auf eine sozialere Gesellschaft, darum gehe es in Chile, erzählt der Musiker Nicolás Miquea. Videos der Proteste zeigen, wie Demonstranten die Lieder von Víctor Jara singen. Protestkultur in Chile war schon immer stark mit Musik verbunden.
Der chilenischstämmige Liedermacher und Aktivist Nicolás Miquea wurde 1981, während der Zeit der Pinochet-Diktatur, geboren. Bestimmte Musik durfte er damals in seinem Elternhaus nicht hören. Mit der Diktatur von damals vergleicht er die gegenwärtige politische Situation in Chile.
Die heutigen Proteste in dem südamerikanischen Land seien nur eines von vielen Beispielen weltweit, sagt Miquea. "Es gibt Proteste in Ecuador, Libanon, Algerien, überall auf der Welt, wie kreativ man protestieren darf und kann." Die Protestkultur in Chile sei schon immer sehr mit der Kunst und der Musik verbunden gewesen.

Liedermacher neu entdeckt

Der größte Teil der Künstler, die während der Regierungszeit von Salvador Allende eine einzigartige Kultur geschaffen haben und diese als Kampfmittel nutzten, durfte man während der Pinochet-Diktatur nicht mehr spielen. Dennoch hatten die Menschen eine Sehnsucht nach ihr.
"Für mich war diese Musik sehr, sehr wichtig", sagt Miquea. "Ich habe klassische Musik studiert. Nach 15 Jahren des Studiums bin ich zu den Liedermachern zurückgekehrt. Es sind Lieder, wo auch die Texte sehr, sehr wichtig sind." Nach seinem Studium habe er die Musik von Violeta Parra oder Víctor Jara wiederentdeckt.

Militärdiktatur hat die Kultur zerstört

Chile habe eine große Tradition von Schriftstellern und Dichtern. Die beiden chilenischen Autoren Pablo Neruda und Gabriela Mistral haben Literaturnobelpreise bekommen. Das habe auf die Liedermacher abgefärbt. Die Protestlieder sind nicht nur plakativ. Da ist auch viel Poesie drin.
Es gäbe auch heute wieder ganz großartige Liedermacher und Liedermacherinnen und Rap-Künstler, aber die meisten Menschen identifizieren sich mit der Musik, die in den 60er-, 70er- oder 80er-Jahren geschrieben wurde.
"Die chilenische Kultur und Bildung wurde stark zerstört durch die Militärdiktatur. Ein Großteil der besten Kunst wurde verboten und wir sind immer noch dabei, uns als Künstler wiederzufinden", sagt Miquea.

Sehnsucht nach Hoffnung

Was nicht so oft angesprochen würde, sei, dass die Lieder, die vor der Pinochet-Zeit geschrieben wurden, oft die Hoffnung und die Sehnsucht nach dem Sozialismus ausdrückten, den Salvador Allende in sich getragen hat.
Diese Lieder, die die Leute jetzt wieder singen, seien Ausdruck einer Hoffnung auf eine sozialere Gesellschaft. "Es ist nicht nur Protest, es ist auch sehr viel Hoffnung".
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