Schülerprojekt

Die Suche nach jüdischen Spuren in Templin

Blick in eine Straße in der brandenburgischen Stadt Templin mit dem Mühlentor, einem der drei historischen Stadttore
In Templin gibt es zahlreiche Spuren jüdischen Lebens - doch sie müssen mühsam zusammengetragen werden. © imago/blickwinkel
Von Thomas Klatt · 29.07.2016
Der Brief eines Shoa-Überlebenden war der Auslöser dafür, dass auf dem jüdischen Friedhof im brandenburgischen Templin nun eine zweite Tafel mit Namen Verstorbener angebracht werden konnte. Templiner Schüler trugen die Daten zusammen. Doch es gab politische Widerstände.
Ein Brief aus New York elektrisierte die Schüler des evangelischen Religionsunterrichtes. Er stammte vom mittlerweile emeritierten Physikprofessor Gerhard Salinger, der von der Wiederherstellung des jüdischen Friedhofes in Templin erfuhr. Seit Jahrzehnten widmet er sich der Dokumentation erloschener jüdischer Gemeinden in Europa.
"Wörtlich schrieb er uns: 1945 war ich der einzige Überlebende meiner Familie. Meine Eltern und meine Schwester wurden deportiert und waren umgekommen. Ich selbst hatte Glück und war damals noch sehr jung. Ich überlebte Auschwitz und Buchenwald und wurde dann in Dachau befreit. Es ist sehr schade, dass die Angaben der ersten Namenstafel nur bis 1848 reichen. Meiner Ansicht nach sind auf dem Templiner jüdischen Friedhof etwa 70 bis 80 Personen beerdigt worden. Manchmal helfen die Standes- oder Einwohnermeldeämter, wenn noch Akten vorhanden sind."
Aufgrund seines Briefes durchforsteten die Schüler erneut die lokalen Archive und wurden fündig: 20 weitere Namen, die nun auf dem neuen bereits zweiten Namensstein stehen.
"Am 29.1.1886 Nathan Salinger im Alter von 72 Jahren. Am 15.3.1886 Greta Pinkus, genannt Schönchen, im Alter von 18 Tagen."
Es war recht mühselig, die alten Sütterlin-Einträge aus den Archiven zusammenzutragen. Schließlich aber konnte der Namensstein gestaltet werden, für 4000 Euro, getragen von der Stadt Templin, der evangelischen Kirchengemeinde und dem Kirchenkreis. Auch der örtliche Steinmetz kam dem Projekt wohlwollend auch finanziell entgegen.
"Mögen ihre Seelen eingebunden sein in den Bund des ewigen Lebens."

Gegen politische Widerstände durchgesetzt

Nur war die Freude über so viel Engagement nicht bei allen vorhanden, erinnert sich Joachim Jacobs von der jüdischen Gemeinde Berlin, der das Schülerprojekt zuletzt begleitet hat. So wurden im Vorfeld Bedenken geäußert, dass man der Juden nicht immer nur unter dem Aspekt der Shoa gedenken sollte.
"Das ist natürlich Unsinn, weil dieses Projekt hier auf diesem Friedhof hat gar nichts mit der Shoa zu tun. Das sind ja alles Menschen, die sind vor der Shoa gestorben, und es geht darum, den Friedhof - im Grunde eine zutiefst jüdische Sache -, den Friedhof wieder halachisch gerecht herzustellen."
Vor Jahren gab es noch mehr politische Widerstände im Rathaus. Nicht jeder wollte auf Info-Tafeln lesen, dass der historische Friedhof auf einem unattraktiven Hügel an der Stadtmauer lag und quasi die Ausgrenzung der Juden seit 1760 verdeutlichte. Auch nicht, dass der Friedhof erst zu DDR-Zeiten dem Erdboden gleichgemacht wurde. Heute liegen hier nur noch ganz wenige Bruchstücke originaler jüdischer Grabsteine. Religionslehrer Holger Losch und seine Schüler setzten sich aber durch. Der Ort wurde nach halachischen Vorschriften wieder hergestellt. Auf Info-Tafeln ist die ganze Geschichte nachzulesen.
"Dass ein jüdischer Friedhof eingefriedet sein muss. Dass ein Zaun ringsherum gemacht werden muss. Dass Stein und Name wieder vereint sind. Dass im Haus der Ewigkeit, im Beth Olam, Stein und Name wirklich für immer vereint sind. Das war für uns das theologische Zentrum dieses Projektes, dass wir nach den Zerstörungen, die einerseits in den 30er-Jahren stattgefunden haben, andererseits nach der Gedankenlosigkeit, die 1951 passierte, wo nämlich die noch nach '45 vorhandenen Grabsteine alle entfernt worden sind. Dass wir versuchen, wieder die Namen zu erinnern."

Immer wieder Schmierereien und Aufkleber

Der evangelische Religionslehrer Holger Losch hat somit erst die Grundlagen des Gedenkens geschaffen. Auch dass Templin eine ehemalige Synagoge besitzt, die heute noch versteckt auf einem Hinterhof liegt, hatte Losch mit seinen Schülern herausgefunden.
"Wir haben 'Spuren jüdischen Lebens in Templin', eine Broschüre, entwickelt. Wir haben eine Ausstellung zu dem selben Thema gemacht. Natürlich können wir jetzt zu den Namenssteinen gehen. Wir können auf die Synagoge hinweisen und zu einem Denkmälchen hingehen, das wir 1997 eingeweiht haben. Also es sind schon erkennbare Orte, nicht nur für Gäste, die bei uns Urlaub machen, sondern für uns Templiner selber, für die Schüler, die jüdisches Leben erkennbar machen."
Dem nicht genug - die Schüler des Gymnasiums haben für die Zukunft eine Patenschaft übernommen. Zusammen mit der Stadtgärtnerin soll der jüdische Friedhof Templin dauerhaft gepflegt werden, verspricht die Schülerin Sophie Baron.
"Ich denke, dass wir Schüler uns weiter um den Ort hier kümmern werden und drauf aufpassen werden. Dass hier niemand irgendwas kaputt macht, denn wir haben hier viel Herzblut reingesteckt. Zum Beispiel irgendwelche Schmierereien, dass die auch wieder weg kommen. Dass wir zum Teil auch schon Aufkleber hier auf den Steinen hatten, die wir auch mit ätzendem Zeug abschrubben mussten und ich denke dass ich Zukunft weitere solche Vorfälle, dass damit zu rechnen sein wird."
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