Seelsorge bei der Feuerwehr

Spirituelle Hilfe auf der Wache

07:04 Minuten
Sabine Röhm, die erste Feuerwehrseelsorgerin in Berlin, steht an einen roten Feuermelder gelehnt.
Immer ein offenes Ohr, wenn's brennt: Sabine Röhm ist die erste Feuerwehrseelsorgerin in Berlin. © Deutschlandradio / Ralf Bei der Kellen
Von Ralf Bei der Kellen · 20.09.2020
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Feuerwehrleute erleben häufig Extremsituationen. Sie begeben sich selbst in Gefahr, und nicht immer gelingt es ihnen, andere zu retten. Die Berliner Feuerwehr hat deshalb eine eigene Seelsorgerin eingestellt, die für die Einsatzkräfte da ist.
Die Feuerwache Berlin-Marzahn. Wachleiter Lars Nawrocki steht in der Einsatzleitzentrale. An der Wand hängt ein großer Bildschirm, auf dem die Alarmmeldungen angezeigt werden. Wo früher Einsätze telefonisch weitergegeben wurden, werden heute durch digitale Übermittlung wertvolle Sekunden gespart.

Moderne Zeiten bei der Feuerwehr

"Mittlerweile ist die Feuerwehr ein moderner Haufen geworden", sagt Nawrocki. Dazu gehört auch, dass sie seit einiger Zeit nicht mehr nur der Wunscharbeitsplatz von jungen Männern ist, sondern auch von einer Frau: Sabine Röhm.
Seit Februar 2019 ist Röhm mit 50 Prozent ihrer Arbeitszeit Feuerwehrseelsorgerin. Ihre Dienstherrin ist zwar weiterhin die evangelische Kirche, finanziert wird ihre Arbeit aber von der Berliner Feuerwehr.
"Ich bin Gemeindepfarrerin in Berlin-Moabit gewesen", erzählt Sabine Röhm. "Nach zehn Jahren ist man angehalten zu wechseln, also: mal eine andere Gemeinde zu übernehmen, eine andere Aufgabe. Das war für mich auch Anlass, einfach mal so nachzuschauen, was gibt es denn so, und worauf könnte man sich denn bewerben? Und da kam tatsächlich diese Anzeige, diese Stellenbeschreibung, dass die Feuerwehr jemanden sucht, eine Seelsorgerin. Da hab ich richtig so eine Resonanz in mir gespürt."

Denen helfen, die für mich wachen

Ihre Motivation, die Stelle zu ergreifen, erklärt Sabine Röhm so: "Also, ich kann schlafen, während die für mich wachen sozusagen. Und ich hatte vielleicht auch so ein bisschen den Wunsch, meins dafür zu tun, dass es denen gut geht – und auf diese Art und Weise auch eine Wertschätzung zu geben, ein Dankeschön, dass sie eben da sind."
Für diese Arbeit benötigte die Theologin eine ganze Reihe an Fortbildungen – unter anderem im Bereich der Notfallseelsorge, sowie eine besondere Form der Gesprächsführung, die speziell für die Einsatznachsorge entwickelt wurde. Wobei es eine klare Trennung zwischen der Notfallseelsorge und der Feuerwehrseelsorge gebe, erklärt Röhm:
"Die Feuerwehrseelsorge, also meine Aufgabe, ist tatsächlich, für die Einsatzkräfte vor Ort da zu sein. Und die Notfallseelsorge kümmert sich um die Opfer, um die Angehörigen eines zu Schaden gekommenen Menschen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Also, die kommen und kümmern sich dann eben um diese Familien und bleiben dann auch, und dann können die Einsatzkräfte abrücken und sind wieder frei für den nächsten Einsatz. Während ich tatsächlich für die Feuerwehr da bin. Für alle, die hier arbeiten."

Feuerwehr für die Feuerwehr

"Wir sind alle so aufgewachsen: Brauchste Hilfe, 110, 112", sagt Feuerwachenleiter Lars Nawrocki. "Ja, wen soll denn der Feuerwehrmann anrufen, 112? Da geht der Kollege ran und sagt: 'Wat is denn mit Dir nich richtich?' Und da eben ein Angebot zu haben, dass ich eine andere Nummer habe, wo mir geholfen wird, ist gut – sozusagen die Feuerwehr für die Feuerwehr."
Bislang wurde die Betreuung der Feuerwehrleute über ein Eisatznachsorgeteam abgedeckt, an das man sich wenden konnte. Doch Nawrocki ist offenkundig froh, dass seine Leute mit Sabine Röhm nun eine zusätzliche Unterstützung bekommen. "Für mich ist Frau Röhm die Nummer eins", sagt er. "Für die Berliner Feuerwehr schreiben wir hier aus meiner Sicht Geschichte mit der ersten Feuerwehrseelsorgerin: dass wir wirklich mal eine Andockstelle für uns haben."
Angedockt hat Sabine Röhm bei ihren Feuerwehrleuten längst – immer wieder hört man an diesem Morgen auf dem Flur den Ruf "Hallo, Sabine", wenn sie vorbeigeht. Dass ihr Angebot – das natürlich für alle gilt und das absolut freiwillig ist – auch mal abgelehnt wird, scheint da kaum vorstellbar.

Nächtliche Einsätze sind die Ausnahme

"Na, klar gibt es das", sagt Röhm. "Und das ist auch okay. Also, da lege ich immer ganz großen Wert drauf, dass mein Angebot wirklich freiwillig ist und auch gewollt wird. Ich würde niemandem ein Gespräch aufdrängen, und natürlich gibt es Menschen, die sagen: Das ist gar nichts für mich, ich möchte mit der Seelsorge nichts zu tun haben, ich gehe tatsächlich lieber zu einer Psychologin."
5000 Feuerwehrleute gibt es in Berlin. Die kennt Sabine Röhm natürlich längst noch nicht alle. Aber wo sie schon gewesen ist, von dort ruft man sie auch. Über ihr Diensttelefon ist sie rund um die Uhr erreichbar. Nächtliche Einsätze waren bislang aber eher die Ausnahme. Als Theologin habe sie außerdem noch eine weitere Sonderstellung innerhalb der Feuerwehr, so Röhm:
"Ein wichtiger Punkt ist, dass ich ja Zeugnisverweigerungsrecht habe, also, dass ich vor Gericht nicht aussagen muss: die berühmte Schweigepflicht, Beichtgeheimnis, wie man es auch immer nennt. Was sehr wichtig ist für meine Arbeit, weil es einen Schutzraum bildet, in dem alles gesagt werden kann, was den oder diejenige grade belastet, wirklich alles."

Raum für offene Worte

Wenn die Feuerwehrleute ihr von belastenden Erlebnissen erzählen, entstehen auch bei ihr Bilder im Kopf, die sie sehr mitnehmen und beschäftigen, auch wenn sie selbst nicht vor Ort war. Vor allem natürlich, wenn es um Kinder geht. Auch Todesnachrichten hat sie schon mit überbracht. Wie kommt sie selbst damit klar?
"Ich habe Supervision, und das ist eine gute Sache, das mal auszusprechen, wenn irgendwas Belastendes mich mal beschäftigt", sagt Röhm. "Das ist genau dasselbe Prinzip: Da steht auch jemand unter Schweigepflicht, und das ist für mich der Raum, wo ich mal erzählen kann, wie es mir geht und was die Arbeit mit mir macht."
Davon abgesehen mache sie viel mit sich selbst aus. "Auf spirituelle Weise, das hilft mir persönlich", sagt Sabine Röhm. "Auch wenn die Dinge, die mir manchmal in großer Not erzählt werden, natürlich weniger schön sind, das gehört dazu. Aber ich merke, dass hier richtig bin – und dass ich das sehr, sehr gern mache."
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