Scott Thornley: "Der gute Cop"

Hassverbrechen als Alltagsphänomen

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Das Cover von Scott Thornleys Buch: "Der gute Cop" auf orange-weißem Hintergrund.
Eine weit verzweigte Handlung, die sich auf mehreren zeitlichen Ebenen um die ganz großen Themen dreht: "Der gute Cop" von Scott Thornley. © Suhrkamp / Deutschlandradio
Von Kolja Mensing · 25.09.2020
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"Der gute Cop" von Scott Thornley ist ein langsam erzählter Kriminalroman aus Kanada, in dem es um organisierte Kriminalität und Hassverbrechen geht - und um einen Polizisten, der auf der Flucht vor den eigenen Erinnerungen ist.
Es beginnt mit einer Szene wie aus klassischen Mafia-Film: Bei Bauarbeiten im Hafen von Dunburn, Ontario, tauchen zwei sorgfältig in Plastikfolie verschweißte und anschließend einbetonierte Leichen auf. Die Toten sind brutal entstellt und nur mit Mühe zu identifizieren. Der Bürgermeister würde die Sache am liebsten unter Verschluss halten, da das Bauprojekt – ein spektakuläres Museum, das an den Britisch-Amerikanischen Krieg vor 200 Jahren erinnern soll – politisch aufgeladen ist. Doch die Ermittlungen ziehen schnell größere Kreise: Erste Spuren weisen auf eine Auseinandersetzung zwischen Motorradgangs hin.

Erinnerungen für schlaflose Nächte

Das alles ist nur Anfang: "Der gute Cop" von Scott Thornley ist ein angesichts der brutalen Verbrechen zunächst überraschend bedächtig erzählter Kriminalroman. Detective Superintendent MacNeice und sein Team stoßen auf Baufirmen, die im Umfeld des Museumsprojektes mit harten Bandagen um Aufträge kämpfen und nicht davor zurückschrecken, ihre Interessen mithilfe von schwer bewaffneten Bikern durchzusetzen. Die Ermittlungen gehen allerdings eher langsam und sehr detailliert voran: Für MacNeice scheint der Fall in erster Linie eine Möglichkeit zu sein, seine "skrupellos genaue Beobachtungsgabe" auf etwas anderes zu richten, als auf die Erinnerungen an seine jüngst verstorbene Frau, die ihn in seinen schlaflosen Nächten einholen.
Doch dann zieht das Tempo an. Ein zweiter Fall kommt hinzu – eine ganze Serie von Hassverbrechen gegen "ehrgeizige junge Frauen, die einer Minderheit angehören": eine bengalisch-kanadische Schwesternschülerin und eine südafrikanische Medizinstudentin werden mit einem Messer attackiert und ermordet, eine koreanisch-kanadische Uni-Sportlerin lebensgefährlich verletzt. Das alles in schneller Folge. MacNeice setzt alles daran, den Täter zu stellen – und geht das Risiko ein, eine muslimische Polizistin als Lockvogel einzusetzen. Wirklich: ein guter Cop?

Eine ganze Welt in einem Kriminalroman

Scott Thornleys Thriller ist ein gutes Beispiel für den ganz besonderen, eher traditionsverhafteten Weg der kanadischen Spannungsliteratur. Die Bereitschaft, Schritt für Schritt und fast gemütlich dem Protokoll der polizeilichen Ermittlungsarbeit zu folgen, ist ein Erbe des guten alten englischen Krimis und trifft hier auf literarische Ambitionen, die an den Roman des 19. Jahrhunderts erinnern: mit einem strauchelnden Protagonisten wie MacNeice, der vergeblich einer von Toten bevölkerten Welt zu entfliehen versucht – und mit einer sich weit verzweigenden Handlung, die sich auf mehreren zeitlichen Ebenen um die ganz großen Themen dreht. Es geht um Schuld und Sühne, Rache und Ressentiment, Erinnerung, Politik oder Identität.
"Der gute Cop" versucht, eine ganze Welt in einem Kriminalroman einzufangen. Umso bestürzender ist der Blick aus den blutverschmierten Fenstern dieser Romanwelt zurück in eine Wirklichkeit, in der Hassverbrechen schlicht zu einem Alltagsphänomen geworden sind.

Scott Thornley: "Der gute Cop"
Aus dem kanadischen Englisch von Karl-Heinz Ebnet und Andrea O’Brien
Suhrkamp, Berlin 2020
523 Seiten, 16 Euro

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