Sehnsucht in grausamen Zeiten

Im Zweiten Weltkrieg flieht die jüdische Geliebte des Theaterregisseurs Heinz Hilpert aus Nazideutschland in die Schweiz. In dieser Lage schreibt Hilpert ein Tagebuch für die Freundin, das sie lesen soll, wenn sie sich wiedersehen - ein großartiges Dokument der Sehnsucht.
Er war 54 Jahre alt und im Zweiten Weltkrieg tobte die Endschlacht: Heinz Hilpert, angesehener Regisseur und von den Nazis mit gleich zwei prominenten Intendantenposten betraut, nämlich dem des Deutschen Theaters in Berlin und dem Wiener Theater an der Josefstadt (beide Direktionen hatte er mit dem Einverständnis von und nach Absprache mit seinem vertriebenen Vorgänger Max Reinhardt übernommen), war jedoch vor allem verliebt. Er ist zwar noch verheiratet, er erlebt die Bombardements und weiß, dass Deutschland den Krieg verloren hat, aber all sein Sehnen und Wünschen, seine Hoffnungen und Empfindungen gelten einzig der fernen Geliebten, die er in Sicherheit bringen musste, weil sie Jüdin ist.

Annelies Heuser, genannt Nuschka, hatte Zwangsarbeit in Berlin leisten müssen, war von Hilpert im Deutschen Theater versteckt worden und schließlich am 30. Juli 1943 über die grüne Grenze in die Schweiz geflohen. Dort muss sie ins Internierungslager, bis sie als Dienstmädchen in Zürich arbeiten, später dort eine Buchbinderausbildung machen darf. Unter allen Umständen vermeidet sie die Nennung von Heinz Hilpert, der den Nationalsozialisten als politisch unzuverlässig gilt, von dessen Bühnen Joseph Goebbels zynisch als "zwei KZs auf Urlaub" spricht. Heinz Hilpert darf auch bald nicht mehr in die Schweiz reisen, kann die Geliebte nicht mehr sehen, der Briefverkehr ist unsicher.

In dieser Lage entsteht das Tagebuch, das er für die Freundin führt, das sie lesen soll, wenn sie sich wiedersehen, wenn sie endlich eine gemeinsame Existenz beginnen werden. Dass das so sein wird, daran hat der gottesgläubige Hilpert keinen Zweifel. Er hat die Liebe seines Lebens gefunden, diese Bindung wird für immer sein und halten. Mit und in dieser Gewissheit berichtet der (auch in den Endjahren des Nazireichs privilegierte) Theatermann von seinem Alltag, vom Wetter, von Begegnungen, von gesundheitlichen Befindlichkeiten, einer Kur, dem Auflösen seiner Wohnung und auch des Theaters, vor allem aber schreibt er über die Liebe, die Sehnsucht; er erinnert sich an Gemeinsamkeiten und Eigenheiten. Sein unverbrüchliches Gefühl scheint ihn über allen Schmerz und die Angst hinweg zu tragen. Die Liebe zur Frau und die Liebe zu Gott verschmelzen miteinander. Selbst die Nachricht, dass sein einziger Sohn in den letzten Kriegstagen gefallen ist, stürzt ihn nicht in seelische Tiefen.

Bei der Lektüre dieses radikalen Liebesbuchs ist man hin und hergerissen. Man kennt die Schreckensberichte aus den letzten Monaten und Wochen vor Kriegsende, und hier schreibt ein Mann ein großartiges Buch der Sehnsucht, formuliert in immer neuen Varianten die Gewissheit von Liebe und Verbundenheit. Ganz am Ende dieser Aufzeichnungen, nach der Kapitulation, als der Flüchtling Hilpert umher irrt und erfolglos versucht, in die Schweiz zu gelangen, zweifelt er dann doch für einen Augenblick: "Eigentlich ist alles, was passieren könnte, wenn es mich nicht gerade umbringt, ganz unwichtig im Vergleich zu der Tatsache, dass vielleicht Dein Herz sich gewandelt haben ... könnte." 1947 heiraten Nuschka und Hilpert.

Besprochen von Manuela Reichart

Heinz Hilpert: So wird alles Schwere entweder leicht oder Leben: Tagebuch für Nuschka
Herausgegeben von Michael Dillmann und Andrea Rolz
Weidle Verlag, Bonn 2011
148 Seiten, 19 Euro