Schwungvoll-ketzerische Gesellschaftssatire

Rezensiert von Maike Albath · 24.02.2006
Dem römischen Schriftsteller Alessandro Piperno gelingt mit seinem Debütroman "Mit bösen Absichten" ein eindringliches Porträt einer jüdisch-katholische Familie aus der feinen römischen Gesellschaft. Ohne Scheu beschreibt der Autor sexuelle Entgleisungen, die Tabubrüche gehören zum erzählerischen Programm.
Alessandro Pipernos Debüt war ein Coup: aus dem Stand landete der 1972 in Rom geborene Universitätsdozent und Proust-Spezialist mit seinem Erstling Mit bösen Absichten einen Bestseller und erzeugte einen gewaltigen Medienrummel. Judentum und Katholizismus, Holocaust und Aufschneiderei, platonische Liebe und sexuelle Entgleisungen - Piperno kennt keine Scheu und liefert die irrwitzigsten Brückenschläge.

Im katholischen Italien freute man sich über die politische Unkorrektheit, feierte die opulente Beschreibungslust, lud den Schriftsteller zu Talkshows ein und rief Piperno als neuen Hoffnungsträger der jungen italienischen Literatur aus. Was hat es nun mit diesem Roman auf sich?

Mit bösen Absichten setzt schwungvoll-ketzerisch ein und macht schon im ersten Satz die unersättliche Leidenschaft des Patriarchen einer jüdisch-katholischen Familie zum Thema: Bepy, der Großvater des Ich-Erzählers Daniel, erkrankt an einem Blasentumor und fragt seinen Arzt als erstes, ob eine Operation seine genitale Potenz in Gefahr bringe. Dabei stünden durchaus noch andere Probleme an, auch jenseits der lebensbedrohlichen Krankheit.

Der standesgemäß verheiratete Tuchhändler ist nämlich völlig bankrott, aber seinen großspurigen Lebensstil hat er sich deshalb nicht abgewöhnt. Neben einer weitläufigen Wohnung in dem elegantesten Viertel von Rom gehören dazu eben auch entsprechende Autos, Pelze für die Gattin, Manschettenknöpfe, ein untadeliger Anzug und eine Geliebte.

Aber was soll Bepy mit einer Geliebten, wenn er nur noch als eine Art Kastrat dahin siecht? Ein operativer Eingriff kommt für den manischen Frauenhelden nicht in Frage, lieber geht er aufrecht in den Tod. Genussvoll breitet sich der erzählende Enkel über die sexuellen Praktiken seines Großvaters aus und schildert gleichzeitig, wie dessen fortwährend zur Schau gestellte Manneskraft ihn in die Defensive treibt.

Im selben Atemzug schildert Daniel den speziellen Umgang seiner jüdischen Großeltern mit der Vergangenheit. Im Unterschied zu vielen Verwandten im Ausland blieb ihnen die Deportation erspart. Die Verfolgung und Ermordung der Juden wird totgeschwiegen, so als schäme man sich dafür. In anderer Form kommen die tiefen Verwundungen natürlich überall zum Vorschein und prägen die Familie bis in die dritte Generation.

In weitläufigen Erzählschleifen stellt Daniel ein Mitglied seiner Sippe nach dem anderen vor: Tanten, Onkel, Cousins, zu denen sich Freunde, Bekannte und Geschäftspartner hinzu gesellen. Allmählich gewinnt das großbürgerliche Milieu Konturen. Nach seinem Großvater Bepy Sonnino kommt sein Vater Luca an die Reihe, ein erfolgsbesessener Albino, der seinem Aussehen zum Trotz mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein ausgestattet ist.

Als der wirtschaftliche Ruin seines Vaters ruchbar wird und seine schwerreiche angeheiratete katholische Familie vor Entsetzen über die Schande erstarrt, spuckt Luca in die Hände und reißt das Ruder rum. Seine Söhne – unser Gewährsmann Daniel und dessen Bruder – sind wegen ihrer katholischen Mutter keine Juden, weshalb es Daniel am Grab seines Großvaters verboten wird, das Kaddisch zu sprechen.

Die Unsicherheit über die eigene Identität wird Daniel bis ins Erwachsenenalter verfolgen. An das Porträt des Vaters schließt sich eine Feldstudie der mütterlichen Familie an; ein nach Israel ausgewanderter Onkel, bei dem Daniel die Sommerferien verbringt, ergänzt den Reigen.

Im Verlauf des Romans mausert sich das Familien-Psychogramm zum Gesellschaftspanorama. Eine zweite Zeitebene kommt ins Spiel: Daniel reist kurz nach dem 11. September 2001 in die USA, um dort einen Vortrag über die antisemitischen Tendenzen jüdischer Autoren zu halten, was er in bewährt provozierender Manier zu seinem Forschungsgegenstand gemacht hat.

In Rückblenden erfahren wir dann Einzelheiten über Daniels Jugend. Unser Held trat als römischer Woody-Allen-Verschnitt in Aktion und entwickelte eine handfeste Neurose: überzeugt von seiner Impotenz, klaute der Halbwüchsige Unterwäsche und Strumpfhosen aus den Badezimmern seiner Freundinnen und entwickelte einen bizarren Fetischismus.

Ausgerechnet die Enkelin eines einflussreichen Geschäftspartners seines Großvaters wird zum Objekt seiner Begierde: die blonde, hellhäutige Gaia, ein entzückendes Mädchen, die sich mit Daniels bestem Freund einlässt und Daniel höchstens als Berater oder Einkaufsbegleiter benötigt. Natürlich, man ahnt es schon, mündet alles in eine finale Katastrophe, bei der sich Daniel seinen guten Ruf endgültig verspielt.

Alessandro Piperno hat ein erstaunliches Debüt geschrieben. Ihm gelingt ein eindringliches Porträt des jüdischen Milieus, aufgelockert durch Genreszenen über die Gepflogenheiten der römischen jeunesse dorée. Tabubrüche gehören zu seinem erzählerischen Programm, und Piperno findet Geschmack an skurrilen sexuellen Gewohnheiten, womit er an Alberto Moravia anknüpft. Überhaupt spielt er in einem Fort auf literarische Vorbilder an.

Sein Held ist äußerst gefallsüchtig und glänzt gern mit seiner Bildung; allenthalben fließen Schriftstellernamen und Romantitel in seine ausschweifenden Ausführungen ein. Von amerikanisch inspirierter Kurzsatzprosa, wie man sie von deutschen Jungautoren gewohnt ist, keine Spur, statt dessen stehen Proust und Thomas Mann Pate.

Manchmal allerdings wird ihm seine Beschreibungsmanie zum Fallstrick: dann tritt die Geschichte auf der Stelle. Dennoch sticht Pipernos Erstling aus dem Einerlei der Debütanten hervor. Mit bösen Absichten ist ein amüsanter Gesellschaftsroman mit einem gewissen Tiefgang.


Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten
Aus dem Italienischen von Marianne Schneider
S. Fischer Verlag, 362 Seiten. 18, 90 Euro.