Schulz plädiert für mehr "Runde Tische"
Werner Schulz hat für den erneuten Einsatz des "Runden Tisches" plädiert. Eine Krise wie die Finanzkrise könne sich dort verhandeln lassen, wenn man die Verursacher mit an den Tisch bekommen könnte, sagte der Grünen-Europaageordnete.
Marietta Schwarz: Wir schauen an diesem denkwürdigen Tag immer wieder zurück auf den 9. November 1989 und auf die Ereignisse, die um den Mauerfall herum passierten. Die Erinnerung führt ja auf der gedanklichen Hauptstraße eigentlich immer zu den Fernsehbildern, auf denen Menschen weinend diese Mauer überwinden.
Es lohnt sich aber auch, gelegentlich den Seitenpfad der Erinnerung zu nehmen. Man stößt dann etwa auf den zentralen Runden Tisch, der erstmals nach dem Vorbild aus Polen am 7. Dezember 89 zusammenkam und bis März 1990 regelmäßig tagte. Werner Schulz, heute Europaabgeordneter der Grünen, damals Gründungsmitglied des Neuen Forums, war dessen Vertreter am Runden Tisch und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Schulz.
Werner Schulz: Schönen guten Morgen!
Schwarz: Herr Schulz, dieser Runde Tisch wird ja immer im Zusammenhang genannt mit dem Entwurf einer neuen Verfassung. Aber was hat er denn sonst noch geleistet?
Schulz: Ja, gut, er hat vor allen Dingen den Anspruch dieser friedlichen Revolution, "wir sind das Volk, wir wollen mitbestimmen, wir wollen uns einmischen, wir wollen über unsere eigenen Angelegenheiten entscheiden und wir wollen freie demokratische geheime Wahlen haben", das hat dieser Runde Tisch zustande gebracht. Er hat den Wahltermin, den 18. März, vereinbart, und er hat entsprechend auch ein Wahlgesetz verabschiedet, und er hat als zweiten wichtigen Schritt die Auflösung der Staatssicherheit betrieben.
Schwarz: War es nicht eigentlich auch eine kleine Sensation, dass er überhaupt zustande kam?
Schulz: Ja, natürlich. Die Regierung beziehungsweise die Partei wollte ja den Dialog und dieser Dialog sollte nicht im Hinterzimmer stattfinden, sondern er sollte in der Öffentlichkeit stattfinden. Die Bevölkerung hatte ja einen Anspruch darauf, nun endlich zu erfahren, was ist los in diesem Land, in welchem Zustand befindet sich die Gesellschaft, was alles ist faul im Staate DDR, und das ist dann am Runden Tisch öffentlich verhandelt worden.
Es war eine große Auseinandersetzung, ein Streit, eine öffentliche Auseinandersetzung, und das ist live im Fernsehen übertragen worden. Es gab eine hohe Einschaltquote. Die Leute waren unmittelbar daran beteiligt, das dann zu verfolgen, wie sich die Opposition mit den Blockparteien beziehungsweise mit der SED und den Vertretern aus der Regierung auseinandergesetzt hat.
Schwarz: Auf den ersten Blick scheint diese Situation damals nicht viel gemein zu haben mit heute, aber nach der weltweiten Finanzkrise herrscht ja doch weitgehend Ratlosigkeit, wie es weitergeht. Wir fahren auf Sicht, sagt Finanzminister Schäuble, ohne dass jemand aufschreit, und da frage ich mich doch, brauchen wir da nicht eine gesellschaftliche Debatte und wäre so ein Runder Tisch wie damals möglicherweise eine Möglichkeit, mehr an der Debatte zu beteiligen?
Schulz: Ich glaube, der Runde Tisch ist insgesamt ein politisches Instrument, das in Krisensituationen oder in solchen Situationen, wo wir öffentliche Aufklärung brauchen, durchaus verwendbar ist. Selbstverständlich! Das ist nicht nur ein Revolutions-Management, was man in solchen Situationen wie ’89 gebrauchen könnte, sondern ich glaube, immer dann, wenn unterschiedliche Auffassungen an einen Tisch gehören und sich auseinandersetzen müssen, wenn man streiten muss über den (…) Weg und vor allen Dingen auch die Öffentlichkeit das erfahren sollte, wie man letztendlich zu diesen Schritten dann auf dem neuen Weg kommt, und wie man diese Probleme aufklärt, dann ist so etwas wie ein Runder Tisch durchaus sinnvoll. Ich glaube, wir haben viel zu wenig diese Sache ausgewertet und uns heute der Erfahrung bedient, die wir am Runden Tisch machen konnten.
Schwarz: Man könnte ihn allerdings nicht von oben verordnen. Da frage ich mich jetzt, warum schreit, warum begehrt das Volk nicht auf? Die Nicht-Regierungsorganisationen haben wir ja. Woran fehlt es eigentlich, dass keiner so richtig aktiv wird?
Schulz: Da gibt es unterschiedliche Gründe. Ich meine, heutzutage haben sie Talkshows, da geht die schwatzende Klasse eben in die Fernsehsender, und da findet so etwas Ähnliches statt, aber letztlich in keinster Weise direkt vergleichbar, beziehungsweise die gewählten Vertreter im Parlament, in der Regierung sagen, wir sind demokratisch legitimiert, wir haben dafür ein Parlament, lasst uns das im Parlament austragen. Das findet natürlich auch statt, aber längst nicht diese Beachtung.
Wir wissen ja selbst, dass diese Debatten aus dem Parlament, aus den Ausschüssen schon gar nicht übertragen werden, und man kann eigentlich dann doch als normaler Bürger sich kein Bild machen, wie die Auseinandersetzungen über solche Probleme wie Finanzkrise laufen.
Schwarz: Sind die bestehenden Herausforderungen, Klimaschutz oder Reform des Finanzsystems, denn innerhalb der gegebenen Strukturen überhaupt zu lösen?
Schulz: Ich meine ja, weil wir haben diese Strukturen, und ich bin kein Anhänger, dass wir nun gleich die nächste Revolution brauchen und alles umstürzen müssten. Dazu müsste man auch eine Vorstellung haben, was man dann aufbauen sollte. Aber eine Struktur oder eine Möglichkeit wie der Runde Tisch, wo die Finanzkrise. Bei der Klimakatastrophe, gut, da gibt es auch große Foren, wo so etwas verhandelt wird oder wo so etwas dargestellt wird.
Aber so eine Krise wie die Finanzkrise, das könnte sich natürlich schon am Runden Tisch verhandeln lassen, wenn man vor allen Dingen die Vertreter der Banken, also die Verursacher dieser Krise, mit an den Runden Tisch bekommen würde. Wenn die sich natürlich dem ganzen entziehen und keine öffentliche Rechenschaft ablegen wollen, ist es sehr, sehr schwierig, heute solche Leute an den Runden Tisch zu zwingen. Dann ist eine revolutionäre Situation natürlich eine ganz andere Möglichkeit.
Schwarz: Der Europaabgeordnete der Grünen, Werner Schulz, über den zentralen Runden Tisch, der partei- und institutionenübergreifend bis zum März 1990 regelmäßig tagte. Herr Schulz, vielen Dank für das Gespräch und noch einen schönen Tag.
Schulz: Schönen Tag!
Es lohnt sich aber auch, gelegentlich den Seitenpfad der Erinnerung zu nehmen. Man stößt dann etwa auf den zentralen Runden Tisch, der erstmals nach dem Vorbild aus Polen am 7. Dezember 89 zusammenkam und bis März 1990 regelmäßig tagte. Werner Schulz, heute Europaabgeordneter der Grünen, damals Gründungsmitglied des Neuen Forums, war dessen Vertreter am Runden Tisch und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Schulz.
Werner Schulz: Schönen guten Morgen!
Schwarz: Herr Schulz, dieser Runde Tisch wird ja immer im Zusammenhang genannt mit dem Entwurf einer neuen Verfassung. Aber was hat er denn sonst noch geleistet?
Schulz: Ja, gut, er hat vor allen Dingen den Anspruch dieser friedlichen Revolution, "wir sind das Volk, wir wollen mitbestimmen, wir wollen uns einmischen, wir wollen über unsere eigenen Angelegenheiten entscheiden und wir wollen freie demokratische geheime Wahlen haben", das hat dieser Runde Tisch zustande gebracht. Er hat den Wahltermin, den 18. März, vereinbart, und er hat entsprechend auch ein Wahlgesetz verabschiedet, und er hat als zweiten wichtigen Schritt die Auflösung der Staatssicherheit betrieben.
Schwarz: War es nicht eigentlich auch eine kleine Sensation, dass er überhaupt zustande kam?
Schulz: Ja, natürlich. Die Regierung beziehungsweise die Partei wollte ja den Dialog und dieser Dialog sollte nicht im Hinterzimmer stattfinden, sondern er sollte in der Öffentlichkeit stattfinden. Die Bevölkerung hatte ja einen Anspruch darauf, nun endlich zu erfahren, was ist los in diesem Land, in welchem Zustand befindet sich die Gesellschaft, was alles ist faul im Staate DDR, und das ist dann am Runden Tisch öffentlich verhandelt worden.
Es war eine große Auseinandersetzung, ein Streit, eine öffentliche Auseinandersetzung, und das ist live im Fernsehen übertragen worden. Es gab eine hohe Einschaltquote. Die Leute waren unmittelbar daran beteiligt, das dann zu verfolgen, wie sich die Opposition mit den Blockparteien beziehungsweise mit der SED und den Vertretern aus der Regierung auseinandergesetzt hat.
Schwarz: Auf den ersten Blick scheint diese Situation damals nicht viel gemein zu haben mit heute, aber nach der weltweiten Finanzkrise herrscht ja doch weitgehend Ratlosigkeit, wie es weitergeht. Wir fahren auf Sicht, sagt Finanzminister Schäuble, ohne dass jemand aufschreit, und da frage ich mich doch, brauchen wir da nicht eine gesellschaftliche Debatte und wäre so ein Runder Tisch wie damals möglicherweise eine Möglichkeit, mehr an der Debatte zu beteiligen?
Schulz: Ich glaube, der Runde Tisch ist insgesamt ein politisches Instrument, das in Krisensituationen oder in solchen Situationen, wo wir öffentliche Aufklärung brauchen, durchaus verwendbar ist. Selbstverständlich! Das ist nicht nur ein Revolutions-Management, was man in solchen Situationen wie ’89 gebrauchen könnte, sondern ich glaube, immer dann, wenn unterschiedliche Auffassungen an einen Tisch gehören und sich auseinandersetzen müssen, wenn man streiten muss über den (…) Weg und vor allen Dingen auch die Öffentlichkeit das erfahren sollte, wie man letztendlich zu diesen Schritten dann auf dem neuen Weg kommt, und wie man diese Probleme aufklärt, dann ist so etwas wie ein Runder Tisch durchaus sinnvoll. Ich glaube, wir haben viel zu wenig diese Sache ausgewertet und uns heute der Erfahrung bedient, die wir am Runden Tisch machen konnten.
Schwarz: Man könnte ihn allerdings nicht von oben verordnen. Da frage ich mich jetzt, warum schreit, warum begehrt das Volk nicht auf? Die Nicht-Regierungsorganisationen haben wir ja. Woran fehlt es eigentlich, dass keiner so richtig aktiv wird?
Schulz: Da gibt es unterschiedliche Gründe. Ich meine, heutzutage haben sie Talkshows, da geht die schwatzende Klasse eben in die Fernsehsender, und da findet so etwas Ähnliches statt, aber letztlich in keinster Weise direkt vergleichbar, beziehungsweise die gewählten Vertreter im Parlament, in der Regierung sagen, wir sind demokratisch legitimiert, wir haben dafür ein Parlament, lasst uns das im Parlament austragen. Das findet natürlich auch statt, aber längst nicht diese Beachtung.
Wir wissen ja selbst, dass diese Debatten aus dem Parlament, aus den Ausschüssen schon gar nicht übertragen werden, und man kann eigentlich dann doch als normaler Bürger sich kein Bild machen, wie die Auseinandersetzungen über solche Probleme wie Finanzkrise laufen.
Schwarz: Sind die bestehenden Herausforderungen, Klimaschutz oder Reform des Finanzsystems, denn innerhalb der gegebenen Strukturen überhaupt zu lösen?
Schulz: Ich meine ja, weil wir haben diese Strukturen, und ich bin kein Anhänger, dass wir nun gleich die nächste Revolution brauchen und alles umstürzen müssten. Dazu müsste man auch eine Vorstellung haben, was man dann aufbauen sollte. Aber eine Struktur oder eine Möglichkeit wie der Runde Tisch, wo die Finanzkrise. Bei der Klimakatastrophe, gut, da gibt es auch große Foren, wo so etwas verhandelt wird oder wo so etwas dargestellt wird.
Aber so eine Krise wie die Finanzkrise, das könnte sich natürlich schon am Runden Tisch verhandeln lassen, wenn man vor allen Dingen die Vertreter der Banken, also die Verursacher dieser Krise, mit an den Runden Tisch bekommen würde. Wenn die sich natürlich dem ganzen entziehen und keine öffentliche Rechenschaft ablegen wollen, ist es sehr, sehr schwierig, heute solche Leute an den Runden Tisch zu zwingen. Dann ist eine revolutionäre Situation natürlich eine ganz andere Möglichkeit.
Schwarz: Der Europaabgeordnete der Grünen, Werner Schulz, über den zentralen Runden Tisch, der partei- und institutionenübergreifend bis zum März 1990 regelmäßig tagte. Herr Schulz, vielen Dank für das Gespräch und noch einen schönen Tag.
Schulz: Schönen Tag!