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Uraufführung in Lausanne
Theater als Wunder des Überlebens

Weder taugt er zum stummen Opfer aus Afrika noch zum Künstler mit Migrationshintergrund - der kongolesische Autor, Regisseur und Schauspieler Dieudonné Niangouna. In der Uraufführung seines Stücks "Nkenguégi" in Lausanne mischt er sein europäisch-afrikanisches Ensemble auf offener Bühne immer wieder auf.

Von Eberhard Spreng | 04.11.2016
    Der kongolesische Autor, Regisseur und Schauspieler Dieudonné Niangouna im Théâtre de Vidy, Lausanne.
    Uraufführung des Stückes "Nkenguégi" von Dieudonné Niangouna in Lausanne im Théâtre de Vidy. (Deutschlandradio / Nkenguégi / Samuel Rubio)
    Ein Mann, allein auf einem Boot, irgendwo auf dem Meer, irgendwo zwischen Afrika und Europa, irgendwo zwischen Leben und Tod. Auf dieses zentrale Bild kommt das letzte Stück des kongolesischen Autors, Regisseurs und Schauspielers in seiner dreistündigen Szenenkollage immer wieder zurück. Natürlich denkt hier jeder zurecht sofort an die Flüchtlingstragödien auf dem Mittelmeer, aber hier ist kein schwarzer Darsteller aus Dieudonné Niangounas europäisch-afrikanischem Ensemble zu sehen, sondern der schmale weiße Mathieu Montanier, der immer wieder eine kleine Plattform in der Bühnenmittel betritt, oder auf einer Videoleinwand auftaucht. In Posen der Agonie, die an den Schmerzensmann erinnern.
    Humorvolle Betrachtung auch der eigenen Lebenswirklichkeit
    Dieses dritte Stück seiner "Trilogie des Vertiges" - "Der Trilogie des Schwindels" - ist kein simples Gegenwartstheater mit einfacher Bildsprache und klaren Zuordnungen. Nach dem "Socle des Vertiges", einer Abrechnung mit Gewalt und Korruption seines Heimatlandes und "Shéda", einer Odyssee durch von Gewalt geprägten Weltzustände ist "Nkenguégi" eine humorvolle Betrachtung auch der eigenen Lebenswirklichkeit des zwischen Brazzaville und Paris pendelnden Künstlers. Da ist zum Beispiel eine Gruppe von Studenten im schicken 16. Arrondissement in Paris, die sich zu einer Überraschungsparty zum Verkleiden und Nachdenken treffen. Mit netten Tiermasken auf den Köpfen versuchen sie, den aktuellen Weltzustand besser zu begreifen.
    Das Gemälde einer Schiffskatastrophe aus dem 19. Jahrhundert nachspielen
    In einer anderen Gruppenszene wollen einige Schauspieler das Geschehen auf dem "Floß der Medusa" nachspielen, wie es auf dem berühmten Gemälde des Théodore Géricault dargestellt ist. Eine Reproduktion hängt während der gesamten Aufführung über der linken hinteren Bühnenecke, als Erinnerung an eine desaströse Schiffskatastrophe aus der französischen Kolonialzeit. Bilder heutiger Havarien von Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer werden dazu auf die Videoleinwand projiziert. Aber all das sind nur ungefähre szenische Setzungen, Ansammlungen von Vorläufigem und Unfertigen. Ein Theater, das sich selbst reflektiert im Akt der Entstehung. Deshalb interveniert der Autor als Regisseur, beschimpft lustig seine Akteure, oder feuert sie an zu immer mehr Tempo, Engagement, Feuer in ihren atemlosen Monologen:
    Ein Milizionär erkannte den Schauspieler und rettete sein Leben
    Das Theater des Dieudonné Niangouna ist eines der frei fabulierenden Rede, der großen, frei assoziierenden, bisweilen dadaistischen Monologe. Philosophie, Alltag, Politik, Globalisierung, alles in poetischen Metaphern und nicht im logischen System einer ordentlichen Argumentation. Vor allem aber tritt dieses Autorentheater so auf, als kämpfe es unentwegt um sein Leben. Als Niangouna im kongolesischen Bürgerkrieg monatelang von Rebellen festgehalten wurde und dann exekutiert werden sollte, erkannte ihn ein Milizionär als Schauspieler wieder. Das hat ihm das Leben gerettet – Theater als das Wunder des Überlebens.
    In Afrika aufgenommene Videobilder spiegeln die Rolle des transkulturellen Autors als einem von Allen belachten Sisyphos, der einen riesigen, mit Stoff bespannten Globus vor sich herrollt. Vom Homme-Monde und vom Homme-Univers, vom universalistischen Weltmenschen ist im Stücktext einmal die Rede, aber das meint nicht den Menschen der Kant'schen Aufklärung, sondern den im Absurden lebenden Menschen, wie ihn Albert Camus sah.
    Nur die Poesie scheint der Welt gewachsen zu sein
    Nach Nuangouna ist die Welt das an sich Unerklärbare und Unbeherrschbare, der nur Poesie gewachsen zu sein scheint. Spätestens hier ist mit Dieudonné Niangouna jemand endgültig aus der Rolle des stummen Opfers ausgestiegen, die westliche Medien für Schwarze, zumal für Bürgerkriegsgeflüchtete vorgesehen haben, aber auch aus der des Künstlers mit Migrationshintergrund, wie ihn wohlmeinende postdramatische Kulturmanager für ihre Spielpläne brauchen. Seine Universalpoesie sperrt sich der Vereinnahmung durch westliche Globalisierungsdiskurse.