Seeheimer Kreis in der SPD

"Ein starker Staat baut Ängste ab"

Bundespolizisten gehen Streife im Hauptbahnhof München.
Die Bundespolizei müsse um 20 000 Mann aufgestockt werden, fordert der Seeheimer Kreis. © dpa / picture alliance / Matthias Balk
Johannes Kahrs im Gespräch mit Dieter Kassel  · 02.02.2016
Die gefühlte Sicherheit soll wieder zunehmen, findet der Seeheimer Kreis in der SPD. Deshalb fordert die Parlamentariergruppe 20.000 zusätzliche Polizisten für die Bundespolizei. Sprecher Johannes Kahrs erläutert die Pläne.
Die Angst der Bürger sei einer der Hauptgründe für den Vorstoß des Seeheimer Kreises, sagte Kahrs im Deutschlandradio Kultur mit Blick auf ein heute veröffentlichtes Forderungspapier der Parlamentariergruppe. Danach solle die Bundespolizei in den kommenden Jahren um 20.000 Mann aufgestockt werden. "Ich glaube, dass ein starker Staat auch Sicherheit garantiert und dass das etwas ist, was Angst abbaut – wenn Menschen glauben, dass sie sich auf den Staat verlassen können." Deswegen müsse man diejenigen stärken, "die ihre Haut dafür herhalten und da täglich stehen, ob es nun bei der Polizei ist oder anderswo".
"Kurzfristig kriegen Sie niemanden her", räumte Kahrs ein. "Aber Sie müssen einfach anfangen." Es werde gewaltiger Ausbildungsanstrengungen bedürfen, wofür man beispielsweise auch pensionierte Polizeibeamte akquirieren könne. "All das muss angepackt werden - und damit müssen wir schnell anfangen." Gleichzeitig müsse daran gearbeitet werden, dass man die bestehenden Stellen attraktiver mache - "dass man dynamische Besoldungssysteme schafft, erleichterte Aufstiegsmöglichkeiten, eine Flexibilität beim Ausgleich, der Abgeltung von Überstunden."
Dass der Seeheimer Kreis mit seinen Forderungen Positionen der AfD aufnehme, wies Kahrs strikt von sich. "Ich glaube, dass es ein grundsätzliches Strukturproblem gibt, AfD hin oder her. Dass wir irgendwo alle mal sparen wollten, auch beim Staat, dass wir einen schlanken Staat haben wollten. Und jetzt merken wir, dass wir vielleicht alle etwas übertrieben haben." Es müsse daher ein klares Signal geben "an die, die da tätig sind und an die, die wir werben wollen, damit sie wissen, dass sie da auch eine Zukunft haben."

Das Gespräch im Wortlaut:

Dieter Kassel: Jetzt beschäftigen wir uns indirekt aus deutscher Sicht mit dem Thema Angst, denn die Angst, die Unsicherheit, die viele Menschen auch bei uns empfinden, die war eine der Gründe für eine Initiative des Seeheimer Kreises, das ist eine Arbeitsgemeinschaft von SPD-Bundestagsabgeordneten. Dieser Seeheimer Kreis hat heute ein Papier zur Sicherheitspolitik veröffentlicht, in dem er eine Stärkung von Polizei, technischem Hilfswerk, Bundeskriminalamt, Zoll, Nachrichtendiensten, Justiz und Bundeswehr fordert. Wir haben das Papier schon gestern bekommen und können jetzt mit dem Sprecher des Seeheimer Kreises, dem Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs darüber reden. Erst mal schönen guten Morgen, Herr Kahrs!
Johannes Kahrs: Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ist dieses Papier auch Ihre Reaktion auf diese Angst, die Fritz Stern gerade beschrieben hat?
Kahrs: Ich glaube, das ist einer der Hauptgründe. Ein weiterer Grund war, dass wir immer über neue Gesetze reden. Meine Kollegen und Kolleginnen von CDU, CSU und andere fordern immer neue Gesetze. Ich finde, wir brauchen keine neuen Gesetze, wir haben Vollzugsdefizite in diesem Land, und wir müssen vor allen Dingen die Menschen stärken, die in diesem Land ihre Haut dafür herhalten und da täglich stehen, ob es nun bei der Polizei ist oder anderswo.

Starker Staat erhöht Sicherheitsgefühl

Kassel: Fritz Stern sprach aber auch davon, dass das, was wir am meisten fürchten müssen, eben die Angst ist. Ist das nicht, was Sie vorschlagen – mehr Polizisten, mehr Soldaten, mehr Zollbeamte –, ist das nicht eine typische Angst, ein typischer Angstreflex?
Kahrs: Ich glaube, dass wir uns einen schwachen Staat nicht leisten können. In der Vergangenheit wurde viel gespart, vielleicht auch wirklich zu viel, und man muss es jetzt umdrehen. Ich glaube, dass ein starker Staat auch Sicherheit garantiert und dass es etwas ist, was Angst abbaut. Wenn die Menschen glauben, dass sie sich auf den Staat verlassen können, dass sie sicher leben, dass sie in einem sicheren Umfeld leben, dann hat man auch nicht so leicht Angst, lässt man sich auch nicht so leicht einschüchtern.
Kassel: Aber da stellen sich ja praktische Fragen, und ich meine da gar nicht mal in erster Linie die Finanzierung, aber wenn Sie zum Beispiel insgesamt rund 20.000 zusätzliche Bundespolizisten fordern, 6.000 neue qualifizierte Mitarbeiter beim Zoll und vieles andere, wo sollen die denn kurzfristig herkommen?
Kahrs: Ich glaube, dass wir ein Problem haben, was die Attraktivität angeht, da haben Sie recht. Man muss auf dem Arbeitsmarkt bestehen können, und deswegen ist es wichtig, dass man nicht nur diejenigen, die man werben will, besser bezahlt, insbesondere bei der Bundeswehr, sondern dass man aber auch gleichzeitig guckt, dass man die bestehenden Stellen attraktiver macht, dass man dynamische Besoldungssysteme schafft, erleichterte Aufstiegsmöglichkeiten, eine Flexibilität beim Ausgleich, der Abgeltung von Überstunden. Grundsätzlich ist es so, dass der öffentliche Dienst nicht so gut zahlt wie die freie Wirtschaft – hat auch andere Vorteile –, aber da muss man vielfach nachbessern.

Attraktivität der Arbeitgeber erhöhen

Kassel: Aber ich stelle mir auch einfach die Frage – Sie sagen ja zu recht in diesem Papier, das ist jetzt kein Plan für die nächsten 50 Jahre, das sollte relativ schnell umgesetzt werden –, es müssen ja Fachleute sein. Wir reden über auch unter anderem eine Modernisierung beim Bundeskriminalamt und bei den Sicherheitsdiensten, wir reden über ... Nehmen wir nur die 6.000 Mitarbeiter des Zolls, das müssen ja Fachleute sein. Wo wollen Sie die denn kurzfristig herkriegen?
Kahrs: Kurzfristig kriegen Sie niemanden her, weil es eben Fachleute sind, aber Sie müssen einfach anfangen. Sigmar Gabriel hat ja schon in der Koalition durchgesetzt – ich meine, dass die SPD das durchsetzen muss, ist schon erstaunlich –, dass es 3.000 neue Bundespolizisten gibt. Die kommen ja nicht von heute auf morgen, sondern da werden in 2016 1.000 eingestellt, in 2017 1.000 und in 2018 1.000, und die werden dann ausgebildet und stehen erst ein Jahr später teilweise und nach drei Jahren erst richtig zur Verfügung.
Hier ist es so, das wird gewaltige Ausbildungsanstrengungen erfordern. Nur, wir müssen irgendwann einfach mal anfangen, wir müssen die Haushaltsgelder bereitstellen, wir brauchen auch Ausbilder. Man muss sich vielleicht auch überlegen, ob man pensionierte Polizeibeamte und andere fragt, ob sie länger dienen, um als Ausbilder zur Verfügung zu stehen. All das muss angepackt werden, und damit müssen wir schnell anfangen.
Kassel: Mehr Polizei, mehr Grenzschutz, mehr Militär – das klingt ja auch alles nach Forderungen der AfD. Wollen Sie deren potenzielle Wähler damit erreichen?

Staat muss klares Signal senden

Kahrs: Wissen Sie, ich glaube nicht, dass man hinter der AfD hinterherrennen muss, sondern ich bin selber Oberst der Reserve. Wir sind in der SPD seit gut anderthalb Jahren dabei, das Thema zu diskutieren. Wir haben das auch umgesetzt teilweise, nicht nur die 3.000 Stellen für die Bundespolizei, wir haben beim THW Stellen aufgestockt, wir haben viel Geld an die Bundespolizei gegeben, lange nicht ausreichend.
Ich glaube, dass es ein grundsätzliches Strukturproblem ist – AfD hin oder her –, dass wir irgendwo alle mal sparen wollten auch beim Staat, dass wir einen schlanken Staat haben wollten, und jetzt merken wir, dass wir vielleicht alle etwas übertrieben haben. Jetzt muss man ein klares Signal geben auch an die, die da tätig sind und die, die wir werben wollen, damit sie wissen, dass sie da auch eine Zukunft haben.
Kassel: Einer der interessantesten Sätze steht für mich ganz am Schluss Ihres neunseitigen Papiers, dieser Satz lautet nämlich, Zitat: "Es geht ebenso um die tatsächliche statistisch messbare wie um die gefühlte Sicherheit", Zitat Ende. Sie geben also zu, sicherer wird es durch 20.000 neue Polizisten vielleicht nicht, aber es fühlt sich so an?
Kahrs: Ich glaube, es ist auch sicherer. Ich glaube, dass die Länder dann natürlich auch nachziehen müssen, ansonsten macht das gar keinen Sinn, aber natürlich ist das subjektive Sicherheitsgefühl wichtig. Wenn ich mich in meiner Stadt, an meinem Hauptbahnhof, wenn ich mich in irgendwelchen Straßen nicht sicher fühle, dann benehme ich mich anders, und dann hat die Angst gewonnen. Da hat der Historiker Fritz Stern vollkommen recht, da hat Roosevelt recht, man darf sich von der Angst nicht besiegen lassen.
Deswegen muss man als Staat gucken, dass man präsent ist und dass die Menschen auch das Gefühl haben, dass es sicher ist, und dazu muss es dann im Ergebnis sicher sein. Dafür braucht man zum Beispiel eine starke Bundespolizei, einen starken Zoll, wo die Beamten aber auch eine Perspektive haben und zufrieden sind. Deswegen braucht es auch viele Einzelmaßnahmen.
Kassel: Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises, einer Arbeitsgemeinschaft von SPD-Bundestagsabgeordneten, über die Vorschläge der Seeheimer zur Stärkung der Sicherheitsbehörden in Deutschland. Herr Kahrs, vielen Dank für das Gespräch!
Kahrs: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema