Schrumpfende Städte zu Touristenmagneten
Im Bauhaus Dessau zeigen 19 Städte aus Sachsen-Anhalt ihre Ideen zur IBA 2010. Um ihrer Schrumpfung etwas entgegenzusetzen, werden Eisleben als Lutherstadt oder Köthen als Stadt der Homöopathie in attraktive Bildungsorten sowohl für Touristen wie Schüler und Einheimische verwandelt, erklärt Philipp Oswalt, Architekt und Leiter der Bauhaus-Stiftung Dessau.
Ulrike Timm: Wenn wir Städte nicht mehr aufbauen können, weil sie ohnehin für ihre schwindende Einwohnerzahl viel zu groß sind, dann bauen wir sie eben um. Und zwar so, dass sie für weniger Einwohner lebenswert sind und ihren Charakter behalten – oder ihn wiederfinden. Das sind Leitgedanken in Sachsen-Anhalt zur Internationalen Bauausstellung 2010.
Und über die Ideen zum sinnvollen Stadtumbau sprechen wir jetzt mit dem Architekten und Leiter der Bauhaus-Stiftung Dessau, mit Philipp Oswalt. Schönen guten Tag!
Philipp Oswalt: Hallo!
Timm: Herr Oswalt, bleiben wir doch gleich mal in Eisleben. Die Stadt nennt sich ja schon Lutherstadt-Eisleben, hat aber gemerkt, dass man von ihrem Namenspatron noch nicht genug sieht. Was wird denn auf diesem Lutherweg zu sehen sein?
Oswalt: Er hat zwei wichtige Punkte: Das ist das Geburtshausensemble und das Sterbehausensemble, das sind tatsächlich museale Bauten, das eine auch schon hoch prämiert, das andere noch in Planung, wird erst nächstes Jahr begonnen mit dem Bau. Und dazwischen sind über ein Dutzend Stationen, wo über Luther und die Sprache, Luther und die Fremden und anderes erzählt wird in künstlerischen Installationen. Das heißt, es gibt einen sehr schönen Weg durch diese Stadt des Weltkulturerbes, der beginnt an dem Geburtshaus. Wichtig ist aber auch zu sagen, es geht nicht nur um Luther. Es geht schon auch um die Schwierigkeit, ein Flächendenkmal, Hunderte von alten historischen Häusern zu erhalten, obwohl es weniger und weniger Bewohner gibt.
Timm: Herr Oswalt, 19 Städte machen jetzt mit, sind übrig geblieben bei dieser Ausstellung zum Stadtumbau, die morgen in Dessau dann eröffnet wird. Welche Ideen stechen dann ganz besonders heraus oder welche Ideen haben Sie ganz besonders überrascht?
Oswalt: In den 19 Städten ist eigentlich immer vor Ort mit den Menschen entwickelt und es war auch immer der Wunsch sozusagen, dass jede Stadt ihr eigenes Thema findet. Insofern gab es jetzt erst mal nicht sozusagen das zentrale Motto. Es gibt aber dann doch Themen, die sich rauskristallisieren. Ein ganz klares ist zum Beispiel die Frage der Landschaft. Wenn man abreißen muss, Gebäude verschwinden, tritt eben halt in den Städten Naturraum, Landschaft, aber eben halt keine klassischen Parks. Das finden Sie dann zum Beispiel in Dessau, in Staßfurt mit einem See in der Stadtmitte, in Weißenfels – ein ganz wichtiges Element. Ein anderes wichtiges Element ist das Thema Bildung. Es geht bei dieser Bauausstellung nicht allein ums Bauen, um die Gebäude, sondern es geht auch darum, was passiert in den Städten, was passiert mit den Häusern und was passiert mit den Menschen. Bildung ist im Kontext der Schrumpfung in mehrfacher Weise ein ganz wichtiges Thema. Es geht darum, die Bildung zu verbessern, es geht aber auch um Bildungstouristen als temporäre Bewohner.
Timm: Bleiben wir mal ein bisschen bei den Städten, bei dem Umbau und bei den Motti, die sich die Städte selber geben. Mir ist zum Beispiel eins aufgefallen: Köthen wird "Stadt der Homöopathie". War es das schon immer und man hat es nicht gewusst?
Oswalt: Hahnemann, als der Erfinder der Homöopathie, hat viele Jahre in Köthen gewirkt und es dort entwickelt, und man hat das jetzt in doppelter Weise zum Thema gemacht. Zum einen hat man die homöopathische Bibliothek, die Zentrale, nach Köthen gebracht aus Hamburg, man hat einen Studiengang eröffnet und man hat die Methoden der Homöopathie auf die Stadtplanung angewandt bei der Sorge um ein Altstadtareal in der Innenstadt.
Timm: Wenn es um Umbau geht bei den Städten in Sachsen-Anhalt und gar nicht mehr so viel Neues zu bauen ist, dann können naturgemäß nicht nur Architekten an der Planung beteiligt sein. Ich habe gehört, da waren Pfarrer, Bienenzüchter und Musikschüler, Museumsleute dabei, um diese IBA, diese Internationale Bauausstellung Stadtumbau, vorzubereiten. Was haben denn die Pfarrer, Bienenzüchter und Musikschüler beigesteuert?
Oswalt: Na ja, Pfarrer ist ja nun nicht so überraschend. In Eisleben mit Luther hat natürlich das eine wichtige Rolle gespielt, auch in Wittenberg, wobei da geht es nicht so sehr um kirchliche Themen, da geht es um Campus, sozusagen die Stadt eigentlich als Bildungsort, wo man dann auch – viele US-Amerikaner interessieren sich für Luther, die als Bildungstouristen in die Stadt zu holen. Man hat also sozusagen Angebote und auch Unterkünfte geschaffen, wo man sich eben halt dann mit Luther beschäftigen kann. Bienenzüchter wiederum sind bei den Landschaftsgestaltungen natürlich wichtig. In Dessau gibt es den Landschaftszug in der Innenstadt, der anstelle der abgerissenen Plattenbau entstanden ist, und dort gibt es sogenannte Claims, also Areale von 400 Quadratmetern, die einzelne Bürger kostenfrei pachten können und dort ihre Art von Landschaft realisieren. Und das ist dann halt mal ein multikultureller Garten, mal ist es eine Bienenzucht, es gibt aber auch Weiden um Betriebsplantagen (Anm. d. Red.: Schwer verständlich im Hörprotokoll) zur regenerativen Energiegewinnung.
Timm: Das heißt, da sind auch Ideen dabei, auf die vielleicht die Stadtplaner gar nicht gekommen wären und für die die Profis den Bewohnern der Städte schlicht dankbar sind?
Oswalt: Schrumpfung ist dann doch in einer gewissen Weise ein neues Thema für die Stadtplanung. Man war gewohnt, über Jahrzehnte oder eigentlich genau genommen über 200 Jahre Wachstum zu planen, und insofern war die IBA ein Experiment auch für die Planer. Man wusste nicht eigentlich, wo man landen will und kann, und insofern ist es, was man gemacht hat, vor allem einen Prozess zu initiieren gemeinsam mit den Bewohnern, mit den Akteuren in den Städten, um diese Projekte zu realisieren.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Philipp Oswalt über die Ideen zur Internationalen Bauausstellung. 19 Städte aus Sachsen-Anhalt zeigen sie vom Wochenende an in Dessau. Herr Oswalt, nun ist der Bevölkerungsrückgang in Sachsen-Anhalt so rasant – Halle hat etwa in 20 Jahren fast ein Viertel seiner Einwohner verloren. Wenn man da fröhlich sagt, wir bauen jetzt kreativ um, trafen die Initiatoren anfangs nicht erst mal bestenfalls auf Lethargie?
Oswalt: Nein, es gibt eigentlich sozusagen den Punkt: Die Städte haben mitgemacht an dem Punkt eigentlich, wo sie selber nicht mehr weiter wussten. Man hat in den 90er-Jahren ja doch noch klassische Wirtschaftsförderung, klassische Wachstumspolitik verfolgt. Dann um die Jahrtausendwende wurde klar, das führte nicht weiter. Lethargie wäre der falsche Ausdruck – man sah die Notwendigkeit, sich den Fakten zu stellen, und mit dem Wenigerwerden heißt es ja nicht, dass das, was heute da ist, einfach weniger wird, sondern man muss viele Sachen neu machen und anders machen. Und darauf hat die IBA gesetzt. Sie hat gar nicht so sehr sich mit den Abrissprozessen auseinandergesetzt – die fanden dann auch statt –, sondern sie hat versucht, die Stadtkerne neu zu qualifizieren, zu stärken im Kontext der Schrumpfung.
Timm: "Weniger ist Zukunft", so heißt das Motto dieser Ausstellung. Versteht sich Sachsen-Anhalt als Labor für ganz Deutschland?
Oswalt: Ja. Das ist sozusagen ganz explizit die Idee bei dieser IBA, exemplarisch Neuland zu betreten, um auch Vorbild für andere zu sein, und das zeigt sich auch jetzt schon in den vergangenen Jahren, dass Stadtvertreter, Planer aus Schweden, aus Niederlanden, aus Japan kommen, um zu lernen, wie man in Sachsen-Anhalt sich diesen Fragen gewidmet hat.
Timm: Nun zielen viele Ideen, von denen Sie gesprochen haben, eindeutig auf Touristen, auf Besucher. Nützt das wirklich schon genug für die Menschen, die dort leben?
Oswalt: Ich habe ja angerissen Bildung – es gibt zum Beispiel mehrere Schulprojekte, ganz explizit, wo es um die Bildung auch für die Schüler geht vor Ort, es gibt sehr heterogene Projekte. Das wäre zu kurz gegriffen, zu sagen, nur auf Touristen zu setzen, das tut diese IBA nicht, wobei man auch sozusagen dieses degoutante Gerede manchmal, was man über Touristen hatte, auch ablegen sollte. Sie sind einer von vielen Faktoren, sie können auch aktive Rollen wahrnehmen. In Quedlinburg, auch ein Weltkulturerbe, gibt es Touristen, die sozusagen leerstehende Häuser kaufen und die wieder instand setzen. Also sie können tatsächlich auch einen aktiven Part in den Städten bekommen.
Timm: Wenn in Städten die Bewohner davonlaufen, hat man nicht erst mal unheimlich viel damit zu tun, dass die Bewohner die Stadt noch als ihre erleben, dass sie sich damit identifizieren?
Oswalt: Wir haben es ja aus DDR-Zeiten oft mit sehr monoindustriell geprägten Städten zu tun, und da waren die Industrien, die Kombinate wichtige Identifikationspunkte – vielleicht am extremsten Bitterfeld mit Chemie. Und wenn das natürlich weggebrochen ist, dann ist eine gewisse Orientierungslosigkeit auch, was macht eigentlich die Stadt aus. Und da ist es schon wichtig, neue Angebote zu schaffen, wobei diese Identifikationspunkte sich auch natürlich mit Inhalt füllen müssen, und das nimmt Ihnen sonst kein Bürger ab. Also Sie können ihm nicht eine Marketingkampagne anbieten, sondern es muss tatsächlich etwas Substanz entwickelt werden. Und das ist ja auch genau das Bemühen, was die IBA hatte, sozusagen für jede Stadt ein spezifisches Profil herauszuarbeiten und praktisch einen Kern, wo man sich als Stadtgesellschaft drauf verständigt, was ist hier eigentlich das Wesentliche, worauf können wir uns beziehen. Und das wurde in den Städten halt dann unterschiedlich entwickelt, mal historisch, mal aktuell, mal auch das Adressieren von Defiziten, worauf sich die Stadtgesellschaft verständigt, was anzugehen ist.
Timm: Haben Sie Rückmeldungen von Bürgern, dass Sie wirklich gemerkt haben, die nehmen das jetzt mehr als ihre Stadt, die identifizieren sich mit diesen Ideen?
Oswalt: Klar, ich meine, die Bürger waren ja vielfach eingebunden in die Projekte, es gab auch natürlich Widerspruch und zum Teil vielleicht auch Proteste. Letztendlich wird man, wie weit es funktioniert hat, über die Jahre sehen.
Timm: Von morgen an präsentieren im Bauhaus Dessau 19 Städte aus Sachsen-Anhalt ihre Ideen zur IBA Stadtumbau 2010. Wir drücken die Daumen, dass möglichst viele davon wirksam werden, und bedanken uns bei Philipp Oswalt. Er leitet die Bauhaus-Stiftung Dessau. Vielen Dank!
Oswalt: Vielen Dank!
Links zum Thema:
Bauhaus Dessau: Weniger ist Zukunft: 19 Städte - 19 Themen
IBA Stadtumbau 2010
Und über die Ideen zum sinnvollen Stadtumbau sprechen wir jetzt mit dem Architekten und Leiter der Bauhaus-Stiftung Dessau, mit Philipp Oswalt. Schönen guten Tag!
Philipp Oswalt: Hallo!
Timm: Herr Oswalt, bleiben wir doch gleich mal in Eisleben. Die Stadt nennt sich ja schon Lutherstadt-Eisleben, hat aber gemerkt, dass man von ihrem Namenspatron noch nicht genug sieht. Was wird denn auf diesem Lutherweg zu sehen sein?
Oswalt: Er hat zwei wichtige Punkte: Das ist das Geburtshausensemble und das Sterbehausensemble, das sind tatsächlich museale Bauten, das eine auch schon hoch prämiert, das andere noch in Planung, wird erst nächstes Jahr begonnen mit dem Bau. Und dazwischen sind über ein Dutzend Stationen, wo über Luther und die Sprache, Luther und die Fremden und anderes erzählt wird in künstlerischen Installationen. Das heißt, es gibt einen sehr schönen Weg durch diese Stadt des Weltkulturerbes, der beginnt an dem Geburtshaus. Wichtig ist aber auch zu sagen, es geht nicht nur um Luther. Es geht schon auch um die Schwierigkeit, ein Flächendenkmal, Hunderte von alten historischen Häusern zu erhalten, obwohl es weniger und weniger Bewohner gibt.
Timm: Herr Oswalt, 19 Städte machen jetzt mit, sind übrig geblieben bei dieser Ausstellung zum Stadtumbau, die morgen in Dessau dann eröffnet wird. Welche Ideen stechen dann ganz besonders heraus oder welche Ideen haben Sie ganz besonders überrascht?
Oswalt: In den 19 Städten ist eigentlich immer vor Ort mit den Menschen entwickelt und es war auch immer der Wunsch sozusagen, dass jede Stadt ihr eigenes Thema findet. Insofern gab es jetzt erst mal nicht sozusagen das zentrale Motto. Es gibt aber dann doch Themen, die sich rauskristallisieren. Ein ganz klares ist zum Beispiel die Frage der Landschaft. Wenn man abreißen muss, Gebäude verschwinden, tritt eben halt in den Städten Naturraum, Landschaft, aber eben halt keine klassischen Parks. Das finden Sie dann zum Beispiel in Dessau, in Staßfurt mit einem See in der Stadtmitte, in Weißenfels – ein ganz wichtiges Element. Ein anderes wichtiges Element ist das Thema Bildung. Es geht bei dieser Bauausstellung nicht allein ums Bauen, um die Gebäude, sondern es geht auch darum, was passiert in den Städten, was passiert mit den Häusern und was passiert mit den Menschen. Bildung ist im Kontext der Schrumpfung in mehrfacher Weise ein ganz wichtiges Thema. Es geht darum, die Bildung zu verbessern, es geht aber auch um Bildungstouristen als temporäre Bewohner.
Timm: Bleiben wir mal ein bisschen bei den Städten, bei dem Umbau und bei den Motti, die sich die Städte selber geben. Mir ist zum Beispiel eins aufgefallen: Köthen wird "Stadt der Homöopathie". War es das schon immer und man hat es nicht gewusst?
Oswalt: Hahnemann, als der Erfinder der Homöopathie, hat viele Jahre in Köthen gewirkt und es dort entwickelt, und man hat das jetzt in doppelter Weise zum Thema gemacht. Zum einen hat man die homöopathische Bibliothek, die Zentrale, nach Köthen gebracht aus Hamburg, man hat einen Studiengang eröffnet und man hat die Methoden der Homöopathie auf die Stadtplanung angewandt bei der Sorge um ein Altstadtareal in der Innenstadt.
Timm: Wenn es um Umbau geht bei den Städten in Sachsen-Anhalt und gar nicht mehr so viel Neues zu bauen ist, dann können naturgemäß nicht nur Architekten an der Planung beteiligt sein. Ich habe gehört, da waren Pfarrer, Bienenzüchter und Musikschüler, Museumsleute dabei, um diese IBA, diese Internationale Bauausstellung Stadtumbau, vorzubereiten. Was haben denn die Pfarrer, Bienenzüchter und Musikschüler beigesteuert?
Oswalt: Na ja, Pfarrer ist ja nun nicht so überraschend. In Eisleben mit Luther hat natürlich das eine wichtige Rolle gespielt, auch in Wittenberg, wobei da geht es nicht so sehr um kirchliche Themen, da geht es um Campus, sozusagen die Stadt eigentlich als Bildungsort, wo man dann auch – viele US-Amerikaner interessieren sich für Luther, die als Bildungstouristen in die Stadt zu holen. Man hat also sozusagen Angebote und auch Unterkünfte geschaffen, wo man sich eben halt dann mit Luther beschäftigen kann. Bienenzüchter wiederum sind bei den Landschaftsgestaltungen natürlich wichtig. In Dessau gibt es den Landschaftszug in der Innenstadt, der anstelle der abgerissenen Plattenbau entstanden ist, und dort gibt es sogenannte Claims, also Areale von 400 Quadratmetern, die einzelne Bürger kostenfrei pachten können und dort ihre Art von Landschaft realisieren. Und das ist dann halt mal ein multikultureller Garten, mal ist es eine Bienenzucht, es gibt aber auch Weiden um Betriebsplantagen (Anm. d. Red.: Schwer verständlich im Hörprotokoll) zur regenerativen Energiegewinnung.
Timm: Das heißt, da sind auch Ideen dabei, auf die vielleicht die Stadtplaner gar nicht gekommen wären und für die die Profis den Bewohnern der Städte schlicht dankbar sind?
Oswalt: Schrumpfung ist dann doch in einer gewissen Weise ein neues Thema für die Stadtplanung. Man war gewohnt, über Jahrzehnte oder eigentlich genau genommen über 200 Jahre Wachstum zu planen, und insofern war die IBA ein Experiment auch für die Planer. Man wusste nicht eigentlich, wo man landen will und kann, und insofern ist es, was man gemacht hat, vor allem einen Prozess zu initiieren gemeinsam mit den Bewohnern, mit den Akteuren in den Städten, um diese Projekte zu realisieren.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Philipp Oswalt über die Ideen zur Internationalen Bauausstellung. 19 Städte aus Sachsen-Anhalt zeigen sie vom Wochenende an in Dessau. Herr Oswalt, nun ist der Bevölkerungsrückgang in Sachsen-Anhalt so rasant – Halle hat etwa in 20 Jahren fast ein Viertel seiner Einwohner verloren. Wenn man da fröhlich sagt, wir bauen jetzt kreativ um, trafen die Initiatoren anfangs nicht erst mal bestenfalls auf Lethargie?
Oswalt: Nein, es gibt eigentlich sozusagen den Punkt: Die Städte haben mitgemacht an dem Punkt eigentlich, wo sie selber nicht mehr weiter wussten. Man hat in den 90er-Jahren ja doch noch klassische Wirtschaftsförderung, klassische Wachstumspolitik verfolgt. Dann um die Jahrtausendwende wurde klar, das führte nicht weiter. Lethargie wäre der falsche Ausdruck – man sah die Notwendigkeit, sich den Fakten zu stellen, und mit dem Wenigerwerden heißt es ja nicht, dass das, was heute da ist, einfach weniger wird, sondern man muss viele Sachen neu machen und anders machen. Und darauf hat die IBA gesetzt. Sie hat gar nicht so sehr sich mit den Abrissprozessen auseinandergesetzt – die fanden dann auch statt –, sondern sie hat versucht, die Stadtkerne neu zu qualifizieren, zu stärken im Kontext der Schrumpfung.
Timm: "Weniger ist Zukunft", so heißt das Motto dieser Ausstellung. Versteht sich Sachsen-Anhalt als Labor für ganz Deutschland?
Oswalt: Ja. Das ist sozusagen ganz explizit die Idee bei dieser IBA, exemplarisch Neuland zu betreten, um auch Vorbild für andere zu sein, und das zeigt sich auch jetzt schon in den vergangenen Jahren, dass Stadtvertreter, Planer aus Schweden, aus Niederlanden, aus Japan kommen, um zu lernen, wie man in Sachsen-Anhalt sich diesen Fragen gewidmet hat.
Timm: Nun zielen viele Ideen, von denen Sie gesprochen haben, eindeutig auf Touristen, auf Besucher. Nützt das wirklich schon genug für die Menschen, die dort leben?
Oswalt: Ich habe ja angerissen Bildung – es gibt zum Beispiel mehrere Schulprojekte, ganz explizit, wo es um die Bildung auch für die Schüler geht vor Ort, es gibt sehr heterogene Projekte. Das wäre zu kurz gegriffen, zu sagen, nur auf Touristen zu setzen, das tut diese IBA nicht, wobei man auch sozusagen dieses degoutante Gerede manchmal, was man über Touristen hatte, auch ablegen sollte. Sie sind einer von vielen Faktoren, sie können auch aktive Rollen wahrnehmen. In Quedlinburg, auch ein Weltkulturerbe, gibt es Touristen, die sozusagen leerstehende Häuser kaufen und die wieder instand setzen. Also sie können tatsächlich auch einen aktiven Part in den Städten bekommen.
Timm: Wenn in Städten die Bewohner davonlaufen, hat man nicht erst mal unheimlich viel damit zu tun, dass die Bewohner die Stadt noch als ihre erleben, dass sie sich damit identifizieren?
Oswalt: Wir haben es ja aus DDR-Zeiten oft mit sehr monoindustriell geprägten Städten zu tun, und da waren die Industrien, die Kombinate wichtige Identifikationspunkte – vielleicht am extremsten Bitterfeld mit Chemie. Und wenn das natürlich weggebrochen ist, dann ist eine gewisse Orientierungslosigkeit auch, was macht eigentlich die Stadt aus. Und da ist es schon wichtig, neue Angebote zu schaffen, wobei diese Identifikationspunkte sich auch natürlich mit Inhalt füllen müssen, und das nimmt Ihnen sonst kein Bürger ab. Also Sie können ihm nicht eine Marketingkampagne anbieten, sondern es muss tatsächlich etwas Substanz entwickelt werden. Und das ist ja auch genau das Bemühen, was die IBA hatte, sozusagen für jede Stadt ein spezifisches Profil herauszuarbeiten und praktisch einen Kern, wo man sich als Stadtgesellschaft drauf verständigt, was ist hier eigentlich das Wesentliche, worauf können wir uns beziehen. Und das wurde in den Städten halt dann unterschiedlich entwickelt, mal historisch, mal aktuell, mal auch das Adressieren von Defiziten, worauf sich die Stadtgesellschaft verständigt, was anzugehen ist.
Timm: Haben Sie Rückmeldungen von Bürgern, dass Sie wirklich gemerkt haben, die nehmen das jetzt mehr als ihre Stadt, die identifizieren sich mit diesen Ideen?
Oswalt: Klar, ich meine, die Bürger waren ja vielfach eingebunden in die Projekte, es gab auch natürlich Widerspruch und zum Teil vielleicht auch Proteste. Letztendlich wird man, wie weit es funktioniert hat, über die Jahre sehen.
Timm: Von morgen an präsentieren im Bauhaus Dessau 19 Städte aus Sachsen-Anhalt ihre Ideen zur IBA Stadtumbau 2010. Wir drücken die Daumen, dass möglichst viele davon wirksam werden, und bedanken uns bei Philipp Oswalt. Er leitet die Bauhaus-Stiftung Dessau. Vielen Dank!
Oswalt: Vielen Dank!
Links zum Thema:
Bauhaus Dessau: Weniger ist Zukunft: 19 Städte - 19 Themen
IBA Stadtumbau 2010