Sechs Monate Haft in der Türkei

Flörsheim kämpft für Deniz Yücel

Teilnehmer einer Mahnwache halten am 13.04.2017 vor der Stadthalle in Flörsheim (Hessen) Schilder mit der Aufschrift "#FreeDeniz" und dem Porträt des in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in den Händen. Der aus Flörsheim stammende Türkei-Korrespondent der Zeitung «Die Welt» wurde Mitte Februar in Istanbul festgenommen. Seit Anfang März sitzt er unter dem Verdacht der Terrorpropaganda in Haft. Foto: Arne Dedert/dpa | Verwendung weltweit
Mahnwache für Deniz Yücel in Flörsheim © dpa
Von Anke Petermann · 16.08.2017
Seit sechs Monaten sitzt der Welt-Korrespondent Deniz Yücel in der Türkei in Haft. Genauso lange kämpft sein Heimatort Flörsheim für seine Freilassung. Doch die Stimmung ist gedrückt. Die Flörsheimer fordern klarere Worte von der Bundesregierung.
Seit genau sechs Monaten sitzt Deniz Yücel in türkischer Einzelhaft, ohne genau zu wissen, warum. Die türkische Regierung wirft dem Türkei-Korrespondenten der "Welt" vor, mit seinen Artikeln Terrorpropaganda gemacht und die Bevölkerung aufgewiegelt zu haben, eine offizielle Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gibt es aber nicht. Nach Yücel selbst hat Anfang August auch sein Arbeitgeber, die WELTN24 GmbH, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Beschwerde gegen die fortdauernde Haft des Korrespondenten eingelegt.
Besonders aktiv in der Solidaritätskampagne für den Inhaftierten ist neben seiner langjährigen Wahlheimat Berlin auch Yücels Geburtsort Flörsheim. Gestern Abend fand dort die monatliche Mahnwache statt.
"Deniz, guter Mann!" Ein kurdisch-stämmiger Rentner, der kaum Deutsch spricht. Junge Familien, deren Kinder über den Platz toben. Eine SWR- Journalistin hat ihre Tochter mitgebracht. Deniz Yücel kennt sie aus der gemeinsamen Theater-AG des Rüsselsheimer Gymnasiums. Ihren Namen sagt sie nicht, sie wolle demnächst ihren Vater in der Türkei besuchen – nur deshalb. "Für mich ist das ehrenwert, hier zu stehen, damit Deniz freikommt. Zu zeigen, dass man hinter ihm steht das ist ganz wichtig, und dass man hinter der Redefreiheit steht."

"Ich wünsche mir wirtschaftlichen Druck"

Dass die Bundesregierung dem türkischen Präsidenten Erdogan gegenüber die Bürgerrechte deutscher Inhaftierter entschlossener vertritt, verlangt die Journalistin mit kurdischen Wurzeln. Druck machen, nicht buckeln soll die Bundesregierung. "Ich wünsch' mir auf jeden Fall einen effektiven wirtschaftlichen Druck, nicht diese Rumbuckelei. Es muss wehtun. Es kann nicht sein. Die Appeasement-Politik, die kann gegenüber dem Ostblock Erfolg gehabt haben. Aber das heißt nicht, dass es im Nahmen Osten funktioniert. Das ist eine ganz andere Baustelle. Da steckt eine ganz andere Mentalität hinter. Die haben kein Demokratie-Verstädnis, was sich im Westen etabliert hat. Das geht mir voll an die Nieren!"
Sigmar Gabriel setze sich zu wenig für die Inhaftierten Journalisten ein, kritisierte auch der Deutsche Journalistenverband den Bundesaußenminister von der SPD. In Flörsheim demonstrieren die sieben Vorstandsmitglieder der örtlichen katholischen Kolping-Familie in orangefarbene Poloshirts.
Die katholische Kolping-Familie zeigt Flagge für Menschenrechte in der Türkei. "Für Meinungsfreiheit und eben auch für die Würde des Menschen, und die sehen wir bei den Inhaftierungen in der Türkei nicht gegeben, und wir sind hier um Flagge zu zeigen und uns einzusetzen für einen Rechtsstaat, den wir hier verletzt sehen", sagt Seelsorger Michael Frost.
Rund 80 Menschen haben sich vor der Flörsheimer Stadthalle versammelt. Eine Mahnwache, die sich keiner wünschte. Zu einem Treffen, das sich keiner wünschte, macht auf dem improvisierten Mini-Podest Bürgermeister Michael Antenbrink von der SPD deutlich: "Wir alle haben gehofft, dass es kein solches Jubiläum geben wird: ein halbes Jahr Mahnwache für Deniz Yücel hat keiner gewollt"

Stilles Demonstrieren

Eine stille Demo, keine Trillerpfeifen, keine Transparent, nur einer hat sich ein Pappschild umgehängt: "Freiheit für Deniz Yücel". Die Mahnwache – kein Massenprotest, aber dass sich jeweils zur Monatsmitte ein paar Dutzend Menschen versammeln, ist für eine Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern schon etwas Besonderes. Wilma Held ist in Gummistiefeln gekommen: nach dem Wolkenbruch steht noch Wasser im Keller. Egal, der Protest gegen die unbegründete Isolationshaft war ihr wichtiger.
"Deniz ist so alt wie mein Sohn. Wenn ich daran denke, dreht sich mir der Magen, für die Eltern finde ich's schlimm, für die Familie finde ich 's schlimm, für seine Kollegen, für uns alle finde ich's schlimm, natürlich."
Ilkay Yücel, Schwester des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel, spricht am 13.04.2017 im Anschluss an eine Mahnwache vor der Stadthalle in Flörsheim (Hessen) mit Teilnehmern. Der aus Flörsheim stammende Türkei-Korrespondent der Zeitung «Die Welt» wurde Mitte Februar in Istanbul festgenommen. Seit Anfang März sitzt er unter dem Verdacht der Terrorpropaganda in Haft.
Deniz Yücels Schwester Ilkay bei der Mahnwache für Deniz Yücel.© dpa
Yücels Schwester Ilkay hatte die Mahnwachen bislang genutzt, um Botschaften ihres Bruders weiterzureichen, im Juni hatte sie folgende vorgelesen: "Eine der ersten Sachen, die ich in diesem Gefängnis gemacht habe, war, die Tagezeitungen Cumhürriyet, BirGün und Evrensel zu abonnieren. Ich lade Sie dazu ein, ebenfalls diese Zeitungen oder eine der wenigen verbliebenen und in jeder Hinsicht unter Druck unabhängigen Medien zu unterstützen!'"

Jeden Monat ein Spruch über Flörsheim

Doch jetzt bei der August-Mahnwache geht die Mittvierzigerin nicht aufs Podest, wirkt bedrückter als sonst, einsilbig. Nichts Neues. "Nein, es ist halt alles beim Alten. Es gibt nichts Neues zu berichten." Dass sich Deniz Briefe wünscht, ist den Flörsheimern bekannt. Und dass die Zensoren im Istanbuler Gefängnis Silivri sie eher durchlassen, wenn sie auf Türkisch verfasst sind, weiß Wilma Held längst.
"Ich schreib' nicht mehr in Deutsch, ich schreib' immer schön in Türkisch. Er kriegt jetzt von mir erstmal jeden Monat einen Spruch über Flörsheim. Und zwar ist das nach dem Gedicht von dem Orhan Veli Kanik 'Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen' und ich hab' das dann umgemünzt, 'ich höre Flörsheim, meine Augen geschlossen'."
Vor der Flörsheimer Stadthalle hat der Rüsselsheimer Metin Yildiz seine Baglama gezückt, ein türkisches Saiteninstrument. "Schön, dass immer noch Leute für ihn zusammenkommen", sagt Yücels Schwester. Immer noch bedrückt, aber vielleicht ein wenig getröstet. "Dass Deniz nicht vergessen wird, ist auf jeden Fall sehr wichtig. Das gibt ihm ja auch Kraft. Also, er kriegt ja auch alles mit, was hier so passiert. Und das gibt ihm auf jeden Fall sehr viel Kraft, das Ganze durchzustehen."
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