Schriftsteller Uwe Timm

Der Alt-68er wird 80

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Der Schriftsteller Uwe Timm vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
Der Schriftsteller Uwe Timm nimmt seinen 80. Geburtstag zum Anlass, einen Teil seines Vorlasses, darunter Buchmanuskripte und Korrespondenzen, der Akademie der Künste zu übergeben. © imago images / gezett
Von Tobias Wenzel · 29.03.2020
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Der Tod ist ein Leitmotiv in seinen Büchern, mit ihm beschäftigt sich Uwe Timm schon seit seiner Kindheit, seit sein Bruder im Zweiten Weltkrieg starb. Nun wird der Autor 80 Jahre alt – und er sagt, er sei neugierig auf sein eigenes Sterben.
"Die Anlage, die Blumen – das sieht fast aus wie die Bundesgartenschau!", sagt Uwe Timm. Immer mal wieder besucht er den Bogenhausener Kirchhof in München. Hier würde er gerne selbst begraben werden. Auch wenn er Zweifel hat, ob er, früher evangelisch, nun Agnostiker, überhaupt eine realistische Chance hat, auf diesem katholischen Kirchhof seine letzte Ruhe zu finden: "Und hier ist der Erich Kästner. Und man muss sich dieses Grab ansehen! Das wuchert gerade so, als ob er sich in Blumen verwandelt hätte."
Es kommt nicht von ungefähr, dass auch in Timms Büchern Friedhöfe präsent sind, besonders in "Rot" und in "Halbschatten", dem Roman über die Fliegerin Marga von Etzdorf, die sich das Leben nahm. Sie ist auf dem Berliner Invalidenfriedhof begraben, dort, wo so viele Militärs, darunter der maßgebliche Mitorganisator des Holocaust, Reinhard Heydrich, an die beschämende deutsche Geschichte erinnern.

Der Tod beschäftigt ihn seit seiner Kindheit

Die Toten sind nicht so tot, wie wir glauben, sagt Timm. Und er meint: Die Toten begleiten uns in der Erinnerung, im Bewusstsein und in den Gefühlen. Der Tod ist ein Leitmotiv in den Büchern dieses herausragenden Autors und liebenswürdigen Menschen. Der Tod beschäftigt ihn schon seit seiner Kindheit, seit sein Bruder im Zweiten Weltkrieg starb:
"Es ist genau der Tote, der gar nicht tot war. Natürlich leiblich tot, aber in der Präsenz hatte er eine enorme Macht geradezu. Der saß also mit am Tisch bei uns zu Hause, weil immer seiner gedacht wurde, über ihn geredet wurde, der mir auch als Vorbild vorgehalten wurde. Dieser Junge, der sich freiwillig zur SS gemeldet hatte, dem beide Beine abgeschossen wurden, der dann starb. Das war für meine Mutter, glaube ich, eher so ein Moment der tiefen Trauer. Die konnte das auch so bewältigen. Aber mein Vater hat das irgendwie verklärt. Und das war etwas, was nicht gut war und was dann auch in einer merkwürdigen Weise auf mich übertragen wurde."

Er erlebte die Bombardierung seines Elternhauses

"Am Beispiel meines Bruders" erschien 2003 und wurde zum Bestseller. Große Aufmerksamkeit erfuhr, auch durch die Verfilmung, seine Novelle "Die Entdeckung der Currywurst", eine Liebesgeschichte aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs in Hamburg: Eine Frau versteckt einen fahnenflüchtigen Bootsmann und verschweigt ihm das Kriegsende.
Uwe Timm, der am 30. März 1940 in Hamburg geboren wurde, erlebte als Dreijähriger, wie sein Elternhaus ausgebombt wurde: "Ich habe bestimmte Bilder ganz genau vor Augen, also beispielsweise so kleine Flämmchen in der Luft, die brannten und von denen man mir später sagte, das seien brennende Gardinenfetzen gewesen, die aus den Fenstern gerissen worden waren."

Timm war aktiver Teil der 68er-Bewegung

Als junger Mann machte Timm eine Kürschnerlehre und übernahm das Pelzgeschäft seines Vaters. Später studierte er Philosophie und Germanistik in München und war aktiver Teil der 68er-Bewegung. Er beteiligte sich an der Besetzung der Universität und schrieb Agitprop-Gedichte. "Heißer Sommer", sein Debütroman von 1974, spiegelt diese Zeit wider. Timm tauchte ein in Utopien, kämpfte für eine bessere Welt und glaubte eine Zeit lang, sie durch den Marxismus erlangen zu können:
"Was gab es nicht alles: revolutionäre Apotheker und revolutionäre Maschinenbauer. Das hört sich heute ganz komisch an, war aber ganz toll, dass die Leute überlegten: Nach welchen Bedürfnissen arbeitet man, verkauft man Psychopharmaka. Aber das hatte plötzlich die Unmittelbarkeit verloren. Und das ging bis in die Sprache rein. Die theoretische Sprache war völlig leer geworden."

Neugierde auf das eigene Sterben

Die Sprache des Autors Uwe Timm wirkt, genau wie er selbst, unprätentiös und einfühlsam. Timm ist, das merkt man seinen Büchern an, ein genauer Beobachter und guter Zuhörer. Jemand, der nicht nur auf das Leben neugierig ist, sondern, wie er betont, sogar auf sein eigenes Sterben. Der Roman "Rot", ein Meisterwerk, das alle großen Themen dieses Autors vereint - die Schattenseite der deutschen Geschichte, die 68er-Bewegung, den Verlust wie die Notwendigkeit von Utopien, die Liebe und den Tod – hat ausgerechnet einen Beerdigungsredner als Hauptfigur:
"Das fand ich einfach einen hochinteressanten Beruf. Diese Vorstellung, dass man über Tote redet, die jetzt nicht glauben, dass es ein Nachleben gibt, und jetzt darüber etwas sagen muss, wie dieses Leben gelebt ist, ist eine ähnliche Situation, vor der auch der Schriftsteller steht, wenn er Romane schreibt, die sich mit Menschen beschäftigen und nicht irgendwie nur was zusammenmontiert."
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