Schuldnerberatung

Wenn schwäbische Hausfrauen einen Schuldenschnitt brauchen

Schuldnerberatung der Diakonie in Hildesheim
Erster Schritt bei der Schuldnerberatung: Alle Schulden zusammenrechnen, um einen Überblick der Finanzen zu bekommen. © picture alliance / dpa / Foto: Jochen Lübke
Von Uschi Götz  · 26.05.2015
In Stuttgart sind Mieten und Lebenshaltungskosten hoch. Wer dann auch noch unkontrolliert im Internet eingekauft und mehrere Handyverträge hat, gerät schnell in die Schuldenfalle. In der Schuldnerberatung wird Betroffenen geholfen. In der Mehrzahl sind die Klienten Frauen.
Wer den Schuldenschnitt will, muss nach oben. Drei Etagen, mitten in Stuttgart. Die Glastür geht auf. Ein Mann im karierten Hemd bittet herein. Es ist Wolfgang Schrankenmüller
"Es ist befreiend, weil ich danach, vor allem wenn ich einen Arbeitsplatz habe, ganz anders wieder ans Leben rangeh. Dadurch wird das Leben einfach lebenswert."
Zahlungsunfähigkeit, damit kennt sich der Mann mittleren Alters aus. Er leitet die Zentrale Schuldnerberatung in Stuttgart, eine Sozialberatung für Schuldner. Griechenland ist bei Schrankenmüller und seinem Team sozusagen jeden Tag. Manche bringen die Raten für ihre Immobilie nicht mehr auf, weil sie krank geworden sind oder den Arbeitsplatz verloren haben. Andere bestellen hemmungslos im Internet, schließen zig Handyverträge ab und verlieren irgendwann die Kontrolle über das Girokonto.
Jeder neunte Einwohner ist verschuldet
Doch vor allem die Lebenshaltungskosten sind es, die manch einen auffressen. Stuttgart ist teuer, und deshalb ist jeder neunte Einwohner in der reichen Stadt überschuldet. Vor allem Alleinerziehende sind betroffen. Das hohe Mietpreisniveau in Baden-Württemberg ist ein Grund für die Überschuldung vieler Stuttgarter. Ein Normalverdiener muss über die Hälfte seines Einkommen - 60 Prozent - fürs Wohnen ausgeben. Dabei sind es vor allem Frauen und Mütter die irgendwann sagen: es ist alles nicht mehr zu bezahlen, weiß Wolfgang Schrankenmüller aus jahrzehntelanger Erfahrung:
"Die Männer sind eher so, dass man es nochmal verdeckt oder noch weiter so lässt, wie es ist. Wir machen dann einen klaren Schnitt und sagen, wenn hier Beratung, dann müssen beide kommen, wenn es um Paare oder Ehepaare geht."
Im schlichten Büro von Wolfgang Schrankenmüller stehen drei Stühle um einen Tisch. Auf dem Tisch liegt ein Stapel weißes Papier und Kugelschreiber. Papiertaschentücher wie beim Psychologen gibt es hier nicht. Wer es bis hierher geschafft hat, hat die meisten Tränen schon vergossen.
Wolfgang Schrankenmüller ist ein behutsamer Mensch. Liebevoll redet er von seinen Klienten, erzählt, wie gerade Migranten eine Überschuldung als persönliche Niederlage empfinden. Am Anfang kommen die Kontoauszüge auf den Tisch. Im nächsten Schritt wird geklärt, wie hoch die Schulden wirklich sind.
"Viele Menschen kommen und wissen gar nicht, wie viele Schulden sie eigentlich haben. Und schon dieses Stück Arbeit… zu sehen: ich habe so viele Schulden bei so vielen Gläubigern und muss auch monatlich Ratenzahlungen leisten, das ist dann schon ein erstes Ergebnis."
Es droht die Kündigung der Wohnung
Gibt es kein Geld mehr von der Bank, können Stromkosten nicht mehr bezahlt werden, droht die Kündigung der Wohnung, dann muss schnell gehandelt werden. In diesen Fällen gibt es keine Wartezeiten für eine Beratung, ansonsten warten Schuldner oft ein halbes Jahr auf ihr erstes Beratungsgespräch.
Meist geht es um Schulden von ein paar tausend bis 100.000 Euro. Abstottern oder Schuldenschnitt, das ist dann die Frage. Die Betroffen wollen in der Regel so schnell wie möglich raus aus den roten Zahlen, also einen schnellen Schuldenschnitt, auch als private Insolvenz bekannt:
"Viele haben das aus den Medien, sie kennen das und sagen, ich hätte gerne Inso und dann sagen wir, aber gibt es nicht auch Alternativen? Es bringt wenig, wenn wir eine schnelle Regulierung machen."
Ob ein Schuldenschnitt gemacht wird oder ob das Geld auf anderen Wegen beschafft wird, hängt in der Regel von der Gesamtsituation des Schuldners ab und weniger von seiner Schuldenhöhe. Wolfgang Schrankenmüller erzählt, bei einer Beratung wird beispielsweise erörtert, ob der Arbeitgeber mit einem Vorschuss einspringen kann, ob die Verwandtschaft bereit ist Geld vorzustrecken, oder was es sonst noch für Möglichkeiten gibt. Der Schritt zur Beratung sorgt auch im Umfeld von Schuldnern wieder für Vertrauen.
Es wird zunächst viel versucht, um die Schulden abzustottern. Die private Insolvenz sei oft nur eine kurzfristige Entlastung, so Schuldnerberater Schrankenmüller. Die Probleme, die Geldprobleme kämen wieder, wenn das Übel nicht an der Wurzel gepackt wird. Bei einer Schuldnerberatung geht es zwar um Geld, aber eigentlich um eine Lebensberatung. Wer in der Schuldenfalle steckt, hat nicht nur Geldprobleme. Welche das sind, das wird ergründet. Manchmal dauern Beratungen bis zu einem Jahr.
Wofür steht der Kauf vieler Kleider? Wie schützt man sich vor einer spontanen Bestellung im Internet?
"Die harten Themen: Automobil. Muss ein Auto sein in der Großstadt Stuttgart? Oder starkes Rauchen, kostet viel Geld, das sind Fragen, die dann viel schwieriger zu beantworten sind, aber darin liegt auch ein Stück der Lösung."
Sparen und verzichten.
"Wir sind manchmal auch in der Rolle, dass wir sagen, ja, klassisch mal auf Dinge zu sparen, ist ja vielleicht auch nicht das Falsche…"
Ignorieren von Mahnbriefen
Ein Bild an der Wand im Büro von Herrn Schrankenmüller zeigt eine Klippenlandschaft an der Atlantikküste. Schuldenschnitt ja oder nein? Wer richtig Schulden hat, ignoriert oft Mahnbriefe, wirft Kontoauszüge ungelesen weg.
Werden die Finanzen geordnet, übernehmen die Profis für eine Weile die Geldgeschäfte: sie führen Gespräche mit Gläubigern und Banken. Die Stuttgarter Schuldnerberater können auch auf Stiftungsgelder zugreifen, wenn es sich um Notfälle handelt:
"Vor allem bei solchen Fällen, wo die Lebenssituation schwierig ist, die man den Gläubigern zumindest auch nahe bringen kann, sagen, sie haben hier sowieso nichts mehr zu erwarten, an Zahlungen, die Situation ist schwierig, aber wir würden ihnen jetzt den Spatz in die Hand, nicht die Tauben auf dem Dach anbieten."
Die Gläubiger bekommen so zumindest einen Teil ihrer Forderungen wieder. Kommt ein Schuldner wieder auf die Beine, muss er das Geld jedoch wieder der Stiftung zurückgeben. Helfen ja, aber es gilt auch aus der Situation etwas zu lernen:
"Da verstehe ich Herrn Schäuble schon auch, wenn er sagt, wenn dann am Schluss derjenige der Dumme ist, der hier noch sein Kredit zurückbezahlt. Das kann es natürlich auch nicht sein."
Schuldnerberatungsstellen arbeiten meist erfolgreich. Wer den Schritt über die Schwelle schafft, hat schon die größte Hürde genommen. Wie lange es dauert, bis einer schwarze Zahlen schreibt, hängt von vielen Faktoren ab. Nach einem Jahr sehen die meisten wieder Land, sagt Wolfgang Schrankenmüller:
"Das ist das Schöne an dieser Schuldnerberatung, wenn die Beratung mal beendet ist und dieser Schuldenschnitt entweder schon vollzogen ist oder zumindest das Insolvenzverfahren schon im Gange ist, dass dann tatsächlich viele Ratsuchende auch Kuchen vorbeibringen und sagen, ja ohne ihre Hilfe hätte ich das nicht geschafft, das ist ein häufiges Feedback, das wir kriegen. Das macht uns auch ein bisschen stolz."
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