"Schwierig, nach diesen Waffen zu suchen"

André Hatting im Gespräch mit Hans Blix · 12.09.2013
Der ehemalige UN-Waffeninspekteur Hans Blix befürchtet, dass die Kontrolle und Vernichtung der syrischen Chemiewaffen sehr schwierig sein und viel Zeit kosten werde. Denn im Gegensatz zu seiner damaligen Mission im Irak herrsche in Syrien Bürgerkrieg, betont der Abrüstungsexperte.
André Hatting: Noch haben die Kontrolleure der UN ihren Bericht nicht veröffentlicht, damit ist nach Einschätzung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon frühestens Anfang nächster Woche zu rechnen, aber bereits durchgesickert ist: Einen endgültigen Beweis dafür, wer am 21. August Giftgas gegen die syrische Bevölkerung eingesetzt hat, haben die UN-Experten wohl nicht finden können. Heute will sich US-Außenminister Kerry mit seinem russischen Kollegen Lawrow treffen. Thema: Wie setzt man den Plan am besten um, dass Syrien seine Chemiewaffenarsenale offenlegt und vernichtet? Dieser Vorschlag hatte dazu geführt, dass die USA auf einen Angriff auf Syrien vorerst verzichten. Am Telefon ist jetzt Hans Blix. Blix war Chef der UN-Abrüstungskommission für den Irak, also der Mann, der Ende November 2002 mit seinem Team dort nach Massenvernichtungswaffen gesucht und bekanntlich nichts gefunden hat - weil es nichts zu finden gab. Guten Morgen, Herr Blix!

Hans Blix: Good morning!

Hatting: Sie haben damals gesagt, mir schien der Krieg beschlossene Sache, also unabhängig von dem Ergebnis Ihrer Mission im Irak. Welchen Eindruck haben Sie jetzt im Fall Syrien.

Blix: Ich habe den Eindruck, dass die USA entschlossen waren zu einer militärischen Strafaktion, aber die öffentliche Meinung in den USA war nicht besonders begeistert darüber, und auch Großbritannien hat nicht mehr mitgemacht. Damit waren die Amerikaner sehr viel einsamer als damals im Irak. Und dann gab es noch eine weitere Überraschung: In St. Petersburg kamen die Russen plötzlich mit neuen Ideen, und das hat letztlich alles verändert.

Hatting: Blicken wir noch mal kurz zurück. Sie und Ihr Team standen damals unter enormem politischen Druck, vor allem die USA suchten nach einer Rechtfertigung für die Entmachtung von Saddam Hussein. Wie hat die Bush-Regierung denn versucht, Ihre Mission zu beeinflussen?

Blix: Amerika hat mich nicht beeinflusst, das haben sie nicht getan, und das hätten wir auch nicht zugelassen. Es war schon so, dass die Amerikaner ungehalten waren über unsere Ergebnisse, aber sie haben uns nicht wirklich beeinflusst.

"Das reicht ja noch nicht aus, das kann nur der Beginn […] sein"

Hatting: Aber Sie haben sich im Nachhinein sehr geärgert über die Bush-Administration und sie auch scharf kritisiert.

Blix: Aber ich denke, dass der Krieg ein sehr großer Fehler war für die Amerikaner und überhaupt für die Welt, weil eigentlich wollten die Amerikaner die Demokratie bringen, und sie haben eigentlich die Anarchie gebracht. Sie wollten Al-Kaida bekämpfen, und Al-Kaida war nicht einmal vor Ort. Sie wollten Israel helfen, und ich bin mir nicht sicher, dass sie Israel wirklich geholfen haben. Und sie wollten Massenvernichtungswaffen zerstören, die es nicht einmal gab. Insofern hat es überhaupt kaum wirkliche Resultate gebracht. Das einzig Gute, was dabei herausgekommen ist: Dass man Saddam Hussein losgeworden ist, das ist das einzig positive Resultat.

Hatting: Im aktuellen Fall ist es etwas anders. Jeder weiß, Assad besitzt Chemiewaffen, die müssen wir nicht erst suchen, aber wo genau und wie viele, das sind die unbekannten Größen. Halten Sie, Herr Blix, den Vorschlag, diese Waffen zu erfassen und zu zerstören, für durchführbar?

Blix: Nun, ich halte es für eine gute Eröffnung einer multilateralen Diskussion jetzt in New York, die ja früher schon in St. Petersburg zwischen Lawrow und Kerry begonnen hat. Und natürlich, nach diesem schrecklichen Gasangriff mit seinen schrecklichen Auswirkungen möchte die Welt jetzt sehen, dass alle Chemiewaffen zerstört werden. Aber das ist auch ein bisschen zu einfach, weil: Das würde ja heißen, wenn die Chemiewaffen alle verschwunden sind, dann könnte Assad danach kämpfen, wie er will. Also das reicht ja noch nicht aus, das kann ja nur der Beginn eines weiteren Prozesses sein, der am Ende zu einem Waffenstillstand führen müsste. Und man kann auch nicht sagen, dass der Sicherheitsrat bisher paralysiert war. Ich würde sagen: Er war blockiert, vor allem in der Frage einer Strafaktion der Amerikaner. Aber nur die Schuld bei Russland und China zu suchen, das führt zu kurz, denn: Würde es eine Generalversammlung geben, dann würde sich die Mehrheit der Staaten gegen eine Strafaktion durch Cruise Missiles aussprechen.

Hatting: Sie haben jetzt die Hoffnung ausgedrückt, dass eine Zerstörung der Chemiewaffen dort eben einen Waffenstillstand zur Folge hätte, oder anders gesagt, dass man dafür natürlich einen Waffenstillstand erst mal schaffen muss, um da in das Land hineinzugehen, um Chemiewaffen aufzuspüren, zu registrieren und zu zerstören. Aber für wie wahrscheinlich halten Sie das tatsächlich, denn die Rebellen sind ja enorm zerstritten?

Blix: Also wir wissen nicht, ob auch die Rebellen im Besitz von chemischen Waffen sind. Assad hat jetzt angeboten, eine Erklärung zu unterschreiben, Inspektoren ins Land zu lassen, damit seine chemischen Waffen letztendlich zerstört werden, aber er könnte ebenso verlangen, dass diese Inspektoren auch bei den Rebellen nach chemischen Waffen suchen, das kann man nicht ausschließen. Das Problem ist natürlich nur: Er ist vielleicht dazu bereit, sich verbindlich zu verpflichten, dass diese Waffen gefunden werden und dann zerstört werden, aber das heißt noch lange nicht, dass die Inspektoren, die danach suchen, auch alle finden werden, weil sich das Land ja in einem Bürgerkrieg befindet. Und da wird man nicht alles finden, und das wird sehr schwierig sein und es wird sehr viel Zeit brauchen.

"Russland hat damit natürlich mehrere Probleme"

Hatting: Und kann Assad das garantieren, kann er für den Schutz der UN-Inspektoren überhaupt noch garantieren, hat er diese Armee noch so im Griff? Ich will ein Beispiel nennen: Eine dieser Chemiewaffenproduktionsanlagen liegt in der Nähe der Stadt Aleppo, und diese Stadt wird immer wieder von Rebellen attackiert. Also wie will man dort die Sicherheit der Inspektoren garantieren?

Blix: Nun, das wird sehr schwierig, nach diesen Waffen zu suchen, weil im Gegensatz zu der Situation im Irak damals bestand ja im Irak keine wirkliche Gefahr für die Inspektoren. Es gab ja dort keine Kämpfe, und hier ist es ja so, dass man sich in einem Kriegsgebiet befindet und dass beispielsweise auch das Rote Kreuz nicht immer in der Lage ist, noch seine Arbeit auszuführen. Und Inspektoren in Lebensgefahr zu bringen, das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich und dadurch wird diese ganze Aufgabe wirklich sehr, sehr schwierig und sehr, sehr schwer werden.

Hatting: Sie haben vorhin gesagt, dass dieses Angebot, zu überlegen, dass man die Chemiewaffen nun dort kontrolliert und dann zerstört, also dieser Vorschlag des russischen Außenministers, dass das möglicherweise ein Anfang sein könnte. Wie schätzen Sie das ein in Russland, ist das Taktik oder wie ernst meint man das?

Blix: Nun, Russland hat damit natürlich mehrere Probleme mit einer eventuellen amerikanischen Strafaktion, weil: Das könnte den Rebellen helfen, und das ist nicht im Interesse Russlands, wenn in Damaskus plötzlich die Rebellen siegen, die gegen den Iran sind, die aber auch gegen Russland wahrscheinlich sind. Insofern möchten die Russen nicht, dass Assad verliert. Vielleicht hätten sie nichts gegen eine Übergangsregierung, aber sie möchten nicht, dass das Assad-Regime verschwindet - das halten sie für sehr unattraktiv -, aber das wäre wahrscheinlich auch für Israel und für die Amerikaner sehr unattraktiv, wenn eine fundamentalistische Rebellenregierung dort die Oberhand gewinnt.

Das Zweite ist: Russland mag es überhaupt nicht, wenn der Sicherheitsrat umgangen wird, weil: Russland ist dort eine Vetomacht. Und sie mögen es nicht, wenn die Amerikaner wie im Fall von Kosovo oder wie im Fall vom Irak einfach hinter dem Rücken des Sicherheitsrates einseitige Entscheidungen treffen. Dann verliert der Sicherheitsrat nämlich auch an Bedeutung. Und das sieht China ähnlich wie Russland. Und dann kommt noch hinzu, dass die Europäer und die Amerikaner da auch verschiedene Haltungen haben. In den USA ist es den Politikern eigentlich egal, was der Sicherheitsrat sagt, aber in Europa ist das nicht der Fall. Das haben wir ja jetzt gesehen an der Reaktion Großbritanniens, an der Reaktion Deutschlands, aber auch an der schwedischen Reaktion, die eben gegen eine einseitige Strafaktion sind, und die wollen, dass der Sicherheitsrat das Problem löst und die USA nicht einseitig Weltpolizei spielen.

Hatting: Einschätzungen von Hans Blix. Er war 2002 Chef der UN-Mission im Irak, die dort nach Massenvernichtungswaffen suchen sollte. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet, übersetzt hat es Jörg Taszman.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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