Schriftsteller Wladimir Kaminer

"Ich bin sicher, dass Russland zurück aus dem Wald kommt"

Der Buchautor Wladimir Kaminer, aufgenommen am Rande der MDR Talkshow "Riverboat" am 08.02.2013 in Leipzig.
Der Buchautor Wladimir Kaminer, aufgenommen am Rande der MDR Talkshow "Riverboat" am 08.02.2013 in Leipzig. © picture alliance / dpa / Thomas Schulze
Moderation: Matthias Hanselmann · 26.04.2017
Es ist Wladimir Kaminers erster ernster Text: In "Goodbye Moskau" beschreibt der "Russendisko"-Autor voller Wehmut die Veränderungen in der Alltagsgesellschaft seiner Geburtsstadt - und spart nicht mit Kritik an Russlands Präsident Wladimir Putin. Dennoch ist er optimistisch.
Seine Russendisko ist legendär, das gleichnamige Buch war sein schriftstellerisches Debüt. Inzwischen schreibt Wladimir Kaminer als deutscher Schriftsteller russischer Herkunft seit fast zwei Jahrzehnten humorvolle Abhandlungen seines und des Alltags seiner Familie, seiner Freunde und Nachbarn. Fast jedes Jahr veröffentlicht er seit der Jahrtausendwende ein Buch, nie langweilte er seine Leser. Nun hat er zum ersten Mal einen ernsten Text in die Buchhandlungen gebracht, in dem es um das Verschwinden des Moskaus geht, das er kennt und um Veränderungen der russischen Gegenwartsgesellschaft.
"Dass dieses Land jetzt plötzlich so einen Schlenker macht und plötzlich so wie von einer Zecke gebissenen Kuh in den Wald läuft und das noch als einen 'eigenen Weg', als eine Abkürzung zum Glück sieht, das ist natürlich eine große Tragödie. Und deswegen war das sofort mein Thema. Das Buch 'Good-Bye Moskau' habe ich geschrieben, um diese Tragödie, das Drama des Landes durch Lachen überwinden zu können. Ich habe fast immer eine Tragödie zum Thema, aber ich finde, dass man über die Tragödien zu lachen lernen muss, sonst werden sie zu Sackgassen."

Verliebt in die Macken der Deutschen

Seine Kritik an Putins Russland ist deutlich. Aber er sieht auch die Entwicklung dahin, was zuvor lief, und wozu sowjetische Illusionen führen können:
"In der Sowjetunion haben sie 70 Jahre lang nichts anderes gemacht, als die sozialistische Zukunft aufzubauen. Nachdem das Land auseinanderfiel, fielen die Menschen aus dieser Zukunft quasi auch zurück mit der Erkenntnis ´da ist nichts` – also die Zukunft war schon."
Kaminer ist nach eigenen Angaben einer der wenigen Russen, der die Deutschen wegen all ihrer Macken und Eigenheiten so liebt, wie sie sind.
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer zu Besuch bei Deutschlandradio Kultur
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer zu Besuch bei Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio - Matthias Dreier
Deren Einschätzung, dass die überwiegende Mehrheit der Russen doch hinter Putin stehe und gar nicht aufwachen wolle, teilt er aber nicht, es sei nur eben etwas anderes, ob man in einer westlichen Demokratie gegen die Obrigkeit protestiere oder sich in Russland einer autoritären Staatsmacht gegenüber sehe:
"Die Russen sind normale Leute, wie alle anderen. Die haben bloß Probleme mit ihrem politischen Engagement und den Risiken. Die sind viel höher als in einem demokratisch regierten Land. Letzte Woche kamen (in Russland) die LKW-Fahrer auf die Straße – in manchen Gegenden wie in Dagestan blockierten sie die ganzen Straßen. Armeeeinheiten mit schweren Waffen, mit schwerem Geschütz wurden gegen diese LKW-Fahrer aufgerollt. Man muss schon wissen, dass wenn man in Russland sich eine freie Stimme verschaffen möchte, mit welchen Risiken für sich selbst, für die Familie, für die Umgebung das verbunden ist."
Dennoch bleibt Wladimir Kaminer optimistisch, was die Zukunft Russlands angeht.
"Ich bin mir sicher, dass dieses Land zurück aus dem Wald kommt. Es gibt keine Abkürzung, es gibt keinen anderen alternativen Weg als diesen einen europäischen. Auch für die EU, ganz egal wie viele Staaten wie viele Male aus- und wieder eintreten werden, werden sie sich trotzdem nicht los. Die werden einander nicht los, die werden Nachbarn bleiben und aufeinander angewiesen. Ob jetzt in dieser oder einer anderen Zusammensetzung. Diese EU hat keine Alternative."
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