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Die letzte Posamentiermeisterin
Handgemachte Borten und Quasten aus Dresden

Quasten, Kordeln, Borten oder Schnüre: Was früher von Hand gefertigt wurde, wird nun zumeist maschinell hergestellt. Die Handarbeit des sogenannten Posamentemachers ist dennoch bis heute begehrt: Museen und Restauratoren schätzen die Handwerkskunst der Posamentiermeisterin Susanne Heilmann-Schink - doch sie ist die letzte ihrer Art.

Von Iris Milde | 19.06.2015
    In ihrer Werkstatt in Dresden arbeitet die letzte Posamentiermeisterin Sachsens, Susanne Heilmann-Schink, an sogenanten Raffhalterquasten.
    Mit ihren Borten, Quasten, Schnüren und Kordeln schmückt Posamentiermeisterin Susanne Heilmann-Schink Königsthrone, Schlösser oder Paradeuniformen. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    "Das sind einzelne Bretter hier für verschiedene Fransenlängen. Für die Quasten schlägt man das mit Draht ein. Und das wird erst gedreht und dann wird das über einen Draht und das Brett eingeschlagen."
    Blitzschnell wickelt Susanne Heilmann-Schink abwechselnd Draht und Wollfaden um das schmale Brettchen. Ehe man sich's versieht, liegen zehn Fäden in Reih und Glied auf dem Brett, an der Kante sind sie verbunden durch winzige Drahtknötchen:
    "So, dann schneidet man das ab. Und das wird dann praktisch über einen Dorn gewickelt, und dann wird das genäht und dann haben Sie hier praktisch schon die erste Quaste."
    Bauschige Quasten und Schnüre aller Fasson
    Quasten, Kordeln, Raffhalter, Borten, Gimpen, Tressen, Litzen, Gespinste, Bänder und Schnüre. Die Arbeit des Prosamentenmachers ist nicht nur kleinteilig, sondern auch vielfältig. Die Wände der winzigen, mit dunklem Holz vertäfelten Posamentier-Werkstatt hängen voll mit bauschigen Quasten, aufwendig gemusterten Borten und Schnüren aller Fasson:
    "Das ist zum Beispiel eine gesponnene Seidenschnur, vierfach gedreht und das ist eine, die ist chorgedreht, dreifach, die sieht wieder anders aus, die ist nicht gesponnen, die ist nur gedreht."
    Über dem Arbeitstisch am Fenster hängt in einem Rahmen der leicht vergilbte Meisterbrief, der Susanne Heilmann-Schink als eine echte Rarität ausweist. Denn die schlanke, energische Frau mit dem Kurzhaarschnitt ist vermutlich die letzte tätige Posamentiermeisterin Deutschlands. Auf jeden Fall die letzte, die jedes Detail von Hand fertigt:
    "Ich mache ja noch so Posamenten, ja, kann man sagen, wie vor 300 Jahren. Also nur mit Hilfsmitteln, ohne Motor, vom einzelnen Faden keine vorgefertigten Sachen."
    Der Beruf lag in der Familie. Die Großmutter hatte Lampenschirme bezogen, der Vater, Manfred Schink, war vor dem Krieg einer von fünf Posamentierern in Dresden. Nach dem Krieg war das Handwerk ein Auslaufmodell, erzählt die Tochter:
    "Mein Vater machte nach dem Krieg Wäscheleinen. Ja und irgendwann in den 70er-Jahren wurde der Vater neu entdeckt. Da ging das los mit der Restaurierungswelle, Schloss Sanssouci, Pillnitz und die ganzen Schlösser. Und da waren sie alle froh, dass es ihn gab."
    Museen bedrängten Manfred Schink, einen Nachfolger auszubilden. Schließlich sattelte seine Tochter von Buchbinder auf Posamentiererin um und lernte einen Beruf, den es formal nicht mehr gab und für den das letzte Lehrbuch von 1914 stammt.
    Arbeiten für Schlösser, Burgen und Galerien
    "Und da habe ich direkt eine Sonderregelung gehabt zu DDR-Zeiten, dass ich beim Vater lernen durfte. Und dann auch meine Prüfung, da waren vom Rathaus zwei Leute da und die haben dann meinen Vater immer gefragt: Herr Schink, hat sie's richtig gemacht, weil die ja selber nicht wussten, ob es richtig ist",
    lacht die letzte Posamentiererin. Waren es zu DDR-Zeiten auch Privatleute, die sich kleine Schmuckstücke für ihr Faschingskostüm, Möbel oder Vorhänge anfertigen ließen, so sind es heute fast ausschließlich Kultureinrichtungen, die die selten gewordenen Fertigkeiten in Anspruch nehmen. Heilmann-Schink zählt auf:
    "Die Schlösser und Gärten Sanssouci, Bad Homburg, Schloss Weesenstein, Moritzburg, Pillnitz, Gemäldegalerie, Rüstkammer."
    Zurzeit arbeitet Susanne Heilmann-Schink, wie sie selbst sagt, an der Herausforderung ihres Lebens. Sie rekonstruiert die Posamenten in den Paraderäumen Augusts des Starken im Dresdner Schloss, die bei den Bombenangriffen auf Dresden fast völlig zerstört wurden. Aufzeichnungen gibt es keine, die Technik muss sie aus den geretteten Ausschnitten herauslesen, berichtet sie:
    "Die haben das so korrekt früher schon gemacht, also ganz toll! Und da bin ich dann immer begeistert, wenn ich dann etwas finde, wo ich sage: Solche Schlitzohren!"
    In kleinen bunten Schächtelchen, eingeschlagen in Seidenpapier verwahrt Susanne Heilmann-Schink die fertigen, golden schimmernden Einzelteile. Spiralen, Bögen, Gitter und grazile Blüten, die zusammengesetzt später einmal den goldenen Abschluss einer Wandverzierung ergeben. Für Voluten und Blümchen schneidet sie Schablonen aus Pergament und umwickelt diese erst mit Seide, dann mit Golddraht. Die feinen Gitter werden auf einem winzigen mit Golddraht bespannten Webstuhl geflochten. Heilmann-Schink erklärt:
    "Ich habe die 2010 in der Weise das letzte Mal gemacht und da muss ich jetzt wieder neu mich damit auseinandersetzen, an welchem Klöppel ich ziehe, nach links, rechts, nach oben oder nach unten, weil hier fünf Klöppel sind."
    Ein Handwerk geht in den Ruhestand
    Extrem zeitaufwendige Millimeterarbeiten, die nur mit Lupe und viel Leidenschaft zu bewältigen sind. Entsprechend hoch ist auch der Preis, aber generelle Aussagen darüber vermeidet die Meisterin, das hänge ganz vom tatsächlichen Aufwand ab. In fünf Jahren muss der Auftrag für das Residenzschloss erledigt sein, denn dann geht "Dresdens letzte Hofposamentierin" in den Ruhestand und mit ihr ein ganzes Handwerk, berichtet Heilmann-Schink:
    "Es ist eine Modesache. Es ist auch zu teuer, das Handwerk. Es wird industriell gefertigt, Borten und Fransen und die sehen dann zwar natürlich nicht ganz so hübsch aus. Da wird das einfach nicht mehr gebraucht. Und ich stand eigentlich schon drei Mal vor dem Aufhören. Aber die Museen, die wollten mich natürlich nicht eingehen lassen, weil sie mich brauchen, wenn es doch mal weitergeht."
    Die Flautezeiten haben die Meisterin auch davon abgehalten, einen Lehrling auszubilden. Nun sei es zu spät, denn die unzähligen historischen Techniken des Wickelns, Flechtens und Webens, die für die musealen Arbeiten erforderlich sind, könne man sich kaum in der kurzen Lehrzeit aneignen, meint die letzte Posamentiererin:
    "Ich habe 33 Jahre Erfahrung, aber wenn ich das jetzt jemandem lerne, der macht das einmal, schreibt sich das auf und kann damit nach einem halben Jahr nichts mehr anfangen, weil er die Routine nicht hat."