Science-Fiction-B-Movie in Romanform

19.06.2007
Als der Roman vor vier Jahren im Original erschien, hatten viele spanische Kritiker für Javier Calvo so viel Lob übrig, dass sich der Autor angeblich selbst ein bisschen erschreckt hat. Aber es setzte auch schon harsche Kritik: Calvos Vorbild Thomas Pynchon als bedeutender Vertreter der Postmoderne würde sich wegen der dick aufgetragenen Sex-Szenen mit Grausen abwenden.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Der japanische Kultregisseur Matsuhiro (Mat) Takei hat einen preisgekrönten Horror-Streifen gedreht: "Die Mutanten von Hokkaido". Jetzt macht er sich auf nach London, um den dortigen Produzenten seine neue Filmidee schmackhaft zu machen. Es soll die dramatische Chronik einer globalen Katastrophe sein: Der Zusammenbruch des menschlichen Nervensystems durch hohe elektromagnetische Strahlung.

In London bekommt es Mat Takei mit dem Produzenten Spencer Sykes zu tun, berüchtigt als "korruptester und verkommenster Hurensohn ganz Englands" und mit der sexsüchtigen Möchtegern-Diva Andrea Seymur-Willard.

In diesem hinterhältigen Milieu kommt Mat nur schwer zurecht. Das Filmprojekt scheint verloren zu gehen. Und: Die Menschen, die Mat umgeben, zeigen immer deutlicher genau die Symptome, die Thema seines Films sein sollten.

Der Roman kommt frech daher und schert sich nicht um Konventionen. Calvo erzählt flüssig und direkt, und er springt geradezu zwischen Szenen hin und her, vermischt dabei die Ebenen seines geplanten Drehbuchs mit den Geschehnissen in London und dann auch noch mit dem Inhalt des ersten Films. Die schnellen "Schnitte" sind inhaltlich sinnvoll, und der Autor kann hier seine andere Profession, das Drehbuchschreiben, nicht verleugnen.

Das Thema des vom Regisseur geplanten Films, die Zerstörung des menschlichen Nervensystems durch elektromagnetische Strahlung, bleibt Leitmotiv im Roman. Sind nur die "Filmhelden" betroffen, oder ist nicht schon die halbe Welt infiziert und geschädigt? Kann man überhaupt erkennen, ob man noch normal ist oder nicht schon zu den Opfern gehört und, falls ja, ist man dann noch befugt und in der Lage, über die Aussage eines Films zu befinden, der genau dieses Problem thematisiert?

Die Helden drehen sich also im Kreis, und das ist beabsichtigt; aber auch der Leser muss, ja soll durcheinander kommen. In dieser Hinsicht zeigt Calvos Roman seine eigentliche Größe: Es zeigt sich, dass uns die Welt längst entglitten ist. Wir können nur noch darüber lamentieren, ob es richtig gewesen ist, alles Moderne, jede Neuerung, als sakrosankt hinzunehmen. Aufhalten können wir nichts mehr. Was bleibt, ist der Tanz auf dem Vulkan. Wenn er diese Erkenntnis vermitteln kann, ist Calvos Roman ein weises Buch.

Ärgerlich in "Der spiegelnde Gott" ist die schier unersättliche Selbstbedienung in der Hardcore-Sex-Ecke. Calvos Schilderungen sind so dick aufgetragen, dass man mit böser Zunge fragen möchte, ob der Autor etwa in der gleichen Klemme gesteckt hat wie seine Hauptfigur Mat Takei bzw. ob spanische Verleger und Verlegerinnen genau so gestrickt sind wie die Londoner Filmproduzenten.

Javier Calvo wurde 1973 in Barcelona geboren und lebt als Autor, Drehbuchschreiber und Literaturkritiker abwechselnd in seinem Geburtsort und in New York. Calvo hat eine ganze Reihe von Autoren ins Spanische übersetzt, unter anderen Ezra Pound, John Maxwell Coetzee und David Foster Wallace.

Rezensiert von Roland Krüger

Javier Calvo: Der spiegelnde Gott
Aus dem Spanischen von Beate Bauer und Sancho Panza
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007
394 Seiten, 25 Euro