Schrittmacher gegen Schmerzen

Von Stephanie Kowalewski · 22.06.2010
Moderne Schrittmacher sind kleine Minicomputer, nicht größer als eine Streichholzschachtel. Seit langem schon sorgen sie dafür, dass Herzen im richtigen Takt bleiben. Doch neben dem Herzschrittmacher etablieren sich nun auch Schrittmacher, die bei Inkontinenz und auch bei chronischen Schmerzen helfen.
Neurostimulationssysteme bestehen aus dünnen, sehr beweglichen Kabeln, an deren Ende eine oder mehrere Elektroden sitzen, medizinischen Verlängerungskabeln und dem eigentlichen Schrittmacher.

"Der Schrittmacher ist, wenn Sie so wollen, Motor und Gehirn. Wir haben da die Batterie drin aber auch die Elektronik, die dann dafür sorgt, dass Stimulationssignale abgegeben werden."

Mit diesen speziellen Schrittmachern, sagt Andreas Rolf vom Medizingerätehersteller medtronic, können neurologische Krankheiten gelindert oder sogar behoben werden, indem die entsprechenden Nerven elektrisch stimuliert werden.

"Das heißt, wir versuchen die Verarbeitung von Nervensignalen im Körper so zu beeinflussen, dass Schmerzen, Stuhl- und Harninkontinenz aber auch die Parkinsonkrankheit in ihren Symptomen gelindert werden."
Und das mit gutem Erfolg, sagt Albert Kaufmann, Chefarzt am Zentrum für Kontinenz und Neuro-Urologie im Mönchengladbacher Klinikum Maria Hilf.

"Wir haben eine Ansprechrate zwischen 60 und 80 Prozent. Das ist gut, wenn man bedenkt, dass alle anderen Therapiemaßnahmen ja nicht helfen. Denn das ist ja nicht die erste Maßnahme, die wir ergreifen, sondern es kommen ja nur die Patienten, wo alle anderen Therapieverfahren nicht funktionieren."

Wie zum Beispiel Beckenbodengymnastik, Medikamente oder auch operative Behandlungen.

Das Implantieren eines solchen Schrittmachers erfolgt in zwei Schritten. Zunächst werden in einer Testphase die dünnen, kabelähnlichen Elektroden bei örtlicher Betäubung sowie unter Röntgenkontrolle im Bereich des Kreuzbeines, also am unteren Ende der Wirbelsäule, platziert. Hier sitzen die Sakralnerven. Sie steuern Blase, Darm und Rektum sowie die an der Ausscheidung beteiligten Muskeln. Ist die Elektrode an der richtigen Stelle platziert, verspürt der Patient ein leichtes Kribbeln im Genitalbereich, erklärt der Neuro-Urologe Albert Kaufmann.

"Der Schrittmacher gibt den Stimulus ab an die Elektroden, und dadurch, dass wir den Nerv stimulieren, wird dieser Impuls weitergeleitet und täuscht letztendlich einen dauerhaften Reiz vor. Der Reiz, der aus der Blase kommt, kommt sozusagen nicht mehr durch, so dass dieser Drang, der aus der Blase kommt, nicht mehr empfunden wird. Die Elektroden sitzen im Kreuzbein, aber wir haben die Veränderung im Gehirn.""

Der eigentliche Schrittmacher wird während der Testphase außen am Körper, zum Beispiel am Gürtel, getragen. Verspürt der Patient eine deutliche Besserung der Beschwerden, werden die Elektroden in einer zweiten Operation, diesmal unter Vollnarkose, endgültig befestigt und der Schrittmacher wird oberhalb des Gesäßes unter der Haut implantiert.

""Der sitzt bei der Stuhlinkontinenz an genau der gleichen Stelle. Und hier vermuten wir, dass die Kontinenz insbesondere durch eine ständige Stimulation des Schließmuskels erfolgt. Denn wir erreichen durch die Stimulation auch eine Kontraktion des Schließmuskels. Und die dauerhafte Stimulation führt dann zu einer Verbesserung der Kontinenz."
Neurostimulations-Schrittmacher können auch Patienten helfen, die unter chronischen Schmerzen leiden, erklärt Thomas Celga. Er ist Chefarzt der Klinik für Schmerztherapie im Wuppertaler St. Josef Krankenhaus und Vizepräsident der deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie.

"Der Schmerz ist gelernt worden, der Körper erinnert sich an diesen Schmerz und meldet den unkontrolliert ans Gehirn und wir nehmen Schmerzen wahr, und wissen eigentlich gar nicht, warum das so sein muss. Über diese Methode haben wir die Möglichkeit, diese Schmerzweiterleitung zu verändern und wir wissen auch, dass man durchaus auch chronische Schmerzen wieder verlernen kann."

Schmerzschrittmacher können bei Patienten mit chronischen Bein- oder Rückenschmerzen, bei Phantomschmerzen und zur Behandlung von Schmerzen im Gefäß- und Nervensystem eingesetzt werden. Dazu werden die Elektroden in der Nähe des Rückenmarks platziert, wo die Schmerzweiterleitung über die Nerven zum Gehirn erfolgt. Durch die elektrischen Impulse wird nun an den Stellen ein Kribbeln erzeugt, wo sonst der Schmerz wahrgenommen wurde. So werden die Schmerzreize überlagert und es kommen deutlich weniger Schmerzinformationen im Gehirn an. Was genau da im menschlichen Körper passiert, wissen die Experten allerdings noch nicht.

"Aber wir wissen, dass Botenstoffe im Rückenmarksbereich durch diese Methode verändert werden, das die Weiterleitung von Schmerz dadurch unterbrochen wird, an bestimmten Neuronen – so dass wir sagen, wir wissen schon zum Teil, wie es wirkt, aber nur zu einem kleineren Teil."

Auch wenn der Schrittmacher die Betroffenen nur selten gänzlich von ihren dauernden Schmerzen befreit, so lindert der implantierte Minicomputer die Beschwerden doch beträchtlich, was auch zu einer besseren Lebensqualität führt, betont der Schmerzexperte.

"Vorteil der Methode liegt darin, dass man nicht-medikamentös, ohne Nebenwirkung der Medikamente, arbeiten kann und dass der Patient eine Methode hat, die er selbst steuern kann."

Dazu hält der Patient ein Bedienelement über die Stelle, an der der Stimulator implantiert wurde, und kann dann quasi über eine Fernbedienung per Funk den Schrittmacher an- und ausstellen oder die Stromstärke verändern.

Eine besondere Herausforderung für die Entwickler solcher implantierten Schrittmacher ist es, die Geräte möglichst klein zu halten und dennoch ausreichend Batterieleistung hineinzupacken. Denn ist die Batterie leer, muss der Schrittmacher in einer kleinen Operation ausgetauscht werden. Doch Batterien, die Energie für 4-8 Jahre liefern, beanspruchen rund 2/3 des gesamten Schrittmachergehäuses. Deshalb entwickeln die Hersteller ein Akkusystem, das von außen über Induktion aufgeladen werden kann, erklärt Andreas Rolf von medtronic.

"Jeder Patient hat sein eigenes Ladegerät, kann das im häuslichen Umfeld machen. Der durchschnittliche Schmerzpatient muss alle acht Wochen sein Gerät aufladen. Wir wissen, dass viele Patienten einfach generell alle paar Tage eine Fernsehen- oder Radiosendung lang aufladen und die Sache ist damit erledigt."