Schwierigkeiten des Familienlebens

08.03.2013
Vor rund 30 Jahren war Bertrand Taverniers Film "Ein Sonntag auf dem Lande" in den Kinos zu sehen, aber erst jetzt erscheint der gleichnamige Roman von Pierre Bost. Darin werden die mannigfaltigen Spannungen innerhalb einer Familie vorgeführt, in der beinahe alle um Harmonie bemüht sind.
Vor fast 30 Jahren kam Bertrand Taverniers preisgekrönter Film "Ein Sonntag auf dem Lande" in die Kinos, doch jetzt erst erscheint der gleichnamige Roman von Pierre Bost auf Deutsch, in der einfühlsamen Übersetzung von Rainer Moritz. Die Verfilmung 1984 war eine doppelte Hommage an den Autor, der 1945 mit diesem Buch seine erfolgreiche Karriere als Schriftsteller beendet und in den folgenden drei Jahrzehnte bis zu seinem Tod 1975 nur noch Drehbücher geschrieben hatte.

Dennoch ist dieses literarische Kleinod keineswegs einer filmischen Schreibweise verpflichtet; vielmehr werden in subtilster Weise die mannigfaltigen Spannungen innerhalb einer Familie vorgeführt, in der beinahe alle um Harmonie bemüht sind.

Jeden Sonntag reist der Sohn von Herrn Ladmiral, eines inzwischen 76-jährigen Malers, der sich allgemeiner Anerkennung erfreut und im Alter aufs Land gezogen ist, mit Frau und drei Kindern per Bahn zu seinem verwitweten Vater, ungeachtet des Missmuts seiner beiden Söhne und der regelmäßigen Reisekrankheit der Jüngsten. Ebenso behutsam wie präzise schildert Bost das schwierige Gleichgewicht zwischen persönlichen Frustrationen und dem ausgeprägten Wunsch, den anderen möglichst glücklich zu machen oder wenigstens ein paar angenehme Stunden miteinander zu verbringen.

In diese sonntägliche Ruhe bricht, ausgerechnet während der Siesta, Ladmirals Tochter Irene wie ein Wirbelwind ein. Die nicht mehr ganz junge, unverheiratete und äußerst selbstständige Frau reist im Auto an, zieht für die Dauer ihres Aufenthalts alle Aufmerksamkeit auf sich, um dann – nach einem Telefonat – unvermittelt wieder abzufahren.

Den Mittelpunkt des Romans bildet aber der Vater, der die Tochter trotz oder vielleicht sogar wegen ihrer Launen mehr liebt als den treuen Sohn. Der Originaltitel des Romans, auf Deutsch: "Monsieur Ladmiral wird bald sterben", hebt die Hauptperson zwar hervor, führt ansonsten aber weitgehend auf eine falsche Fährte, denn der Witwer ist mit seinen 76 Jahren noch äußerst rüstig, und die Stimmung ist weder morbid noch trist.

Natürlich finden sich diverse Gedanken über das Altern, doch formuliert Bost diese nicht abstrakt, sondern ganz konkret auf den Protagonisten und seinen Charakter bezogen. So will dieser nicht wahrhaben, dass er den Weg zum Bahnhof eben nicht mehr in zehn Minuten schafft, weshalb er, anstatt früher loszugehen, sich stur über unpünktliche Züge und falschgehende Uhren ereifert.

Doch sind diese Marotten keineswegs karikatural beschrieben. Bost zeichnet sie feinfühlig nach, gibt ihnen einerseits eine individuelle Note und verleiht ihnen andererseits etwas Allgemeingültiges, das er mitunter fast als Bonmot formuliert. Über die Haushälterin schreibt er beispielsweise: "Mercédès hütete sich wie alle Frauen davor, die Situation auszunutzen; sie bediente sich ihrer und das reichte."

So bietet dieser kleine Roman mit seiner Pointe, die hier nicht verraten wird, in brillantem Stil eine Lektion über die Schwierigkeiten des (Familien-)Lebens und die Kunst, sie zu meistern.

Besprochen von Carolin Fischer

Pierre Bost: Ein Sonntag auf dem Lande
Deutsch von Rainer Moritz
Dörlemann 2013
116 Seiten, 16,90 Euro