Scientology

Kirche, Sekte, Geldpresse

Von Doris Anselm · 23.03.2014
Indoktrination, Isolation, komplexe Hierarchien: Die Sekten-Expertin Ursula Caberta und der US-Journalist Lawrence Wright geben in ihren Büchern aufschlussreiche Einblicke in das System Scientology.
Vor 75 Millionen Jahren hat ein Bösewicht aus dem Weltall die Menschen in einen Vulkan gestopft und diesen mit zwei Wasserstoffbomben zur Explosion gebracht. Glücklicherweise wurden die Menschen gerettet. Soweit die Schöpfungsgeschichte – laut Scientology.
Warum einer solchen Story auch weiterhin Menschen folgen, hat Ursula Caberta den Deutschen erklärt. Das war 2007 in ihrem "Schwarzbuch Scientology", von dem sie jetzt eine ergänzte und überarbeitete Version vorlegt. Auffällig ist: Den Mythos und die fast ebenso bizarre Geschichte der Sekte an sich verbannt die Autorin aus dem ersten Kapitel.
Fast wirkt es, als ob ihr das Ganze selbst ein wenig zu faszinierend klingt: Der okkultistisch interessierte Groschen-Heft-Autor L. Ron Hubbard, der in den 50er-Jahren eine Religionsgemeinschaft gründet, vermutlich, weil das – im Gegensatz zum Verkauf seiner Bücher – in den USA steuerfrei ist.
Nein, Caberta beginnt gleich dort, wo sie sich als ehemalige Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology der Hamburger Innenbehörde am besten auskennt: Bei den Strategien der Sekte, Mitglieder zu werben und an sich zu binden. An denen habe sich in den vergangenen Jahrzehnten wenig geändert:
"Die Einheiten haben einen klar umschriebenen Auftrag: das ‚Raw Meat‘ von der Straße zu holen. ‚Raw Meat‘ – rohes Fleisch, so werden intern diejenigen bezeichnet, die angeworben werden sollen. Auf der Straße, im Kollegenkreis, in der Familie, in Vereinen oder anderen Institutionen."
Parallelen zu einem totalitären politischen System
Weiterhin im Einsatz sei der so genannte "kostenlose Persönlichkeitstest", der Neugierigen belastende Probleme unterschiebe, für die Scientology dann Lösungen anbiete. Und diese seien vor allem eines: teuer.
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Cover: "Scientology. Die ganze Wahrheit" von Ursula Caberta© Gütersloher Verlagshaus
Ist das ganze Gebilde also überhaupt eine "Kirche", zumindest Sekte, oder lediglich eine gigantische Geldpresse, die ihre Mitglieder ausquetscht? In Deutschland ist das eine gesetzlich brisante Frage – die USA hingegen, Mutterland der Organisation, erlauben einen sehr viel weiteren Kirchenbegriff.
Vor kurzem ist ein anderes Buch über Scientology erschienen, von dem US-Journalisten Lawrence Wright. Es ist dreimal so umfangreich wie Cabertas Werk und stellt die Kirchenfrage trotzdem nicht. Dennoch sind sich Wright und Caberta in einem einig: Glaube wird bei Scientology regelrecht "produziert". Durch schrittweise Indoktrination, Isolation, Austausch von Vokabular und durch komplexe Hierarchien, die Aufstiegssehnsucht wecken.
Ursula Caberta sieht bei Scientology mehr Ähnlichkeiten zu einem totalitären politischen System als zu einer Kirche.
"Das Hineinwachsen in das Kontrollsystem wird durch verschiedene Mittel begünstigt. Eines davon ist die Maßgabe, […] dass bei richtiger Anwendung der Scientology von allen Aktiven immer höhere 'Statistiken' produziert werden."
Jedes Mitglied muss linientreu funktionieren
Diese Statistiken können sich auf die Anzahl geworbener Menschen beziehen, auf die Höhe von Spenden oder auf Aktionen, die das Ansehen von Scientology verbessern.
"Demnach kann es immer nur bergauf gehen; Rückschläge sind einzig und allein auf die Tatsache zurückzuführen, dass irgendjemand nicht linientreu funktioniert. Hohe Statistiken, dafür arbeiten und kämpfen die Scientologen untereinander und stehen somit in Konkurrenz."
Das sei keine Kirche, sagt Ursula Caberta. Nach wie vor plädiert sie für ein Verbotsverfahren gegen Scientology. Weil das kompliziert ist und bisher nie zustande kam, widmet sie sich ein Kapitel lang nur den rechtlichen Möglichkeiten dafür.
Am aussichtsreichsten, so meint sie, wäre die Feststellung, dass Scientology Deutschland kein eigenständiger Verein ist, sondern abhängig von der Mutterorganisation in den USA. Das bestreitet Scientology mit gutem Grund: Derartige "Ableger" lassen sich nach deutschem Vereinsrecht leicht verbieten, wenn sie, so heißt es sehr offen, Interessen der Bundesrepublik gefährden.
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Cover: "Im Gefängnis des Glaubens. Scientology, Hollywood und die Innenansicht einer modernen Kirche" von Lawrence Wright© Deutsche Verlagsanstalt München
Scientology wird seit 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet – mit eher dünnen Konsequenzen. Nach letztem Stand soll die Beobachtung sogar eingeschränkt werden.
"Hilfreich wäre sicherlich, wenn die Verfassungsschützer nicht mehr ihr Hauptaugenmerk auf die Mitglieder richten würden, sondern einmal intensiver recherchieren würden, wie weit eigentlich der Einfluss in Politik und Justiz gediehen ist."
Doch gleich darauf gibt Ursula Caberta sich resigniert:
"Vielleicht ist es zu viel verlangt, dass deutsche Behörden einen mit Sitz in den USA agierenden Verein verbieten wollen, der inzwischen wohl unbestreitbar politischen Einfluss auf die US-amerikanische Administration besitzt. Dabei ist dann wohl nicht von großer Relevanz, was in dieser Organisation passiert und wie verfassungsfeindlich sie daherkommt."
Scientology steckt in der Krise
Vielleicht hat die nachlassende staatliche Aufmerksamkeit aber auch schlichtere Gründe. Es stimmt zwar, dass alle internen Papiere, die von Scientology nach außen gelangen, weiterhin praktisch die Weltherrschaft als Ziel setzen. Und finanziell ist die Organisation nach wie vor ein Imperium.
Doch Scientology steckt auch tief in der Krise. Mitgliedszahlen stagnieren und Aussteiger vernetzen sich per Internet. Cabertas amerikanischer Autorenkollege Lawrence Wright baut sein ganzes Buch entlang der Aussteiger-Geschichte des prominenten Regisseurs Paul Haggis auf. Und der langjährige Star am Scientology-Himmel, Hollywoodschauspieler Tom Cruise, gilt seit einigen grotesken Fernsehauftritten einem großen Teil des weltweiten Kinopublikums als völlig durchgedreht.
So hat es auch etwas Bitteres, wenn die Hamburger Anti-Sekten-Kämpferin Ursula Caberta standhaft auf ihrem Posten bleibt. Ihr Buch ist höchst informativ, kompakt und gibt stellenweise auch darüber Aufschluss, welche Mechanismen des Glauben-Machens immer wieder funktionieren. Denn die gibt es nicht nur bei Scientology.

Ursula Caberta: Scientology. Die ganze Wahrheit
Gütersloher Verlagshaus, Februar 2014
192 Seiten 17,99 Euro, auch als ebook

und

Lawrence Wright: Im Gefängnis des Glaubens
Scientology, Hollywood und die Innenansicht einer modernen Kirche
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer
Deutsche Verlagsanstalt München, Sep 2013
624 Seiten, 24,99 Euro, auch als ebook erhältlich

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