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Streit um den Klimaschutz
Planlos nach Marrakesch?

Aller Voraussicht nach wird Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ohne konkreten Klimaplan zur UN-Klimakonferenz Mitte November nach Marrakesch reisen: Bisher konnte sich die Koalition auf keine gemeinsame Leitlinie einigen. Dabei mahnen Klimawissenschaftler mit Blick auf das Weltklima vermehrt zur Eile.

Von Georg Ehring | 04.11.2016
    Ein Eisberg in Süd-West-Grönland im August 2014.
    Das Eis in Grönland und in der Antarktis schmilzt immer schneller (picture-alliance / dpa / Albert Nieboer)
    Wer derzeit in Freiburg unterwegs ist, muss sich an Umwege gewöhnen: Am Rotteckring entsteht eine neue Straßenbahnlinie, an der Breisacher Straße ein neuer Radweg und das sind längst nicht die einzigen Baustellen. Gerda Stuchlik ist Umweltbürgermeisterin von Freiburg und sie gerät ins Schwärmen, wenn sie vom klimafreundlichen Umbau ihrer Stadt erzählt.
    "Wenn Sie momentan durch Freiburg gehen, haben Sie eine riesige Baustelle in der gesamten Stadt. Also: Die oberste Priorität bei uns ist der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, und wir bauen eine Straßenbahnlinie nach der anderen.
    Und das zweite große Thema: Das ist wie in Münster, so ähnlich zu vergleichen: Wir sind eine Fahrradstadt. Wir bauen mittlerweile auch richtige Fahrradautobahnen."
    Luftbild der Freiburger Innenstadt mit Münster 
    Fahrradautobahnen und verkehrsberuhigte Zonen: Freiburg investiert in eine klimafreundliche Infrastruktur. (picture alliance / dpa/ Rolf Haid)
    Auch private Bauherren, die das Klima schonen wollen, können in Freiburg auf mehr Unterstützung hoffen als andernorts. Wer sein Haus ökologisch umbaut, bekommt von der Stadt einen Zuschuss.
    "Wir haben seit 2002 ein Förderprogramm 'energieeffizient sanieren', wo wir der Bevölkerung für bestimmte Maßnahmen Zuschüsse geben, also nicht irgendein Darlehen, sondern richtig Geld bar auf die Hand. Und das bedeutet, dass es uns gelungen ist, in dieser Verlässlichkeit von 2002 bis jetzt 2016, dass wir unsere Sanierungsrate in Freiburg erhöht haben 1,5 bis 1,8 Prozent. Das heißt: Wir bewegen uns auf die zwei Prozent zu, die notwendig ist."
    Bis Mitte des Jahrhunderts will die Stadt im Südwesten komplett damit aufhören, der Erdatmosphäre einzuheizen.
    Freiburg hat also einen Plan für den Klimaschutz. Die Bundesregierung bisher nicht. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks musste in dieser Woche einräumen, dass sie es nicht schafft, vor Beginn der UN-Klimakonferenz in Marrakesch eine Leitlinie für die nächsten Jahrzehnte zu verabschieden.
    "Wir haben uns noch nicht endgültig verständigen können über die sogenannten Sektorziele, also welcher Bereich muss was beitragen. Das ist ganz wesentlich auch für die Zukunft und deswegen nehmen wir uns noch ein bisschen mehr Zeit."
    Gründlichkeit vor Schnelligkeit also, doch eigentlich ist beides geboten: Wenn der menschengemachte Klimawandel gestoppt werden soll, dann müssen zumindest die Industrie- und Schwellenländer in den nächsten Jahrzehnten aufhören, die Erdatmosphäre mit Treibhausgasen zu belasten.
    Gelingt dies nicht, drohen nach Ansicht von Forschern Wetterkatastrophen nie da gewesenen Ausmaßes. Auch in Deutschland liegen die Temperaturen inzwischen um mehr als ein Grad über den Werten des vorindustriellen Zeitalters. Die Folgen sind auch bei uns bereits spürbar, erläutert Stefan Rahmstorf, Forscher beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
    "Also ich glaube, die direktesten Auswirkungen des Klimawandels spüren die normalen Menschen durch Wetterextreme, wobei insbesondere Hitzewellen sehr stark zugenommen haben. Wir stellen fest, dass es heute fünfmal so viele Hitzewellen gibt als durch Zufall zu erwarten wäre.
    Und diese Hitzewellen haben für die Menschen natürlich auch gravierende Folgen. Selbst in Europa, wo der Jahrhundertsommer 2003 70.000 Hitzetote gefordert hat und es gibt ja immer mehr jetzt in Indien und anderen Regionen Berichte von solchen Hitzewellen, wo man sich kaum noch im Freien aufhalten und dort arbeiten können."
    2016 wird voraussichtlich das dritte Jahr in Folge mit Rekord-Temperaturen weltweit. In den vergangenen Jahren hat der menschengemachte Klimawandel anscheinend noch an Tempo zugenommen.
    Mehr Schwung in der Klimadiplomatie
    Doch auch die Bemühungen um Klimaschutz waren anders als früher, nämlich erfolgreich. Ende 2015 einigte sich der Klimagipfel in Paris auf ein weltweites Abkommen für den Kampf gegen die Erderwärmung. Per Hammerschlag konnte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius den Abschluss jahrelanger Verhandlungen besiegeln.
    Das Ziel: Die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, wenn möglich sogar unter 1,5 Grad. Der Abschluss von Paris hat Schwung in die Klimadiplomatie gebracht. Bereits heute kann das Abkommen in Kraft treten und nicht erst im Jahr 2020, wie zunächst geplant. Anfang Oktober wurden die entscheidenden Schwellen dafür überschritten: Mehr als 55 Staaten hatten ratifiziert und sie stehen für mehr als 55 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen.
    Nicht mehr als eine wage Ankündigung
    Doch eine Unterschrift bringt nicht automatisch mehr Klimaschutz, zumal das Abkommen von Paris eine entscheidende Frage offen lässt. Wie viel jedes Land dazu beiträgt, das entscheidet es selbst – und dadurch ist völlig offen, wie viel Klimaschutz am Ende umgesetzt wird. Ottmar Edenhofer, Volkswirt und Chef des Mercator Research Institute on Global Commons, sieht darin einen entscheidenden Haken.
    "Na ja, was der Name schon sagt: Es ist also freiwillig. Mit anderen Worten: Niemand kann dafür in Haftung genommen werden und es ist zunächst mal eine vage Ankündigung. Und wir sehen ja: Wenn wir die ganzen freiwilligen Selbstverpflichtungen aufaddieren, kommt dabei heraus, dass bis zum Jahr 2030 nahezu das gesamte verbleibende Kohlenstoffbudget aufgebraucht wird, das für ein 1,5 Grad-Ziel noch zur Verfügung steht und auch mit dem Zwei-Grad-Ziel ist es kaum vereinbar.
    Selbst wenn alle Staaten ihre bereits abgegebenen freiwilligen Selbstverpflichtungen komplett umsetzen, wird sich die Atmosphäre bis zum Ende des Jahrhunderts um etwa drei Grad erwärmen. Das haben Forscher errechnet. Das Ziel des Pariser Abkommens würde also weit verfehlt. Doch die Vertragsstaaten haben dafür vorgesorgt: Jedes Land soll nach der Logik des Abkommens seine Selbstverpflichtungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer weiter verschärfen. Wie dies geschehen soll, darüber wird auf dem am Montag beginnenden Gipfel in Marrakesch verhandelt.
    Der Deutsche Bundestag hat dem Vertrag einstimmig zugestimmt. Doch wie er erfüllt werden soll, das ist nach wie vor offen. Seit April ist ein Entwurf für einen Klimaschutzplan des Bundesumweltministeriums bekannt; er soll den Weg für die nächsten Jahrzehnte beschreiben. Der Entwurf sieht vor, dass der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent unter den Wert von 1990 gesenkt wird, und er beschreibt auch, welche Bereiche der Wirtschaft welchen Beitrag erbringen sollen. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium:
    "Das Zwischenziel für 2030 heißt für alle Sektoren im Augenblick minus 55 Prozent. Nun können die Sektoren aber unterschiedlich viel beitragen. Der Verkehrssektor tut sich schwerer, weil er in den letzten Jahrzehnten weniger getan hat und nicht so schnell aufholen kann.
    Natürlich wird auch der Verkehr was bringen müssen. Wenn er weniger als 55 Prozent bringt, dann werden andere wohl mehr bringen müssen und genau in diesen Gesprächen sind wir.
    Viele Streichungen und Verwässerungen
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) spricht am 09.09.2016 in der Debatte während der Beratungen zu ihrem Etat.
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) will versuchen, in der kommenden Woche noch vor Beginn der UN-Klimakonferenz doch noch eine Leitlinie für einen deutschen Klimaplan zu vereinbaren. (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    In den Gesprächen mit den Fachministerien, vor allem für Wirtschaft, Landwirtschaft und Verkehr, hat das Vertragswerk Federn lassen müssen. Konkrete Festlegungen etwa für ein Ende des Verbrennungsmotors im Autoverkehr oder für den Kohleausstieg wurden gestrichen, bedauert Annalena Baerbock, klimapolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion.
    "Mittlerweile steht in diesem Plan leider nicht mehr sehr viel drin, weil alle konkreten Zielzahlen wie, wann man den Kohleausstieg wirklich dann vollendet haben will, das wurde gestrichen, auch die Vorgaben für den Verkehrs- oder Landwirtschaftsbereich wurden immer mit Xen sozusagen geschwärzt. Das heißt: Wir haben gar keine konkreten Ziele mehr in diesem Plan drin und auch konkrete Maßnahmen wie zum Beispiel eine Reduktion von Pestiziden in der Landwirtschaft oder auch dass es keine neuen Tagebaue im Braunkohlebereich mehr geben soll, auch das wurde leider vom Wirtschaftsministerium und später auch vom Bundeskanzleramt herausgestrichen."
    Wenn es nach der Industrie ginge, dann könnte das Vorhaben dagegen weiter verwässert werden. Dem Bundesverband der Deutschen Industrie geht der Plan viel zu weit. Er verlangte sogar, dem Umweltministerium die Federführung zu entziehen und das Kanzleramt damit zu betrauen. Holger Lösch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim BDI:
    "Ich denke, es geht hier um eine Grundsatzfrage. Es geht hier um die Frage, ob Klimaschutz tatsächlich das absolut gesetzte, alles andere überwölbende Ziel sein kann. Die Akteure, die den Klimaschutzplan jetzt aufgestellt haben, gehen von dieser Prämisse aus, auch in der Post-Paris-Betrachtung.
    Wenn man das so sehen will, politisch auch, so exklusiv, dann ist klar, dass ein Klimaschutz-Plan natürlich mit weitreichendsten Regulierungen, Verboten, Reduzierungen etc. auch operieren muss. Die Frage ist allerdings, ob das tatsächlich der politische Mainstream auch ist."
    Mit einem Anteil von mehr als einem Drittel der Treibhausgas-Emissionen ist die Stromerzeugung der größte Emittent in Deutschland. Ihre Umstellung auf erneuerbare Quellen wie Wind und Sonne soll in den nächsten Jahrzehnten den größten Beitrag zum Klimaschutz bringen. Jochen Flasbarth:
    "Wir haben gesagt, dass die Energieversorgung ohne Kohle bis 2050 natürlich abgeschlossen sein muss, dann übrigens auch ohne fossiles Gas.
    Umstrittener Kohleausstieg
    Doch gerade der Kohleausstieg ist besonders umstritten. Widerstand kommt von Teilen der Gewerkschaften. Franz-Gerd Hörnschemeyer, bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie zuständig für Wirtschaft und Industriepolitik:
    "Wir reden im Moment nicht über einen Ausstieg, weil wir das Thema sehr komplex angehen. Wir reden gerne über das Thema Versorgungssicherheit. Wir reden über das Thema wettbewerbsfähige Strompreise. Wir reden gerne über das Thema Netzausbau. Wir reden auch gerne über das Thema EEG-Kosten – 25 Milliarden in diesem Jahr oder im nächsten Jahr.
    Das ist insgesamt ein komplexes Bild, was wir zu betrachten haben und eine Vereinfachung, nur über einen Kohleausstieg nachzudenken, zu reden und damit zu glauben, wir das Weltklima zu retten, halten wir für sehr einseitig und auch für nicht sachorientiert."
    Für den Gewerkschafter geht es auch um Tausende von Arbeitsplätzen vor allem in der Lausitz, im Rheinland und im mitteldeutschen Braunkohlerevier. Die Bundesregierung will eine Kommission für ein sozial verträgliches Ende der Kohleförderung und neue Perspektiven für die betroffenen Regionen einrichten. Bisher ist allerdings weder ihr genauer Auftrag noch ihre Zusammensetzung bekannt.
    Auch große Teile der Wirtschaft bremsen beim Kohleausstieg. Holger Lösch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim BDI, wehrt sich gegen einen kompletten Übergang zu erneuerbaren Energiequellen in den nächsten Jahrzehnten.
    "Es ist auch die Frage: Was haben wir stattdessen? Das ist das Thema Versorgungssicherheit. Wir diskutieren glaube ich Kohle weniger unter dem Aspekt, dass wir die Kohle so lieben, sondern wir diskutieren sie unter dem Aspekt, dass wir ansonsten keine Versorgungssicherheit haben, wenn wir nach der relativ kurzfristigen Abschaltung der Kernenergie dann auch noch die Grundlast-Pferde der Kohle auch nicht mehr im System haben."
    Festlegungen weiterer Rahmenbedingungen für Energiewende erforderlich
    Für eine sichere Versorgung ohne Kohle, Gas und Atomenergie sind neue Leitungen und Stromspeicher in großem Umfang erforderlich: Batterien mit riesigen Kapazitäten sowie Pumpspeicher-Kraftwerke, die Strom aus Wasserkraft genau dann erzeugen, wenn sie gebraucht werden. Staatssekretär Jochen Flasbarth ist optimistisch, dass der Umstieg ohne häufigere Stromausfälle möglich ist:
    "Ja, ich bin davon überzeugt, auch das Energieministerium, das Wirtschafts- und Energieministerium ist davon überzeugt. Aber wir brauchen dafür natürlich noch die Festlegung weiterer Rahmenbedingungen: Wie kommen wir zum Beispiel bei den Speichertechnologien weiter. Das heißt von der Aussage: Ja das geht, bis hin zum praktischen Realisieren, dass es dann auch funktioniert, da ist eben auch noch etwas zu tun und ich finde: Die Industrie, auch die Gewerkschaften, stellen diese Frage ganz zurecht und wir müssen sie absolut solide und zuverlässig beantworten können, denn der Industriestandort Deutschland ist natürlich auf absolut verlässliche Energieversorgung angewiesen."
    Ein konkretes Datum für den Kohleausstieg sieht der Plan nicht vor. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks findet zwar in der Opposition Unterstützung für ein schnelles Ende der Förderung, nicht jedoch in der Bundesregierung.
    Bei den Grünen macht sich die klimapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Annalena Baerbock, für einen schnellen Kohleausstieg stark.
    "In den nächsten 20 Jahren muss das erreicht werden, weil sonst erreichen wir unser Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten eben nicht mehr, weil zum Beispiel die dreckigsten Kohlekraftwerke Europas auch gerade in Deutschland stehen und deswegen muss Deutschland auch in den nächsten zwei Jahrzehnten dieses Riesenproblem angehen."
    Klimawissenschaftler mahnen zur Eile
    Der Blick auf das Braunkohlekraftwerk und die Müllverbrennungsanlage Buschhaus bei Helmstedt, aufgenommen am 04.10.2003. Im Vordergrund sind die Dächer des Dorfes Esbeck zu sehen, im Hintergrund stehen Windkrafträder am Rande eines aufgelassenen Tagebaus.
    Gerade die Braunkohle belastet die deutsche Klimabilanz. (dpa / Stefan Hähnsen )
    Zur Eile mahnen auch Klimawissenschaftler. Gerade die Braunkohle belastet die deutsche Klimabilanz. Sie verursache höhere Emissionen pro Energieeinheit als jeder andere Energieträger, sagt der Volkswirt Ottmar Edenhofer:
    "Es ist weniger die Frage, wie schnell er kommen soll, als dass er kommt. Denn es ist ganz klar, dass wir in einer Situation sind, wo die Deutschen Emissionen stagnieren, obwohl der Anteil der Erneuerbaren zunimmt. Wir werden ohne einen Ausstieg aus der Braunkohle die Klimaziele verfehlen.
    Reform des europäischen Emissionshandels gefordert
    Der beste Weg hierfür wäre nach Ansicht von Edenhofer eine Reform des europäischen Emissionshandels. Wenn die Preise für das Recht, Treibhausgase auszustoßen, stiegen, dann würden gerade Braunkohle-Kraftwerke von den Kosten her uninteressant.
    "Die deutsche Energiewende kann nur zu einem Erfolg geführt werden, wenn der europäische Emissionshandel ein glaubwürdiges CO2-Preissignal sendet, denn es ist ja nicht glaubwürdig, dass Deutschland stagnierende Emissionen hat und trotz eines steigenden Anteils der Erneuerbaren in so hohem Maße auf Braunkohle setzt.
    Doch die Diskussion darüber in der Europäischen Union kommt kaum voran. Ein schneller Kohleausstieg wäre auch wichtig, um Sektoren wie Verkehr oder Landwirtschaft mehr Zeit zur Erfüllung ihrer Ziele zu geben, sagt Christoph Bals von der umwelt- und entwicklungspolitischen Organisation Germanwatch.
    "Je mehr wir den Kohleausstieg verzögern, umso weniger CO2-Spielraum ist für die anderen Sektoren gegeben. Das heißt, damit müssen die Klimaziele der anderen verschärft werden. Das ist ja ein Budget, das ist wie eine Badewanne. Wenn die vollgelaufen ist mit dem CO2 von einem Sektor, dann ist für die anderen umso weniger drinnen, und das heißt, da Kohle der Energieträger ist, der am meisten CO2 pro Energieeinheit verbraucht, wäre es am intelligentesten gerade bei der Kohle möglichst früh auszusteigen, um Raum auch für die anderen zu machen, dass das schrittweise dann passieren kann."
    Nur Umstieg auf erneuerbare Energien reicht nicht
    Ein Mann trägt vor dem Rohbau eines mehrstöckigen Hauses eine Wärmedämmplatte unter dem Arm.
    Neben dem Umstieg auf erneuerbare Energien ist vor allem die Energieeinsparung wichtig, zum Beispiel durch Wärmedämmung. (dpa/picture alliance/Carmen Jaspersen)
    Mit dem Übergang zu erneuerbaren Energien ist es nämlich längst nicht getan. Andere Bereiche sind eher noch anspruchsvoller, denn viele Maßnahmen verlangen auch den Bürgern ein Umdenken ab. Beispiel Wärmedämmung. Diese werde, zusammen mit dem Austausch von Heizungen, dafür sorgen, dass der Gebäudebestand nahezu klimaneutral wird. Hausbesitzer müssen dafür Milliarden investieren, unterstützt von der öffentlichen Hand. Autos sollen elektrisch fahren.
    Außerdem sollen die Bürger auf öffentliche Verkehrsmittel oder auf das Fahrrad umsteigen, wo dies möglich ist. In der Landwirtschaft sollen Emissionen nicht nur durch einen effizienteren Einsatz von Düngemitteln verringert werden. Angestrebt wird auch eine Verringerung des Fleischkonsums entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.
    Beim Klimaschutz in Verkehr und Landwirtschaft muss sich das SPD-geführte Umweltministerium mit den CSU-Ministern Alexander Dobrindt für Verkehr und Christian Schmidt für die Landwirtschaft auseinandersetzen. Christian Schmidt fordert für den Agrarsektor eine bevorzugte Behandlung: 10´3
    "Wir leisten bereits einen essenziellen Beitrag für den Klimaschutz etwa durch die Speicherung von Kohlenstoffdioxid im Boden, im Wald und in Holzprodukten und in der Nutzung von nachwachsenden, nachhaltigen Rohstoffen. Klar ist aber: Hochwertige Lebensmittel lassen sich nicht mit Null-Emissionen herstellen und Ernährungssicherung ist die Kernaufgabe der Landwirtschaft."
    Seit 2009 ist der Ausstoß von Treibhausgasen im Inland kaum noch gesunken – trotz des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Inzwischen ist fraglich, ob Deutschland seine Zusage einhalten kann, bis zum Jahr 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent zu senken. Viele Experten halten dies für kaum noch für erreichbar, und in einer aktuellen Projektion rudert auch das Bundesumweltministerium schon etwas zurück: Bei zügiger und anspruchsvoller Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen seien minus 37 bis minus 40,5 Prozent erreichbar, hieß es Anfang Oktober – also keine Punktlandung. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, gibt sich trotzdem optimistisch:
    "Wir haben ja Maßnahmen vereinbart im Rahmen des Aktionsprogramms Klimaschutz 2020, um das was wir perspektivisch erreicht hätten, nämlich nur etwas um die 32 bis 33 Prozent noch aufzufüllen. Da haben wir sehr große Fortschritte gemacht und wir werden demnächst die Studien und Analysen bekommen, die zeigen: Wir weit sind wir denn jetzt mit der konkreten Umsetzung und reichen die bisherigen Maßnahmen aus oder werden wir noch etwas mehr tun müssen?
    Am Ende werden wir das Ziel erreichen, weil das nun wirklich Konsens über alle politischen Parteien ist, dass dies auch so sein soll."
    Die Konkurrenz schläft nicht
    Deutschland hat als ehemaliger Musterschüler im Klimaschutz eine Menge Renommee zu verlieren. Länder wie China und die USA hätten im Klimaschutz in den vergangenen Jahren viel aufgeholt, beobachtet Christoph Bals von der Umwelt- und entwicklungspolitischen Organisation Germanwatch. Vielleicht habe weltweit bereits eine Wende eingesetzt.
    "Wir haben im Jahr 2015 erstmals mehr Investitionen und auch Leistung, die aufgebaut wurde für erneuerbare Energien weltweit gehabt, als für alle anderen Bereiche: Kohle, Öl, Gas, nuklear, zusammengenommen, an Kapazitäten, mehr an erneuerbaren Energien aufgebaut weltweit.
    Und das hat dann dazu geführt, dass 2014 und 15 die Emissionen aus den fossilen Energien nicht mehr gestiegen sind, sondern stabil waren, obwohl es ein Wirtschaftswachstum von mehr als 3 Prozent weltweit gegeben hat. Das ist das erste Mal seit der industriellen Revolution, dass in Zeiten, wo es ein solides Wirtschaftswachstum gegeben hat, es keinen Anstieg von CO2-Emissionen gegeben hat."
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks will jetzt versuchen, den deutschen Klimaschutzplan bis zum Jahr 2050 in der kommenden Woche und damit noch während des Klimagipfels von Marrakesch verabschieden zu lassen. Gerade mehr Ehrgeiz im Klimaschutz bringe Wettbewerbsvorteile, denn auch für die deutsche Wirtschaft gehe es um Anteile am Markt für klimaschonende Produkte von morgen:
    "Ich halte diese Kritik auch für sachlich völlig falsch: Denn wir müssen die Chance ergreifen, mit den Maßnahmen des Klimaschutzes auch Innovationen voranzubringen. Vor Kurzem hat Hillary Clinton gesagt: Wir werden im Zusammenhang mit dem Klimaschutz entscheiden müssen, ob China, Deutschland oder wir die Nase vorn hat. Ja genau diese Frage müssen wir uns auch stellen: Ob China, die USA oder wir die Nase vorn hat."