Schwarze Magie

Von Marc Dugge · 02.02.2012
Für viele junge Nigerianerinnen klingt es verlockend: Sie sollen in Europa als Friseurin oder Verkäuferin arbeiten. Doch meist stranden die jungen Frauen irgendwo in Afrika - oder müssen sie in Europa als Prostituierte arbeiten. Trotz aller Qualen schweigen sie.
Mary ist klein und schmächtig. Sie trägt enge, dunkelblaue Jeans und ein schwarzes Top. 17 Jahre ist sie alt, wirkt aber jünger. Mary ist nicht ihr richtiger Name. Ihren echten will sie lieber nicht nennen. Zusammen mit fünf anderen Mädchen lebt sie seit ein paar Wochen in einem Frauenhaus. In Benin City, einer Stadt im Süden Nigerias. Bevor sie dort gelandet sind, hatten sie einen gemeinsamen Traum: Europa.

"Wir wollen nach Europa, weil wir hier leiden. Ich habe gehört, dass man bei Euch sogar etwas zu essen bekommt, wenn man gar kein Geld hat. Man kann zu bestimmten Häusern gehen und kriegt dort umsonst ein paar Lebensmittel."

Doch Mary hatte gar nicht vor zu betteln. Sie wollte arbeiten. Etwa als Hausangestellte oder als Friseurin. Deswegen ging sie auch auf das Angebot ein, das ihr ein junger Mann machte. Er hatte Arbeit in Frankreich versprochen.

"Wir mussten für den Trip nicht einmal vorher bezahlen!. Das sollten wir in Frankreich tun, wenn wir Arbeit gefunden haben. Aber er hat uns nicht gesagt, dass wir als Prostituierte Geld verdienen sollen."

Das ist Mary erspart geblieben. Schon an der Grenze zum Nachbarland Benin ging der Menschenhändler der Polizei in die Falle. Er hatte die sechs jungen Mädchen über den Landweg nach Europa schleusen wollen. Um solche Fälle kümmert sich Nigerias Behörde gegen Menschenhandel. Gegründet wurde sie vor acht Jahren. Heute hat sie im ganzen Land Büros, so Ermittler Igri Edet Mbang:

"Sobald jemand anruft, von einem Fall berichtet und uns die Adresse nennen kann, fahren wir sofort hin. Und kümmern uns darum."

In den vergangenen Jahren konnten er und seine Kollegen einige Erfolge erzielen. Doch wie viele junge Mädchen nach Europa geschleust werden, weiß keiner genau. Viele Menschenhändler arbeiten mit besonders perfiden Methoden. Vor der Reise müssen die Mädchen einen sogenannten Juju-Priester besuchen. Hinter dem Wort Juju verbirgt sich eine spezielle schwarze Magie, die im Süden Nigerias weit verbreitet ist. Auch Mary musste den Zauber über sich ergehen lassen.

"Bevor wir aufgebrochen sind, haben sie mich gezwungen, einen speziellen Haferbrei zu essen."

In die hellbraune, schleimige Masse hatte der Priester abgeschnittene Fingernägel und ausgerupfte Haare von Mary gemischt und anschließend einen Zauber gesprochen. Sollte sie über das Geschehene sprechen, drohe ihr "Schlimmes", sagte der Priester. Das wirkt in der Regel, sagt Roland Nwoha. Er arbeitet für die Organisation Idia Renaissance, die sich um Rückkehrerinnen aus Europa kümmert.

"Normalerweise werden die Mädchen durch diesen Zauber in Schach gehalten. In Osteuropa oder Asien läuft das anders, dort heuern Menschenhändler Personen an, die die Mädchen überwachen. Das braucht man hier gar nicht."

Die Angst vor dem Zauber ist groß. Niemand spricht freiwillig oder sagt vor Gericht aus. Sogar dann nicht, wenn die Drahtzieher längst im Gefängnis sitzen. Deshalb müssen die Ermittler tricksen. Sie gehen mit den Mädchen nach deren Rückkehr noch ein zweites Mal zu einem Juju-Priester, um den Zauber zu brechen. Mary hat diesen Besuch gerade hinter sich.

"Sie haben mir gesagt, dass sie den Zauberspruch wieder von mir nehmen. Damit geht es mir besser. Und er wird mich auch in Zukunft nicht mehr beeinflussen."

Trotzdem weiß Mary noch nicht, wie es weiter geht und wo sie künftig leben wird. Sie würde gern wieder zur Schule gehen und einen Abschluss machen. Doch an ihr haftet ein Stigma, so Roland Nwoha:

"Während andere Leute im Ausland Erfolg haben, kommen die Mädchen mit leeren Händen zurück. Für ihre Familien sind sie Versagerinnen und eine zusätzliche Belastung. Schlimmer noch: Manchmal haben Familien ihren Besitz verkauft, um die Reise nach Europa zu finanzieren. Kommen die Mädchen nun ohne etwas zurück, haben sie sogar das Familieneigentum auf dem Gewissen."
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