Sedantag als Mahnung

Blut, Eisen und unrühmliche Geschichte

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Nacht der Schlacht bei Sedan: Ein Gemälde zeigt den siegrreichen Bismarck im Gespräch mit dem unterlegenen Napoleon III., (gemalt von Camphausen).
Bismarck und Napoleon III. nach der Schlacht bei Sedan: Der deutsche Staatsmann eigne sich nicht zum Helden, meint Konstantin Sakkas. © picture alliance / Mary Evans Picture Library
Ein Standpunkt von Konstantin Sakkas · 02.09.2020
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Vor 150 Jahren endete die Schlacht von Sedan: Der Sieg über die französische Armee führte zur Gründung eines deutschen Nationalstaates – und wurde im Kaiserreich zum Gedenktag. Der Publizist Konstantin Sakkas über ein schwieriges Jubiläum.
Sedantag – was ist das? Nun, im deutschen Kaiserreich - und noch darüber hinaus - war der 2. September der inoffizielle Nationalfeiertag, einen offiziellen gab es nicht. Man feierte die Geburt des deutschen Nationalstaats aus "Blut und Eisen".

Ein vergessener Krieg

Heute ist der Sedantag verschwunden in der Rumpelkammer der Geschichte. Historikern gilt der Deutsch-Französische Krieg zu Recht als "vergessener Krieg", und schon 1971 sagte der liberale Bundespräsident Gustav Heinemann in seiner Rede zu 100 Jahren Reichsgründung: Bismarck habe zwar die deutsche Einheit erzwungen, aber er gehöre "nicht in die schwarz-rot-goldene Ahnenreihe derer, die mit der Einheit des Volkes zugleich demokratische Freiheit wollten".
Es ist wahr: Otto von Bismarck eignet sich nicht zum Helden. Wie in einem Heist-Movie, einem Gangsterfilm, hat Bismarck, dieser im Grunde primitive Corpsstudent, die spanische Thronkandidatur eingefädelt, um sie dann bewusst platzen zu lassen und den lautstarken Widerspruch Frankreichs zu provozieren, dem er dann den Mythos von Deutschland als "einig Volk von Brüdern" entgegensetzen konnte.
"Welch eine Wendung durch Gottes Führung", schrieb König Wilhelm I. am Abend von Sedan an Königin Augusta – eine Phrase, aufgeladen mit Pseudotranszendenz, die fortan den Ton angeben sollte bis zum Untergang des Deutschen Reiches 75 Jahre später.

Gehört Deutschland zum liberalen Westen?

Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die "deutsche Frage" hing in der Luft seit den Tagen Napoleons, und damit auch die Frage, ob ein einiges Deutschland zum liberalen Westen oder zum autokratischen Osten Europas gehören würde.
Diese Frage war 1815 auf dem Wiener Kongress nicht entschieden worden, und sie wurde auch durch Bismarck nicht entschieden, der in seiner Bündnispolitik nach 1871 sich und der Welt eine "splendid isolation" vorgaukelte: Von der die deutsche Rechte und auch manche Linke, inspiriert durch Putins Trolle, zwar heute wieder träumen, die aber schon damals reichlich unrealistisch, um nicht zu sagen, politisch naiv war.
In Wahrheit hatte Preußen bereits unter Friedrich dem Großen seine Seele an Russland verkauft, und ohne die Rückendeckung Russlands hätte Bismarck seine drei Einigungskriege nie wagen können. Und so wurde das neue Deutsche Reich trotz eines modernen Wahlrechts, trotz Wirtschaftsbooms und Sozialgesetzgebung – und anders, als es manche Historikerinnen heute insinuieren – zu einem Hort der Reaktion und zu einem Herd der Unruhe.

Bismarck erledigte die Drecksarbeit

Aber zur Wahrheit gehört auch: Bismarck, der grobschlächtige pommersche Junker, hat die Drecksarbeit gemacht, zu der das liberale Deutschland nicht fähig war und die diesem Deutschland durch die liberalen Westmächte England und Frankreich nicht eben leichtgemacht wurde.
Erst die Amerikaner haben 1945 die Deutschen – das heißt: die ehemaligen Westdeutschen – großmütig in den Kreis des Westens aufgenommen, und die gedemütigten französischen Nachbarn haben sich nicht nur damit arrangiert, sondern den Deutschen auch verziehen. Der totale Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 erwies sich so als segensreicher als seine triumphale Begründung ein Dreivierteljahrhundert zuvor.
Wenn aber Bismarck in unsere Ahnenreihe gehört, dann wie ein düsterer, etwas zwielichtiger Ahnherr, der das Vermögen der Familie begründet hat, der dabei aber allzu oft gewissenlos und brutal vorging. Ohne die Einigungskriege, ohne Sedan wäre es in einer Epoche, die Krieg als legitimes Mittel der Politik ansah, wohl kaum zur deutschen Einigung gekommen.
Und so sollten wir uns vielleicht an Sedan erinnern: Als Mahnung daran, dass die Wege der Geschichte – und der Politik – oft krumm und sumpfig sind.

Konstantin Sakkas, Jahrgang 1982, studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte und schloss sein Studium 2009 an der Freien Universität Berlin mit einer Magisterarbeit über Hannah Arendt ab. Er lebt und arbeitet als Publizist und Kommunikationsberater in Berlin.

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