Schüz: Kein Beweis für erhöhtes Risiko

Moderation: Dieter Kassel · 02.02.2007
Die widersprüchlichen Interpretationen einer Studie zum Krebsrisiko durch Mobiltelefone sorgten in den vergangenen Tagen für Aufregung. Doch nach Ansicht von Joachim Schüz vom Institut für Krebs-Epidemiologie in Kopenhagen enthält die Studie keine Beweise für ein Gesundheitsrisiko durch Handy-Strahlung. Es gebe aber einen Befund, den man ernst nehmen müsse.
Dieter Kassel: Die Studie aus Skandinavien ist ein Teil eines größeren Projekts namens "Interphone". Der allererste Teil dieses Projekts, das war, genau genommen, der deutsche, zumindest der erste, bei dem etwas veröffentlich wurde. Das war im vergangenen Jahr. Damals hörte man schon etwas von dem deutschen Wissenschaftler Joachim Schüz, eigentlich an der Uni Mainz, im Moment ist er aber am Institut für Krebsepidemiologie in Kopenhagen, und dort begrüße ich ihn jetzt. Schönen guten Tag Herr Schüz!

Joachim Schüz: Guten Morgen Herr Kassel!

Kassel: Wie kann es denn sein, dass Wissenschaftler, Ihre Kollegen, im Rahmen auch Ihres Projekts ein Forschungsergebnis veröffentlichen, und anschließend schreibt die eine seriöse Zeitung, nun ist bewiesen, dass Handytelefonie gefährlich ist, und die andere schreibt, nun ist endlich bewiesen, dass es nicht gefährlich ist?

Schüz: Ja, das ist sehr schwierig. Die Schlagzeilen gehen hier wirklich stark auseinander. Wenn man sich allerdings die Mühe macht, die Arbeit in Ruhe zu lesen, wird man feststellen, dass eigentlich eine sehr klare Botschaft aus der Arbeit abzulesen ist, denn im Einklang mit auch vorangegangenen Studien, die sich mit der Fragestellung, ob Handys Krebs erzeugen, beschäftigt haben, wird auch bei dieser Studie kein Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und der Handynutzung festgestellt.

Kassel: Nun stand aber trotzdem ja in einigen Zeitungen, dass bei dem skandinavischen Teil, also dem aktuellen, über den viel diskutiert wurde, in der Tat unter den Befragten Menschen mit Hirntumoren mehr Handynutzer waren als bei anderen Studien. Und daraus kann man trotzdem nichts entnehmen, oder ist das schlicht falsch?

Schüz: Also man muss sich ein bisschen mit den Stärken und Schwächen der Studie beschäftigen, wenn man verstehen möchte, wie diese Aussagen zustande kommen. Es handelt sich um eine so genannte Fall-Kontroll-Studie, bei der eine Gruppe von Patienten, die bereits am Hirntumor erkrankt sind, zu ihren Handynutzungsgewohnheiten befragt wurden. Diese Gruppe wurde einer Zufallstichprobe von nicht erkrankten Personen gegenübergestellt, die ebenfalls diese Fragen beantwortet haben. Man hat hier Fragen gestellt, nicht nur zur Nutzungshäufigkeit, sondern vor allen Dingen auch, wann die Leute angefangen haben, regelmäßig zu telefonieren, und das ist ja bei der Krebsentstehung der ganz entscheidende Aspekt, weil man davon ausgeht, dass zwischen dem Beginn einer Belastung und letztendlich dem Ausbruch der Erkrankung sehr viele Jahre vergehen können. Und diese Gruppe der so genannten Langzeitnutzer, wie wir sie dann auch bezeichnen, die also mehr als zehn Jahre bereits mit dem Handy telefoniert haben, darauf fokussiert letztendlich auch das entscheidende Ergebnis der Arbeit, und generell hat sich in der skandinavischen Studie kein erhöhtes Risiko, auch bei den Langzeitnutzern gezeigt. Es gibt allerdings eine Untergruppenauswertung aus der Studie, die durchaus aufmerksam macht und die man auch ernst nehmen sollte. Allerdings darf man nicht so weit gehen, diesen Untergruppenbefund jetzt als erwiesene Schädigung auszulegen.

Kassel: Aber sagen Sie doch trotzdem, was ist denn das für ein Untergruppenbefund?

Schüz: Man ist jetzt darüber hinausgegangen und hat diese Gruppe der Langzeitnutzer noch einmal unterteilt, und zwar hat man die Leute auch gefragt, welche Kopfseite sie denn bevorzugt für das Telefonieren benutzen. Das natürlich ausgehend von der Theorie, dass man denken würde, wenn jemand das Handy oft an die linke Kopfseite hält, wäre die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein Tumor auch linksseitig auftritt. Und wenn man sich die Analyse dieser Seitenübereinstimmung anschaut, dann stellt man in der Tat eine 40-prozentige Risikoerhöhung fest. Nur: Das Problem ist, es gibt ein wenig methodische Probleme bei der Interpretation dieser Frage, und das ist letztendlich die Krux an der Geschichte.

Kassel: Ist die Krux an der Geschichte nicht schlicht, dass Telefonieren mit dem Handy zumindest in größeren Kreisen der Bevölkerung einfach noch nicht lange genug üblich ist?

Schüz: Ja, wir haben ein bisschen ein Dilemma mit dieser Studie, dass natürlich diese Langzeitnutzer in der Studie selbst eine sehr kleine Gruppe darstellen. Die Patienten, die in die Studie aufgenommen wurden, sind alle zwischen 2000 und 2002 erkrankt. Das heißt, wenn sie mindestens zehn Jahre ein Handy genutzt haben wollen, dann müssen die schon Anfang der neunziger Jahre angefangen haben, also teilweise sogar noch mit der deutschen C-Netz-Technologie und gar nicht mit diesen digitalen Handys, wie wir es ja heute kennen. Das, was in unserer Studie jetzt eine sehr kleine Population ist, das stellt natürlich heute schon einen relevanten Anteil in der Bevölkerung dar, und in ein paar Jahren von heute wird es die Mehrheit der Bevölkerung darstellen, die mehr als zehn Jahre ein Handy benutzt hat, und deshalb dürfen wir als Wissenschaftler jetzt auch nicht aufgeben. Wir müssen zwar im Moment feststellen, dass die interessanten Ergebnisse auf einer sehr kleinen Gruppe beruhen, aber es sind trotzdem die Ergebnisse, die natürlich zukünftig die stärkste Relevanz haben werden.

Kassel: Nun stellen wir bitte, nachdem wir das eine klargestellt haben, auch noch das andere klar. Sie haben es ja jetzt gesagt, einen Beweis dafür, dass häufiges Benutzen von Mobiltelefonen die Entstehung von Gehirntumoren fördert, den gibt es nicht, zumindest nicht von Ihnen. Gibt es umgekehrt, wie auch einige Zeitungen geschrieben haben, bisher durch die Interphone-Studie den Beweis dafür, dass es diesen Zusammenhang zwischen Gehirntumoren und Handys sicher nicht gibt?

Schüz: Solche Studien sind ja schon vom Design her so angelegt, dass man den Nullbeweis gar nicht antreten kann. Das heißt, was man über diese Studien machen kann, ist das Restrisiko eigentlich immer nur weiter eingrenzen. Das heißt, durch mehr und mehr Studien kann man sagen, jetzt kann vielleicht höchstens noch ein 50-prozentiges Restrisiko bestehen, und durch weitere Studien kann man das noch weiter herunter brechen. Aber irgendwann muss man sich letztendlich entscheiden, ob die Gesellschaft mit einem bestimmten Restrisiko leben kann oder ob man das noch weiter ermitteln muss. Wenn jetzt bei der Interphone-Studie kein erhöhtes Risiko unter den Langzeitnutzern rauskommt, selbst dann muss man sich noch überlegen, ob man nicht weitere Studien aufsetzt, um diese Gruppe noch weiter zu beobachten, denn da sie irgendwann den Großteil der Bevölkerung stellen wird, möchte man vielleicht auch eben kleinere Restrisiken ausschließen, was man jetzt vielleicht bei anderen Belastungen der Bevölkerung nicht so tut.

Kassel: In welchem Stadium der Interphone-Studie befinden wir uns überhaupt? Wir haben jetzt vor einem Weilchen die Ergebnisse aus Deutschland gehabt. Anlass für unser Gespräch jetzt gerade sind ja die aus Skandinavien, aber die Studie selbst ist ja viel größer. Wie geht es denn weiter?

Schüz: An der Studie haben insgesamt 16 Studienzentren aus 13 Ländern teilgenommen. Veröffentlicht sind jetzt die Daten von sieben Zentren, das heißt etwas mehr als die Hälfte der gesamten Interphone-Population. Wir rechnen damit, dass wir die letztendlichen Auswertungen vielleicht Mitte des Jahres vorlegen können. Die Feldarbeit, das heißt die Befragung der Patienten und der Kontrollpersonen, die ist in allen Ländern abgeschlossen, und das heißt, im Moment wird ganz emsig an den Auswertungen gearbeitet.

Kassel: Es ist in Deutschland längst eine gewisse Handyhysterie ausgebrochen, und damit meine ich jetzt gar nicht, dass immer mehr Menschen mit dem Handy telefonieren, sondern immer mehr Menschen sind sich persönlich längst vollkommen sicher, dass das sehr gefährlich ist. Es gab eine Umfrage im vergangenen Jahr, da haben 29 Prozent der Deutschen gesagt, sie wissen 100 Prozent, das ist ungesund mit dem Handy zu telefonieren, und neun Prozent haben sogar behauptet, dass sie selber die gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei sich schon spüren. Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, warum das in vielen Menschen so festgebissen ist, dass Handys gefährlich sein müssen?

Schüz: Man hat das ja auch jetzt ganz aktuell wieder gemerkt, dass diese Studien immer auch für große Schlagzeilen sorgen. Man muss sich dann natürlich ein bisschen auch angucken, was für Gefahren werden da genannt. Wir konzentrieren uns jetzt natürlich auf Krebs, das wäre ja ein nun wirklich sehr schwerwiegender gesundheitsschädigender Effekt, wo man dann auf jeden Fall natürlich auch sofort handeln müsste, wenn da ein überzeugender Anlass für ein Risiko bestände. Ich glaube, was sicherlich auch im Gebrauch mit sehr viel Handynutzung dann manchmal auffällt, das könnten durchaus aus Symptomatiken sein, dass man vielleicht Kopfschmerzen bekommt, dass man vielleicht auch Schwindelgefühle bekommt, und da ist es natürlich sehr schwer nachzuweisen, ob das jetzt an dem Handy selbst liegt, ob das vielleicht letztendlich auch an stressbedingten Situationen liegt, denen Vieltelefonierer alltäglich ausgesetzt sind. Wissenschaftlich gibt es eigentlich bisher keine Beweise, dass Handys zu irgendwelchen nachteiligen Effekten führen, sei das jetzt schwerwiegende Erkrankungen wie Krebs oder seien das auch vielleicht etwas harmlosere Symptomatiken. Aber man muss hier ganz klar sagen, dass bei vielen Bereichen die Forschung auch noch am Anfang steht, und man deshalb keine Garantie geben kann, ob nicht vielleicht noch irgendeinem etwas auffällig wird.

Kassel: Wenn wir noch mal zurückkommen auf diese vielen eigenartigen Zeitungsartikel, die es nach den Veröffentlichungen der letzten Ergebnisse gegeben hat, rächt sich nicht hier Ihrer Meinung nach auch ein bisschen die Tatsache, dass – und offenbar gilt es auch für Journalisten, die in großen Tageszeitungen schreiben -, dass ein bisschen in unserer Gesellschaft es immer noch üblich und völlig in Ordnung ist, sehr wenig von Naturwissenschaften zu verstehen? Denn ich unterstelle mal, dass die meisten Leute, die mit größter Panik über gepulste Strahlung reden, eigentlich nicht wissen, was das ist, und die Zeitungen haben ja auch bewiesen, viele haben die Ergebnisse, so wie sie veröffentlicht wurden, gar nicht verstanden.

Schüz: Also in diesem Fall muss man zur Verteidigung wirklich einräumen, dass die Ergebnisse nicht einfach zu verstehen sind und wir auch unter uns Wissenschaftlern sehr intensiv diskutiert haben und man wirklich die Stärken und Schwächen des Studiendesigns sehr gut verstehen muss, um da zu einer Interpretation zu kommen. Und deshalb ist es auch natürlich ganz gut, wenn Wissenschaftler selbst den Kontakt haben, ihre Sichtweise noch mal versuchen können in einfachen Worten zu erläutern. Es gibt Informationsseiten, auf denen man sich ganz gut eigentlich auch über die Technologie informieren kann, wo man sich zum Beispiel auch informieren kann, wenn man einen umsichtigen Umgang mit dem Handy pflegen möchte. Da kann ich gerne die Seite des Bundesamtes für Strahlungsschutz im Internet empfehlen, die haben das eigentlich sehr gut dargestellt.

Kassel: Joachim Schüz war das. Er ist Epidemiologe und einer der Forscher, die in Kopenhagen die Interphone-Studie mit betreuen über die möglichen Gefahren von Handynutzung, und ich mache jetzt Folgendes, Herr Schüz: Ausnahmsweise fasse ich nicht zusammen, was Sie gesagt haben, denn wir haben in den letzten Tagen in den Zeitungen gelesen, was passieren kann, wenn Journalisten das einfach so versuchen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Schüz: Bitte sehr!