Segev: Nach Mubaraks Amtsverzicht Hoffnung und Unsicherheit in Israel

Tom Segev im Gespräch mit Gabi Wuttke · 12.02.2011
Der israelische Historiker Tom Segev sieht nach dem Amtsverzicht des ägyptischen Präsidenten Mubarak weiter eine große Ungewissheit über eine künftige demokratische Führung des Landes.
Gabi Wuttke: Ich habe mich immer tot gefühlt, erklärte in der vergangenen Nacht ein junger Ägypter, jetzt lebe ich, liebe mein Land und bin frei. Pures Glück strömt im Moment durch das Land am Nil, obwohl die Revolution noch nicht vorbei ist. Die israelische Regierung wünscht sich nach dem Sturz von Hosni Mubarak einen friedlichen Wandel, und Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, sie hoffe, das neue Ägypten werde sich an den Friedensvertrag mit Israel halten. Was sagt der israelische Historiker Tom Segev dazu? Er ist um 6:50 Uhr am Telefon in Jerusalem, guten Morgen, Herr Segev!

Tom Segev: Guten Morgen Ihnen auch!

Wuttke: Mubarak ist weg. Machen Sie sich nun vor allem Sorgen um die Zukunft oder freuen Sie sich erst mal mit den Ägyptern?

Segev: Ja also zunächst sieht es natürlich sehr schön aus, und in Israel ist man sicher Teil der Bewunderung, eine friedliche Revolution, gewaltlose Revolution, fast gewaltlose Revolution gegen eine Diktatur, das ist schon erfreulich. Es gibt erstaunlicherweise schon junge Menschen auf der Welt, die den Stoß der kommunistischen Diktatur nicht mehr erlebt haben, also zu jung sind, um sich daran zu erinnern, aber es sind natürlich Bilder im Fernsehen, die sehr daran erinnern, auch bei Ihnen. Obama hat ja auch gestern den Mauerfall erwähnt. Man hat schon das Gefühl, dass da etwas sehr Schönes vor sich geht.

Wuttke: Der Militärrat hat jetzt die Macht übernommen, er wird vom 79-jährigen Verteidigungsminister Tantawi geführt, auch in Israel kein Unbekannter. Wie bewerten Sie diese Konstellation?

Segev: Ja wenn man von Demokratie redet, dann kann man nicht gleichzeitig auch von einem Militärregime sprechen. Ich glaube, es ist auch richtig zu sagen, dass es in Ägypten noch niemals eine Demokratie gegeben hat in den letzten 6000 Jahren ihrer Geschichte, und deshalb weiß man natürlich nicht, wohin das führt. Es ist ja oft so, dass eine Diktatur durch eine andere ausgewechselt wird, und deshalb …

Wuttke: … überwiegt denn da bei Ihnen zurzeit der Pessimismus oder gibt es doch ein zartes Pflänzchen von Optimismus?

Segev: Ja vor allen Dingen die Ungewissheit! Und ich glaube, dass es die Ungewissheit ist, die auch Befürchtungen aufbringt. Denn wenn man nicht weiß, wohin es geht, dann hat man auch Befürchtungen … Es ist keinesfalls sicher, dass diese große Menge auch wirklich eine Demokratie für Ägypten bedeutet. Man muss es wirklich abwarten und sehen, man darf es hoffen, man darf es bewundern, aber …

Wuttke: … aber was befürchten Sie konkret? …

Segev: … aber es ist schon möglich, dass die eine Diktatur durch eine andere ausgewechselt wird, wenn man also sympathisch diesem sehr, sehr schönen und aufregenden Land Ägypten gesinnt ist, dann muss man auch sagen, man weiß es noch nicht, wohin es führt. In Israel denkt man natürlich an den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten, interessanterweise ist dieses Thema fast nicht aufgekommen in den letzten 18 Tagen in Ägypten.

Es ist keineswegs so, dass der Aufstand gegen Mubarak auch ein Aufstand etwa gegen den Friedensvertrag mit Israel ist. Es war eigentlich keine Feindlichkeit Israel gegenüber zu hören. Und das ist ja schon ein guter Punkt. Die westliche demokratische Welt, geführt von Amerika, unterstützt ja diese Revolution und das ist dieselbe Welt, die auch Israel unterstützt. Also Israel kann schon seinen Platz finden in diesem demokratischen Vorgang.

Wuttke: Wenn man sich jetzt anschaut, was in den letzten Wochen im Norden Afrikas passiert ist, wenn wir auf den gestrigen Abend schauen, was erwarten Sie jetzt von den USA?

Segev: Zunächst erwarte ich nicht nur von den USA, sondern auch von anderen Ländern, also auch von Deutschland – Frau Merkel hat ja gestern gesagt –, also ich würde schon sagen, dass die Ägypter sehr, sehr viel wirtschaftliche Unterstützung brauchen. Denn der islamische Radikalismus ist in vielen Ländern, auch unter den Palästinensern, so stark geworden, weil es ihnen so schlecht ging, den Menschen so schlecht ging. Also ich glaube, dass Ägypten sehr, sehr viel wirtschaftliche Unterstützung braucht, damit die Menschen wirklich etwas haben von ihrem neuen Regime.

Wuttke: Auch die Palästinenser haben sich gestern mit den Ägyptern gefreut. Nun sind für den 9. Juli im Westjordanland Kommunalwahlen angesetzt worden, wahrscheinlich – das darf man wohl sagen – eine Folge der Geschehnisse in Tunesien. Wird die Fatah damit Ruhe bewahren können, und was ist mit der Hamas?

Segev: Das ist unterschiedlich glaube ich in Gaza und …

Wuttke: … natürlich ist das unterschiedlich, aber welche Perspektive in die Zukunft, welchen Blick wagen Sie, was die Palästinenser angeht mit Blick auf das, was in der arabischen Welt bislang passiert ist?

Segev: Also ich kann nur hoffen, dass die Palästinenser dem demokratischen Geist aus Ägypten folgen und nicht dem islamischen Radikalismus. Interessant ist wirklich, dass diese Revolution in Ägypten nicht islamischem Radikalismus folgt, sondern wirklich anscheinend etwas näher an der westlichen Demokratie ist. Und ich glaube, dass die Palästinenser vielleicht auch davon beeinflusst werden. Und wenn das so ist, dann kann das nur gut sein für alle. Ich glaube, dass Demokratie in der arabischen Welt nicht nur gut ist für die arabische Welt, sondern auch für Israel und für den Rest der Welt.

Wuttke: Israel und die neue Demokratiebewegung in der arabischen Welt, dazu in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der israelische Historiker Tom Segev. Ich danke Ihnen sehr, einen guten Tag!

Segev: Danke auch!


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