Schriftstellerin Else Lasker-Schüler

Spuren der Avantgardistin in Wuppertal

Die Schriftstellerin Lasker-Schüler (1869 – 1945); Porträtaufnahme, 1932, digital koloriert
Die Schriftstellerin Lasker-Schüler (1869 – 1945); Porträtaufnahme, 1932, digital koloriert © picture alliance/akg-images
Von Matthias Kußmann · 08.02.2019
Im Berlin der 1920er-Jahre war Else Lasker-Schüler die bedeutendste Expressionistin. Geboren wurde sie in Elberfeld, das heute zu Wuppertal gehört. Dort gründete sich 1990 die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, die Literatur junger Migranten fördert.
"Sie war für mich die erste Performerin. Sie war die Urgroßmutter von Lady Gaga, Madonna, Elton John und solchen Leuten", sagt Hajo Jahn, Gründer der Wuppertaler Else Lasker-Schüler-Gesellschaft.
Die Dichterin war Anfang des 20. Jahrhunderts ein Paradiesvogel des Berliner Kulturbetriebs. Sie trug bunte Gewänder mit Turban und neigte zu exzentrischen Auftritten. Sie gab sich Phantasienamen und erklärte, aus dem wundersamen Reich "Theben" zu kommen.
"Sie war natürlich bürgerlich, und trotzdem war sie ein Bohemien. Wenn sie sich inszeniert hat als Prinz Jussuf oder Fakir, mit Pluderhosen, mit Dolch im Gewande und Flöte, sie konnte gar nicht Flöte spielen, dann war das Inszenierung."
Tatsächlich stammt Else Lasker-Schüler aus der Industriestadt Elberfeld, die heute ein Stadtteil von Wuppertal ist. Sie taucht später in ihrem Werk oft auf.
"Hohe Ziegelschornsteine steigen, rote Schlangen, herrisch zur Höhe, ihr Hauch vergiftet die Luft. Den Atem mussten wir einhalten, kamen wir an den chemischen Fabriken vorbei, allerlei scharfe Arzneien und Farbstoffe färbten die Wasser, eine Sauce für den Teufel."

Elternhaus wurde im Weltkrieg zerstört

Else Lasker-Schüler wurde in der Elberfelder Herzogstraße 29 als Kind jüdischer Eltern geboren. Das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Hajo Jahn steht dort vor einem Neubau:
"Der Neubau wurde dann in den 60er-Jahren errichtet, typisch im Baustil. Und es gibt eine Bronzetafel, die von dem damaligen Buchhändler in diesem Haus angebracht wurde. Da wird das Gedicht 'Weltflucht' zitiert, das mit dem Kunstwort 'meinwärts' endet."
Am Schluss heißt es:
"Fäden möchte ich um mich ziehn – / Wirrwarr endend! / Beirrend, / Euch verwirrend, / um zu entfliehn / meinwärts!"
Else Lasker-Schüler war ja eine Wort-Zauberin, sie hat Wörter erfunden. Und dieses "Meinwärts" ist dann auch der Anlass für ein Denkmal in Elberfeld. Doch zunächst geht es zur Sadowastraße.
"Wir sind an der Sadowastraße in Wuppertal-Elberfeld. Eine Straße, die steil bergauf in einen Wald führt. Else Lasker-Schüler hat hier ihre Kindheit und Jugend verbracht bis 1889."

"Die Eltern waren gut bürgerlich"

In einem dreigeschossigen Gründerzeithaus mit hohen Fenstern und hellgrauer Fassade.
"Die Eltern waren gut bürgerlich, die Mutter fürsorglich, Jeanette. Der Vater galt hier nach Meinung von Else Lasker-Schüler als Clown, er war humorvoll. Er war Handelsagent, Privatbankier und Immobilienhändler. Die Mutter hat die Tochter angehalten, ihre Talente zu nutzen. Angeblich hat Else Lasker-Schüler hier schon ihre ersten Texte als Kind geschrieben, auch ihre ersten Bilder gemalt, denn sie wurde ja später auch eine Poetin der Zeichenfeder und wusste nicht, wie sie sich entscheiden sollte. Ihr erstes überliefertes Bild hat den Titel 'Die lyrische Missgeburt'! Und da wusste sie nicht: Werde ich Malerin oder werde ich Dichterin?"
Sie wurde beides. Heute gilt sie als eine der größten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts, ihre bunten Zeichnungen finden sich in Museen. 1894 zog sie von Wuppertal nach Berlin, wo sie Teil der Künstler-Boheme war. 1933 floh sie vor den Nazis in die Schweiz, wurde als Asylantin schikaniert und hatte Arbeitsverbot. Die letzten Jahre verbrachte sie krank in Jerusalem und starb dort 1945. - In der Wuppertaler Stadtbibliothek gibt es ein großes Archiv zu ihrem Leben und Werk.

Else Lasker-Schüler-Archiv derzeit nicht zugänglich

"Alles wird hier gesammelt", sagt der Bibliothekar Thomas Pilling.
"Wir haben wertvolle Autographen, das heißt Postkarten und Briefe. Fotografien der Zeit, Plakate, Eintrittskarten für Veranstaltungen der Künstlerin, Partituren von Vertonungen. - Wissenschaftler aus aller Welt, Filmemacher, Theaterleute, Studenten kommen hier in dieses Archiv und suchen nach Quellen und Dingen, die sie für ihre Arbeit verwenden können."
Handschriften der Autorin und sogar ihre Totenmaske gibt es hier, das will man doch sehen! Kann man aber derzeit nicht:
"Leider ist das Else Lasker-Schüler-Archiv zurzeit nicht zugänglich, wir haben hier eine umfangreiche Baumaßnahme im Haus."
Die dazu führt, dass auch die Bibliothekare kaum an die Schränke kommen, alles ist zugestellt. – Aber von der Stadtbibliothek ist man gleich in der Herzogstraße. Dort steht seit 30 Jahren ein Denkmal der Autorin.
"Das Denkmal für Else Lasker-Schüler befindet sich nur wenige Meter vom ehemaligen Geburtshaus entfernt. Zwei graue Basalt-Stelen, wo auf den Innenseiten Else Lasker-Schüler sich gegenseitig anguckt, nach einem Foto aus den 20er Jahren. Jeweils etwa 2800 Mosaiksteine bilden das Gesicht der Künstlerin. Unten steht auf der Platte: Else Lasker-Schüler - Meinwärts."

Heinrich Böll forderte früh ein Denkmal

Das Denkmal wurde zu ihrem 120. Geburtstag eingeweiht. Allerdings hatte kein Geringerer als Heinrich Böll schon zu ihrem 100. ein Denkmal gefordert – vergeblich. In Wuppertal tat man sich lange schwer mit der sozialkritischen Avantgardistin. Ihr Theaterstück "Die Wupper", das sie ihrer Heimatstadt widmete und in dem lokaler Dialekt gesprochen wird, handelt vom Elend der Industriearbeiter. Sie nannte ihr Stück eine "böse Arbeitermär".
Es gibt dabei eine Vergewaltigung, es kommt ein Exhibitionist vor. Sie war sehr modern, indem sie die sexuellen Probleme auch schon darstellte, und zwar nicht mit dem ideologischen Zeigefinger.
Gegenüber dem Denkmal ist das Büro der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft, in einem Gebäude aus den 1950er-Jahren. Dort stand vor dem Krieg das Haus, in dem die junge Frau die letzten Monate wohnte, bevor sie nach Berlin ging.
"Ich hab die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft 1990 gegründet, um Werk und Andenken der im Exil relativ vergessenen malenden Dichterin Else Lasker-Schüler zu pflegen. Wir haben es geschafft – das steht in der Satzung – eine kritische Gesamtausgabe herauszugeben. Wir haben es geschafft, dass Ausstellungen ihrer Bilder stattfanden, mit vielen Besuchern."
Sagt Hajo Jahn.
"Das wichtigste Anliegen war mir und vielen meiner Unterstützer ein Zentrum für verfolgte Künste. Es geht um das Thema Exil, weil Else Lasker-Schüler und die spannendsten, wichtigsten deutschen Künstler in der Nazizeit ins Exil getrieben worden waren, als Asylbewerber in anderen Ländern waren. Und heute erleben wir, dass Menschen zu uns kommen, denen wir wiederum Asyl gewähren müssen. Wir haben eine Bringschuld."

Lyrikpreis für Flüchtlinge aus Afghanistan

So entstand das "Zentrum für verfolgte Künste" im Kunstmuseum Solingen, eine halbe Stunde von Wuppertal entfernt. Seit 2015 werden Werke von verfolgten Künstlern und Schriftstellern aus der NS-Zeit und der DDR gesammelt und ausgestellt. Und die Wuppertaler Lasker-Schüler-Gesellschaft vergibt einen Lyrikpreis, den zuletzt acht junge Flüchtlinge aus Afghanistan bekamen, die ein ähnliches Schicksal wie die Autorin hatten,
"die allein nach Deutschland, nach Europa gekommen sind und ihre traumatischen Erfahrungen lyrisch verarbeitet haben – wunderbare Gedichte."
Shazamir Hotaki kam über das Mittelmeer zunächst nach Griechenland. In Deutschlandfunk Kultur sagte er über die Flucht:
"Es ist, muss ich sagen, eine schreckliche Fahrt, die ich nie vergessen kann. Von der Türkei nach Griechenland bin ich mit dem Boot gefahren – plötzlich nach 20 Minuten ist unser Boot gesunken und alle fallen ins Wasser. Da konnten wir auch nicht schwimmen. Wir waren 65 Menschen im Boot, die meisten waren Kinder. Eigentlich konnte ich auch nicht schwimmen, ich hatte eine Schwimmweste. Wir waren eine Stunde im Wasser. Nach einer Stunde hat die Polizei von Griechenland geholfen. Ich hab vor meine Augen gesehen wie viele Kinder gestorben sind. Da hab ich auch gedacht, vielleicht ist das der letzte Tag von mir, von meinem Leben."
Mahdi Hashemi hat Ähnliches erlebt. In seinem Gedicht "Wie ein Pfeil" schreibt er über die Flucht und das bange Warten, ob er als Asylbewerber anerkannt wird:
"Wie ein Pfeil
Einen Monat lang ging die Reise, / die keine Reise war, / sondern ein Schrecken, in das Land der Hoffnung. Jetzt warte ich auf ein Papier, / das vielleicht Bitterkeit enthält und Trauer. / Und fühle mich wie ein Pfeil. / Verschossen. // Der zurückkehren soll / zu seinem Bogen."
Die Gedichte entstanden im Rahmen des Berliner "Poetry Projects" und wurden von dem Anwalt Aarash Spanta aus dem Persischen Farsi übersetzt. Das Projekt versucht, Bürger und Flüchtlinge über Poesie ins Gespräch zu bringen. Die Journalistin Susanne Koelbl hat es mitbegründet.
"Wenn wir diese Gedichte in der Öffentlichkeit gelesen haben, was wir immer mal wieder tun, dann hat es einen unglaublichen Effekt auf das Publikum. Die Leute sind sehr ergriffen, sie verstehen plötzlich viel besser, was eigentlich die Menschen hierher gebracht hat. Wir haben daraus die Lehre gezogen, dass diese Art von Brücke genutzt werden kann eigentlich überall, wo Menschen nicht miteinander sprechen können, sich aber fragen, wer seid ihr denn eigentlich?"
Eine Idee, die der Dichterin Else Lasker-Schüler, die zwölf Jahre im Exil war, sicher gefallen hätte.
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