Schwedische Tanzkultur

In inniger Umarmung übers Parkett

05:44 Minuten
Paare tanzen in einem kleinen Tanzzelt.
Auf den Gammeldans-Veranstaltungen bleibt das Parkett nicht leer. © Deutschlandradio/ Johannes Kulms
Von Johannes Kulms · 31.08.2019
Audio herunterladen
Gammeldans, so heißt in Schweden ein traditioneller Tanz, der einst vor allem in der Arbeiterklasse beliebt war. Die Massen strömen heute nicht mehr zu den Veranstaltungen, getanzt wird dennoch - und manche der Besucher reisen dafür richtig weit an.
Der Kärrasand liegt an einem großen südschwedischen See, eine knappe Autostunde entfernt von Växjö. Hier gibt es nicht nur einen Campingplatz, sondern auch einen Tanzpavillon. Achteckig ist die Halle und etwa 30 Meter im Durchmesser.
Auf der Bühne stehen an diesem etwas kühlen Sommerabend die Streaplers – eine alteingesessene schwedische "Dansband". Vor ihnen gleiten an die einhundert Frauen und Männer gemächlich über das Parkett. Links, rechts, Seite ran – die meisten von ihnen in inniger Umarmung. Einige tragen schicke Hemden und Kleider. Andere sind in kurzer Hose oder im Jogginganzug dabei.
Auch Carl Gustav ist gekommen. Der 66-Jährige sagt: "Ich lebe für die Musik. Und tanzen tut mir gut. Für alles: Für den Körper, das Herz, die Lungen."
Carl Gustav war früher Feuerwehrmann und Landwirt. Inzwischen ist er Rentner und hat mehr Zeit fürs Tanzen. Viele Besucher der "dansbanorna" am Kärrasand dürften wie er vom Land kommen und im Rentenalter sein. Oder kurz davor.
"Ich glaube, wir sind mehr damit aufgewachsen als die Leute in den großen Städten. Nicht so mit den Clubs."

Als die Tanzstätten noch brummten

Mit 15 ging Carl Gustav das erste Mal auf eine "dansbana", lernte dort bald auch seine spätere Frau kennen. Es war die Zeit, in der die Tanzstätten im ganzen schwedischen Königreich brummten und der Foxtrott beliebt war. Gerade auf dem Land waren sie im Sommer der große Treffpunkt für die Arbeiterklasse: Zum Tanzen, zum Zugucken, zum Trinken - oder einfach alles zusammen.
Doch vielen Vertretern von Kirchen, Lehrerschaft, Richtern oder auch Sozialarbeitern war der schwedische Tanzboom erstmal ziemlich suspekt. Sie befürchteten einen Sittenverfall.
Doch im Laufe der Jahrzehnte ändert sich das Treiben auf und rund um die "dansbanorna". Der Boom schwächte sich immer mehr ab, das Stammpublikum kam in die Jahre. Viele Tanzstätten sind längst geschlossen wie auch die 61-jährige Frau am Kärrasand weiß.

"60 bis 150 Kilometer müssen wir heute fahren, um zur nächsten Dansbana zu kommen. Als meine Eltern noch jung waren, hatten sie in Fahrradreichweite zwei oder drei solcher Orte zur Auswahl."
Die Dame mit den kurzen Haaren stammt aus der Nähe von Kalmar. Sie will ihren Namen lieber nicht im Radio hören. Im Sommer gehe sie fünf Mal die Woche tanzen. Doch vielen Leuten sei heute wohl ein Computer oder das Ipad wichtiger. Und die jüngere Generation könne mit der Musik der "Dansbands" wohl nicht mehr viel anfangen. Dabei seien die dansbanorna doch Teil der schwedischen Kultur ist sie sich sicher.
"Es ist richtig wichtig. Es ist doch der beste Sport! Es geht nicht darum, Kerle aufzureißen, sondern sich zu bewegen. Die gute Stimmung, das soziale Beisammensein, es ist einfach nett!"
Am Abend stehen vor dem Tanzzelt zahlreiche Autos.
Um zu tanzen, fahren manche Besucher bis zu 150 Kilometer zur nächsten "Dansbana".© Deutschlandradio/ Johannes Kulms

Streaplers – Urgesteine der schwedischen "Dansbands"

Die an diesem Abend angereisten Streaplers gehören zu den Urgesteinen der schwedischen "Dansbands". Gerade haben sie ihr 60. Bestehen gefeiert. Die Gründungsmitglieder sind inzwischen nicht mehr dabei, sagt Frontmann Kenny Samuelsson.
"Ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen! Solange die Leute weiterhin zum Tanzen kommen und ich nicht krank werde, ist das doch toll. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht."
Es stimme, dass die Musik ziemlich einfach sei. Das müsse sie auch, denn sie solle leicht mitsingbar und natürlich tanzbar sein, meint Kenny. Doch der 58-Jährige weiß auch: Das Leben als Musiker ist verdammt anstrengend. Die Band tourt nicht nur durch Schweden, sondern tritt auch in Finnland und Norwegen auf.
An die 3.000 "Dansbands" habe es in seiner Jugendzeit gegeben, schätzt Kenny. Nun seien vielleicht noch 50, maximal 100 übrig, die von ihrer Arbeit leben könnten.
Samuelsson: "Heute würde ich nicht nochmal so eine Dansband gründen, weil alles so schwer geworden ist. Wir können nur weitermachen, weil unsere Gruppe so bekannt ist."
Stirbt mit den "Dansbands" bald auch die schwedische Tanzszene? Nein, sagt der Sozialforscher Bengt Starrin. Er ist selber begeisterter Tänzer und Autor eines Buchs über die schwedische Tanzkultur. Seit einiger Zeit tue sich etwas, ist Starrin sicher. Er habe keine Zahlen parat, aber es zögen heute wieder mehr junge Menschen auf die alteingesessenen Tanzböden als noch früher. Einer der Gründe dafür könne das TV-Format "Let’s dance" sein, das auch in Schweden populär ist.

Mehr zum Thema