Seefahrerromantik ade

Von Jens Wellhöner |
Wer kennt sie nicht, die Seefahrerromantik: ein Schiff, ein Steuerrad, ein Kapitän mit großer Mütze. Mit der modernen Seefahrt hat das freilich gar nichts mehr zu tun. Hightech hat längst auch an Bord Einzug gehalten. Eines der modernsten Forschungsschiffe Deutschlands ist die Alkor. Eine ihrer Besonderheiten: Sie kann fast auf der Stelle drehen.
Die Alkor verlässt die Pier in Warnemünde. Ein Schiff nur für die Forschung, mit hohen Aufbauten und einem großen Kran. Langsam schiebt sich die blau-weiß gestrichene Alkor vom Ufer weg. Dabei ist sie fast lautlos.

Kapitän Jan-Peter Lass steht unter freiem Himmel, auf dem Leitstand an Steuerbord, also rechts, direkt neben der Brücke. Der Leitstand ragt über die Bordwand hinaus. Von hier hat der Kapitän einen freien Blick:

"Zum Ablegen hier immer die Idealposition, weil sie immer im Blick haben, wie sie von der Pier weg kommen. Und jetzt gehen wir rein und fahren dann von drinnen weiter."

Das Ruder der Alkor macht das Schiff sehr wendig. Und das ist auch nötig: Denn heute muss Kapitän Lass die Alkor im Schlingerkurs fahren lassen. Der Grund: Meeres-Wissenschaftler machen Tests an Bord. Und haben dafür einen großen Wasserbehälter mitgebracht. Der hängt am Heck der Alkor an einer speziellen Aufhängung. Thomas Hansen, vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften:

"Diese halbkardanische Aufhängung sorgt dafür, dass dieser große Container auf einer Achse gelagert wird und dadurch über eine Pendelbewegung die Bewegung des Schiffes ausgleicht und die kleinen Versuchssäcke, die wir in den Container bringen, schwimmen dann ruhig an einer Oberfläche."

Diesen pendelnden Behälter brauchen die Wissenschaftler für Versuche auf dem offenen Meer. Zum Beispiel vor der Küste Westafrikas: Dort wollen sie ihn mit Meerwasser aus den Tropen füllen. Darin schwimmen winzige Meerespflanzen, das Plankton. Über das die Wissenschaft noch nicht sehr viel weiß. Obwohl es eine wichtige Rolle im Ökosystem Ozean spielt. Zum Beispiel, weil es Sauerstoff produziert. Mit diesem Plankton wollen Biologen im Pendel-Behälter experimentieren. Ulrich Sommer, Meeresbiologe aus Kiel:

"Man kann Nährstoffe höher dosieren. Die Temperatur verändern und die Lichteinstrahlung verändern. Man kann dadurch den Einfluss aller möglichen Umweltfaktoren auf das Plankton untersuchen."

Und damit herausbekommen, ob sich der Klimawandel auf die winzigen Sauerstoffproduzenten im Ozean auswirkt. Diese Versuche auf der offenen See zu machen, spart Zeit und viel Geld. Denn an Land müsste man das Plankton aufwändig am Leben erhalten.

Auf der Alkor vor Warnemünde sind die Forscher nun soweit: Der Schlingertest kann beginnen. Jan-Peter Lass sagt per Telefon seinem Bootsmann Bescheid. Damit keiner an Bord durch die Schiffsbewegung selber ins Schlingern gerät:

"Hallo Jürgen! Ich fahr jetzt Schlingerkurs!"

Der Kapitän greift an einen Joystick, der dient ihm als Steuerruder. Und bewegt ihn leicht nach links. Fast sofort macht die Alkor eine scharfe Drehung von 45 Grad nach Backbord. Nach kurzer Zeit geht es dann nach rechts. Die Ostseewellen schlagen über die Reling.

Die Mannschaft hat sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht, niemand wird von der Welle getroffen. Die Alkor ist so wendig, weil sie zusätzlich zum Heckruder noch einen speziellen Antrieb hat: Die sogenannte Schottel-Steuerung. Ihr Herzstück: Eine Pumpe unter der Wasserlinie.

"Mittschiffs von dem Schottel wird Wasser angesaugt von einer Pumpe. Die kann dann die Richtung bestimmen, an welcher Seite das Wasser wieder herausgedrückt wird. Um dann den Schub zu erzeugen."

Dieser Schub bewegt das Schiff. Die Pumpe ist drehbar: Der Kapitän kann so bestimmen, in welche Richtung sie den Schub erzeugt. Ganz bequem per Steuerhebel von der Brücke aus:

"So kann man das sagen. Und dann in Verbindung mit der Schiffsschraube können sie dann das Schiff quer bewegen, traversieren, in jede Richtung das Schiff bewegen."

Nach etwa einer halben Stunde beendet der Kapitän den Schlingerkurs: Die Alkor fährt wieder ruhig durch die Ostsee. Die Forscher aus Kiel haben in der Zwischenzeit ihre Pendel-Versuche gemacht. Thomas Hansen:
"Funktioniert ganz hervorragend. Sind voll und ganz zufrieden."

Kein Tropfen Wasser ist aus dem Behälter der Wissenschaftler herausgeschwappt, trotz des Schlingerns. Die Alkor kann also wieder Kurs auf den Hafen nehmen.

Wenig später feiern die Forscher im Speiseraum der Alkor den gelungenen Test. Bald können sie den pendelnden Wasserbehälter auf dem offenen Ozean einsetzen. Um mehr zu erfahren über das Plankton, den Sauerstoffproduzenten der Meere.