Schwimmen im Müll

Von Johannes Halder · 03.07.2012
Im Pazifischen Ozean schwimmt ein riesiger Strudel aus Plastikmüll, so groß wie Mitteleuropa. Mit der Ausstellung "Endstation Meer? – Das Plastikmüll-Projekt" rückt das Zürcher Museum für Gestaltung das Umweltproblem ins Bewusstsein.
In der Ausstellungshalle des Züricher Museums türmt sich Müll, nichts als Müll. Tonnenweise Taue, Fischernetze, Bojen und Bälle, Flaschen und Behälter, vom Salzwasser angefressen und alles aus Plastik. Draußen auf dem Rasen steht ein Überseecontainer, 70 Kubikmeter passen hinein, und die hat man hier ausgekippt, sagt Museumsdirektor Christian Brändle:

"Der größte Teil kommt aus dem Ozean vor Hawaii, aber auch aus der Ostsee; und dieser Müll wurde in mühseligster Kleinarbeit an den Stränden zusammengetragen."

Es ist etwa die Menge Plastikmüll, die alle 12 Sekunden ins offene Meer gespült wird. Und dass das hier gezeigt wird, hat seinen Grund:

"Als Designmuseum kümmern wir uns meist ja um die Entwurfsprozesse, um besonders gelungenes Design. Und uns hat interessiert, einmal zu schauen, was bleibt denn am Schluss eigentlich übrig, was hinterlassen wir? Wie endet Design? Und dazu ist dieser Müll ganz ausgezeichnet geeignet."

Ein paar ausgewählte Stücke aus dem Müll hat man ästhetisch aufbereitet und präsentiert sie wie kostbare Skulpturen: weiße Bootsfender, die aussehen wie Knochenfunde, eine gelbe Zahnbürste, einen aufgeschlitzten Ball oder die Sohle einer Plastiksandale.

"Die Objekte haben eine ganz eigentümliche Ästhetik, fast eine gewisse Würde. Sie haben Alter auf dem Buckel, sie haben Patina. Und das gibt ihnen dann doch eine gewisse eigentümliche Attraktivität."

Von anderen Objekten hat man kunstvolle Zeichnungen angefertigt, die sie aussehen lassen wie archäologische Fundstücke.

"Wir betreiben hier die Archäologie der Zukunft. Das ist, was übrig bleibt von uns. Und so konnten wir beispielsweise auch die wissenschaftlichen Illustratoren der Züricher Hochschule der Künste gewinnen, dass sie uns diese einzelnen Objekte so abzeichnen, wie sie es eben auch mit einem römischen Fund tun: Was bleibt von unserer Gesellschaft übrig."

Doch der Plastikmüll ist kein ästhetisches Problem. Erschütternde Fotos sind zu sehen von verwesten Seevögeln, zwischen Skelett und Gefieder jeweils ein Häufchen bunter Plastikmüll, der sich in ihren Mägen angesammelt hatte und an dem sie verendet sind.

Den Fischen geht es nicht anders. Auch sie schnappen die Plastikteilchen auf, und Endstation des Mülls ist schließlich nicht das Meer, sondern der Mensch, sagt Kuratorin Angeli Sachs.

"Das Problem ist auch, dass das Plastik sich immer mehr zersetzt und wirklich in mikrofeine Partikel zerlegt wird, die dann ihren Weg in die Nahrundkette finden. Das heißt, wir bekommen das Problem leider direkt auf unseren Teller zurück."

Dass man die giftige Plastiksuppe auslöffeln könnte, ist eine Illusion. Da sich das träge Kunststoff-Karussell in internationalen Gewässern dreht, fühlt sich keine Regierung verantwortlich, das Meer zu säubern, und die schwimmende Deponie wächst immer weiter an.

Christian Brändle: "Ein normal schwimmendes Objekt hat von Kalifornien oder von Tokio bis ins Zentrum dieses Müllstrudels etwa sieben Jahre, und es wird auch die nächsten paar hundert Jahre dort bleiben."

Die Schau führt uns das apokalyptische Ausmaß des Problems eindrucksvoll vor Augen. Etwa den Kontrast zwischen der kurzen Nutzungsdauer von Plastikprodukten und ihrer extremen Langlebigkeit als Abfall. Sie klärt auf über Kunststoffsorten und Materialkreisläufe, erläutert Strategien der Müllvermeidung und mündet schließlich in einen Appell an Designer und Produktgestalter, an Politik und Kunststoffindustrie, vor allem aber an die Adresse der Konsumenten. Und dennoch sagt Christian Brändle:

"Es liegt uns also fern, Plastik als des Teufels zu verurteilen. Plastik ist ein wunderbares Material. Es muss einfach klug eingesetzt werden. Und das ist unsere Hauptkritik schlussendlich. Wir verwenden den Kunststoff einfach nicht klug."

Klug wäre die Vision einer Zukunft ohne Abfall, mit Produkten, die sich komplett recyceln lassen. Die Schuld aber alleine auf die Industrie zu schieben, ist eine schlechte Strategie.

"Da kann die Kunststoffindustrie noch lange neue Techniken entwickeln. Solange wir derart umgehen mit unserer Umwelt und mit unserer Ressourcen, wird sich nichts ändern."


Die Ausstellung Endstation Müll? - Das Plastikmüllprojekt ist bis zum 23. September 2012 im Züricher Museum für Gestaltung zu sehen. Danach in Arnhem/Holland, Hamburg, Tampere/Finnland, Kolding/Dänemark und sechs weiteren Orten.