Schwindender Einfluss der Kirchen im Parlament

Josef Winkler im Gespräch mit Nana Brink · 23.11.2012
Kirchliche Verbände sollten sich in der Politik stärker zu Wort melden, meint der Bundestagsabgeordnete Josef Winkler von den Grünen. Viele Kirchenleute würden das Parlament meiden, da sie politische Kompromisse oft nicht mit ihrem Glauben vereinen könnten.
Nana Brink: Für die vielen Katholiken sind die kommenden Tage von besonderem Interesse, denn nach aller Turbulenz in den letzten Jahren versprechen sie, vor allem die Stimme der Kirchenmitglieder hörbar zu machen: Heute beginnt in Bonn die Herbstversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, kurz ZdK genannt, die Dachorganisation der katholischen Laien in der Bundesrepublik. Eines hat der Missbrauchsskandal, der die Kirche 2010 erschütterte, wohl gebracht: Die Gesprächskultur in der katholischen Kirche ist offener geworden. Auch an Tabus wie der Umgang mit Geschiedenen, das Zölibat, Priesterweihe für Frauen wird nun gerüttelt, und die Kirche, zumindest viele ihrer Mitglieder, fragen sich auch: Welche Stellung hat die Kirche eigentlich noch im politischen Dialog?

Und diese Frage möchte ich jetzt erörtern mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Josef Winkler, er ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, und ich habe ihn gefragt, ob es nach der Bundestagswahl 2013 immer weniger Abgeordnete geben wird, die aus dem kirchlichen Umfeld kommen, wie der Chef des ZdK, Alois Glück, behauptet.

Josef Winkler: Also die Listen sind natürlich noch nicht alle aufgestellt und die Direktkandidaten auch nicht, aber ich denke, Herr Glück hat jetzt nicht konkrete Personen im Blick gehabt, sondern eine allgemeine Entwicklung skizziert, und das stimmt: Wir haben immer weniger Chefs von kirchlichen Organisationen und Verbänden im Bundestag sitzen, und es sieht nicht danach aus, als ob sich daran im Positiven etwas ändern würde.

Brink: Warum sind immer weniger Menschen aus dem Umfeld der Kirche bereit, ein öffentliches Amt auszuüben, Politiker zu werden? Was haben Sie für eine Erklärung dafür?

Winkler: Also es gibt eine Abneigung gegenüber, sage ich mal, ... aus unklaren Positionen, und wir sind ja im politischen Prozess tagtäglich gezwungen, Kompromisse zu suchen, das müssen keine faulen Kompromisse sein, aber wir müssen jeweils von unseren eigenen Positionen abweichen, um gemeinsam mit anderen Parteien uns auf eine Position zu verständigen. Und das ist eben was, was bei schwierigen grundsätzlichen Glaubensfragen von vielen als nicht zumutbar angesehen wird, und deshalb wollen sie sich in diesen Prozess nicht reinbegeben.

Brink: Nun sind Sie ja grüner Abgeordneter und Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken. Geben Sie mir doch ein Beispiel: Ging es Ihnen auch schon mal so?

Winkler: Ja, es ist natürlich zum Beispiel bei der Frage, wie gehen wir mit dem Abtreibungsrecht um und so weiter, natürlich eine Situation, wo meine Fraktion eine sehr klare Position hat, die sich an den Frauenrechten orientiert, und die katholische Kirche nun eine ganz entgegengesetzte Positionierung hat. Aber es geht auch manchmal genau umgekehrt: Bei der Präimplantationsdiagnostik und bei der Stammzellforschung, da kommen eher die CDU-Abgeordneten in Bedrückung. Und das sind eben Situationen, wo man dann entscheiden muss: Geht es jetzt primär um den Kompromiss, um, sage ich mal, die Vermeidung der schlechtestmöglichen Variante der Gesetzgebung, und die muss dann aber auch nicht unbedingt der katholischen Position entsprechen, oder orientiert man sich knallhart an der Parteilinie? Das ist immer eine Abwägungssache, und das muss jeder Abgeordnete mit seinem Gewissen dann auch selbst ausmachen.

Brink: Wie haben Sie das denn gelöst?

Winkler: Also wir hatten ja jetzt den zurückliegenden Wahlperioden das Abtreibungsrecht nicht mehr angefasst. Insofern - das war jetzt eine Frage, die ich, sage ich mal, die sich mir dann erst stellen würde, wenn mal wieder ein Gesetzgebungsverfahren zur Lockerung oder Verschärfung der Abtreibungsregelungen anstünde. Aber bei der Stammzellforschung zum Beispiel, das ist ja letztlich die ähnliche Frage - wann beginnt das menschliche Leben und was darf man damit machen, kann man es verzwecken zugunsten anderer Menschen, das ist ja letztlich die Frage bei der Stammzellforschung: Kann man Menschenleben töten, beginnendes Leben, um Medikamente zu entwickeln, die anderen Menschen helfen? -, da bin ich der Meinung, das geht so nicht, man kann nicht eines gegen das andere aufwägen.

Interessanterweise: In der CDU/CSU-Fraktion war eine knappe Mehrheit dafür, dass man das lockert und den Stichtag verschiebt, bis zu dem solche Zellen noch erzeugt werden können. Also Sie sehen, das geht auch im Bundestag nicht mehr nach klaren Parteilinien. Es gibt da zwar eine Partei oder zwei Parteien, die sich christlich nennen, aber deshalb nicht zwangsläufig die Position einnehmen, die die Kirchen sich wünschen.

Brink: Aber dann ist bei Ihnen sozusagen - zwei Herzen wohnen, ach, in meiner Brust -, dann ist sozusagen der Grüne etwas zurückgetreten hinter dem Katholiken Winkler?

Winkler: In dem Fall war es so, dass die Fraktion fast geschlossen gegen die Erweiterung der Stammzellforschung gestimmt hat, die einen aus katholischen Gründen - das werden die wenigsten gewesen sein -, die anderen eben aus allgemeinen ethischen Überlegungen und andere auch, weil sie das schlicht und ergreifend nicht einsehen, dass man Geschäfte macht mit Stammzellen, die eben eigentlich sich zu menschlichem Leben weiterentwickeln können.

Brink: Das führt mich aber zu der ganz grundsätzlichen Frage: Muss sich denn die Kirche in ethischen Fragen mehr einmischen in den politischen Prozess? Wir hatten ja mal eine Diskussion hier in der Bundesrepublik, wo man ganz stolz war, dass der Einfluss der Kirchen ja zurückgedrängt worden ist. Muss das umgekehrt werden?

Winkler: Also ich denke, es ist richtig, dass die Kirchen nicht mehr wie in früheren Jahrzehnten klare Wahlempfehlungen geben, sich an eine Partei ketten und im Umkehrschluss die anderen ablehnen, sondern dass es in jeder demokratischen Partei inzwischen engagierte Katholiken oder Protestanten gibt. Und es sind vielleicht nicht genügend und man kann denen alleine das nicht überlassen, weil ich bin zuallererst Volksvertreter und nicht irgendwie das katholische U-Boot im Bundestag, das wird bei den anderen Kollegen auch so gehen, und ich bin für alle Bürger da, egal, welchen Glauben die haben oder ob sie überhaupt einen haben.

Aber trotzdem finde ich: Die Verbände, die sind ja zum Teil mit hunderttausenden Mitgliedern, das ZdK als Dachverband oder eben bei der EKD die entsprechenden Verbände und Einrichtungen, die sollten sich durchaus stärker vernehmen lassen, und in den Medien natürlich auch, da gilt das Gleiche, der Einfluss, den sie früher dort hatten, den haben sie auch nicht mehr. Also man muss mehr für sich werben und für seine Positionen werben, vernehmbarer werden, als das bisher der Fall ist. Da hat insbesondere uns als katholische Kirche natürlich auch sehr geschadet der Missbrauchsskandal und der zunächst zögerliche Umgang damit. Das hat uns viel Reputation gekostet, und dann ist man auch nicht ganz so offen, Positionen, sage ich mal, zu akzeptieren oder sich zu eigen zu machen, wie das früher vielleicht der Fall war.

Brink: Der grüne Bundestagsabgeordnete Josef Winkler, Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken. Schönen Dank, Herr Winkler, für das Gespräch!

Winkler: Ja, gerne!

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