Schriftstellerin Maja Lunde

"Schreiben bedeutet, in den Köpfen der Figuren zu sein"

Die norwegische Schriftstellerin Maja Lunde
Die norwegische Schriftstellerin Maja Lunde © picture alliance / dpa / Sigrid Harms
Maja Lunde im Gespräch mit Andrea Gerk · 09.07.2018
Nach den Bienen beschäftigt sich Maja Lunde nun mit Wasser: In ihrem neuen Roman beschreibt sie eine Welt, in der das Wasser knapp ist. "Mir fielen immer mehr Figuren ein, die ein hartes Leben aufgrund des Klimawandels haben", sagt die Schriftstellerin.
Andrea Gerk: Wie sind Sie auf die Bienen gekommen?
Maja Lunde: Ich hatte im Fernsehen eine Dokumentation über das Bienensterben gesehen und war sofort fasziniert, aber auch beängstigt. Was mich fasziniert hat, war das Leben in den Bienenstöcken und die unglaublich große Bedeutung, die diese kleinen Insekten und die Bienen für unsere Welt haben. Als ich mir den Planeten ohne Bienen vorstellte, bekam ich wirklich Angst. Ich wusste gleich, dass ich einen Roman darüber schreiben wollte und hatte auch Ideen für die Charaktere. Es fing schon mit den Bienen an, aber für mich ist es ganz wichtig, die Figuren zu haben. Ich muss wissen, über wen ich schreibe, und ich muss sie kennenlernen, denn sie bringen meine Geschichte erst in Gang. Also ohne Figuren gibt es keine Geschichte.
Gerk: Ein Sachbuch über dieses Thema zu schreiben, wäre für Sie also gar nicht in Frage gekommen?
Lunde: Es war von Anfang an als fiktionales Buch gedacht, und ich bin ja auch keine Sachbuchautorin, sondern Romanautorin. Das war nie eine Option. Ich wollte immer einen Roman darüber schreiben, schon allein wegen William und George. Vom ersten Tag an hatte ich eine feste Vorstellung von diesen beiden Männern. Eigentlich haben die beiden mich erst in die ganze Geschichte reingezogen.
Gerk: Es sind ja auch wirklich tolle, ergreifende Figuren. Mussten Sie denn eigentlich auch mal weinen, während Sie diese ja doch auch sehr traurige Geschichte geschrieben haben?

Fühlen, was die Figuren fühlen

Lunde: Ich weine immer in manchen Phasen des Schreibprozesses. Für mich bedeutet Schreiben, in den Köpfen der Figuren zu sein, mit ihnen zu weinen, zu lieben, zu frieren oder durstig zu sein. Als ich "Die Geschichte des Wassers" schrieb, trank ich so viele Gläser Wasser, während ich an diesem Textteil arbeitete, der ja in der Zukunft spielt, wo es kein Wasser gibt. Ich muss wirklich in der Situation sein und im Bewusstsein der Figuren, in ihrem Körper, in ihrem Charakter, und fühlen, was sie fühlen.
Gerk: Hatten Sie denn von Anfang an geplant, ein Quartett, also vier Romane zu diesem Themenkomplex zu schreiben?
Lunde: Als ich mit der "Geschichte der Bienen" anfing, dachte ich erst, es bliebe bei diesem einen Buch. Aber dann fielen mir immer mehr Geschichten ein über Figuren, die auf ganz unterschiedliche Weise ein sehr hartes Leben haben aufgrund des Klimawandels und der Umweltzerstörung. Ich schrieb vieles davon aus, meist nur ein paar Sätze. Aber ich merkte bald, während ich mich auf diese Thematik einließ, dass sich da was in mir öffnete, und ich konnte nicht mehr aufhören und musste mehr als ein Buch schreiben.
Aus zwei der Geschichten wurde "Die Geschichte des Wassers", und eine andere hat sich zu dem dritten Buch, an dem ich gerade arbeite, entwickelt. Also es war nicht von Anfang klar, aber es war ein Prozess zu erkennen, dass diese Geschichten alle zusammenhängen. In der "Geschichte des Wassers" sind wir im Jahr 2041, die "Geschichte der Bienen" spielt im Jahr 2098, und das dritte Buch geht ins Jahr 2064. Dort treffen wir jemanden aus der "Geschichte des Wassers" wieder. Im vierten und letzten Buch werde ich dann die Fäden miteinander verknüpfen. Für mich ist das wie ein riesiges Puzzle mit ganz vielen Teilen, die aber alle zusammengehören. Aber man kann jedes Buch für sich allein lesen. Erst "Die Geschichte des Wasser" und dann die der Bienen.
Gerk: Als im Frühjahr Ihre "Geschichte des Wassers" erschienen ist, da war gar nichts darüber zu erfahren, wie es vielleicht weitergehen könnte. Mögen Sie denn jetzt etwas über den dritten Teil verraten, oder ist das immer noch ein Geheimnis?

Der Erfolg zehrt manchmal an den Kräften

Lunde: Es ist schon ein Geheimnis, aber ich habe auch angefangen, darüber zu sprechen. Als ich damit anfing, fand ich es beängstigend, darüber zu sprechen, weil ich noch nicht so viel geschrieben hatte. Aber jetzt habe ich etwa ein Drittel des Romans fertig, und da fällt es mir leichter, darüber zu sprechen. Ich kann verraten, dass es diesmal um bedrohte Arten, also um vom Aussterben bedrohte Tiere gehen wird.
Gerk: Sie sind ja extrem erfolgreich mit Ihren Büchern. Wie ist das denn für Sie? Hatten Sie das erwartet, und hat es was verändert in Ihrem Leben?
Lunde: Nein, ich hatte gar nichts in der Art erwartet. Was sich verändert hat, ist, dass ich mehr reise, was ich sehr mag. Aber manchmal ist es auch kräftezehrend. Aber ich versuche ansonsten, die zu bleiben, die ich immer war. Mein Leben zu Hause ist ziemlich gleich geblieben. Ich bin immer noch mit demselben Mann verheiratet, wir leben am selben Ort. Meine Kinder sind auch dieselben, und ich bin hoffentlich auch für sie so wie immer. Und das ist mir auch wirklich wichtig, dass diese Dinge so bleiben, wie sie sind, und sich nicht zu sehr verändern.
Gerk: Ihre "Geschichte der Bienen" war das meistverkaufte Buch im vergangenen Jahr hier in Deutschland, aber es gab noch andere, sehr erfolgreiche Romane, die sich mit dem Klimawandel und seinen Folgen auseinandergesetzt haben, zum Beispiel Frank Schätzings Bücher zu diesen Themen, die waren auch alle Bestseller. Glauben Sie, dass der Roman trotz Netflix und all der Dinge, die das Lesen für viele Leute nicht mehr so attraktiv machen, dass der Roman überleben wird?

Dankbar sein für sauberes Wasser

Lunde: Ich kann schwer etwas über andere Bücher als über meine eigenen sagen. Und ich kann auch nicht erklären, warum sie so große Erfolge geworden sind. Ich weiß nur, was mir die Leute so sagen. Dass sie die Bücher sehr engagiert fanden und dass sie ihnen die Augen geöffnet haben für Dinge, über die sie vorher nicht so groß nachgedacht haben. Zum Beispiel, dankbar zu sein für sauberes Wasser oder dankbar zu sein für die kleinen Insekten im Garten. Oder auch die Beziehungsgeschichten sind vielen Lesern wichtig.
Sie können diese Bücher lesen, wie sie wollen. Ich will den Leuten nicht sagen, wie sie meine Bücher lesen sollen. Für mich erzählen sie von vielen verschiedenen Dingen. Man kann die "Geschichte des Wassers" als Klimageschichte lesen, aber auch als Liebesgeschichte. Es gibt so viele Versionen eines Buches wie es Leser gibt. Das ist das Faszinierende an der Literatur, an der Fiktion.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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