Schriftsteller gegen Atomstrom

Von Elske Brault · 06.04.2011
Als der Strom noch aus den "Hamburgischen Elektrizitäts-Werken" kam, wurden die "Lesetage" erfunden. Die HEW gehört nun zum Atombetreiber Vattenfall. Deswegen protestieren eine Reihe von Autoren mit einer Gegenveranstaltung.
"Zu Anfang möchte ich die Gelegenheit dieser machtvollen Auftaktveranstaltung nutzen, um im Namen aller an diesem Festival beteiligten Hamburgerinnen und Hamburger aufs Schärfste dagegen zu protestieren, dass 'Tschüss' mit zwei 's' geschrieben wurde. Das ist übelstes Quittjetum!"

Sonst hat Harry Rowohlt gegen nichts protestiert während seiner Lesung. Sie findet statt in dem schwarz ausgeschlagenen und rot erleuchteten Szeneclub "Uebel und Gefährlich", im vierten Stock eines ehemaligen Luftschutzbunkers auf Hamburg-St.Pauli. Die Stuhlreihen sind bis auf den letzten Platz besetzt, an der Bar stehen die Besucher: Vom zwanzigjährigen Studenten mit Hüfthosen bis zur 70-jährigen Dame im Kostüm, die solch eine Discohöhle sicher lange nicht mehr betreten hat. Doch um Harry Rowohlt zu erleben, gehen die Menschen überall hin.

"Ich mach das, was ich immer bei 'ner Lesung mache, und wenn das jetzt politisch korrekt ist, ist es mir doppelt so lieb. Ich bin auf jeden Fall sehr viel froher, es nicht mit Vattenfall zusammen zu machen als mit Vattenfall zusammen."

Nicht jedem im Publikum ist wichtig, dass es sich hier um eine Lesung gegen Vattenfall handelt.

"Ja klar spielt das 'ne Rolle. Das hat uns noch mal extra motiviert hier hinzugehen. – Also ich glaube, ich wäre auch sonst hingegangen."

Das Atomkraftwerk Krümmel würde sonst wohl niemand besuchen, aber am nächsten Sonntag liest dort Nobelpreisträger Günter Grass: ein Höhepunkt der Gegen-Lesetage. Sie bieten 60 Veranstaltungen in zehn Tagen und wurden, betonen die Veranstalter, bereits im November geplant, lange vor dem GAU in Fukushima. Damals hat auch Feridun Zaimoglu zugesagt, morgen Abend unentgeltlich in einer Buchhandlung im Hamburger Schanzenviertel zu lesen.

"Es ist ein Protest gegen Atomkraft."

Und der schwarz gekleidete Zaimoglu mit seiner schwarzen Lederjacke und dem großen silbernen Totenkopfring am Finger sieht genau so aus, wie man sich einen Anti-Konzern-Kämpfer vorstellt. Auf der anderen, der bösen Seite, stehen nach Meinung der Veranstalter von "Lesetage selber machen – Vattenfall Tschüss sagen" unter anderem die Anzugträger des Norddeutschen Rundfunks. Mit einem offenen Brief, versendet an sämtliche Hamburger Medien, fordern sie den NDR auf, aus der Medienpartnerschaft mit Vattenfall auszusteigen.

"Die Gebührenzahler des öffentlich-rechtlichen Rundfunks können nicht verpflichtet sein, mit ihrem Geld zur Imagepflege eines Atom- und Kohlekraftwerksbetreibers beizutragen."

Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, sieht sich nicht als Imagepfleger. Er veranstaltet zwei Vattenfall-Lesungen: Bei der Auswahl des Autors und der Programmgestaltung habe er völlig freie Hand gehabt. Und privat habe er längst zum Öko-Stromanbieter Lichtblick gewechselt. Das könnten schließlich auch die Besucher der Lesetage tun.

"Ich weiß nicht, ob andere Stromkonzerne sauberer sind. Wenn man Kultursponsoring so zu bewerten beginnt, dann muss man, glaube ich, etwas grundsätzlicher beginnen. Wenn ich sehe, dass Autoren jetzt gegen Vattenfall lesen, aber keine Hemmungen haben, bei der Lit. Cologne aufzutreten, wo RheinEnergie(*) ein sehr wichtiger Sponsor ist, dann bringe ich das in meinem Kopf, in dem relativ viel zusammengeht, nicht recht zusammen."

Außerdem, so Moritz, hätten viele Schriftsteller, die jetzt bei den Lesungen gegen Vattenfall auftreten, früher für Vattenfall gelesen. Feridun Zaimoglu gibt das unumwunden zu: Er verurteile auch keinen Kollegen, der jetzt bei Vattenfall auf dem Podium sitze, betont Zaimoglu. Schließlich könnten die meisten Schriftsteller gar nicht anders: Den größten Teil ihres Einkommens verdienten sie mit Lesungen.

"Selbstgerechtigkeit ist fehl am Platze. Ich war zweimal dabei. Für mich waren das Lesetage in Hamburg. Es ist nicht verwerflich, dass Betriebe oder Firmen mit viel Geld Kultursponsoring betreiben. Es ist aber verwerflich, sich hinzustellen und zu sagen: Wir sponsern die Kulturtage und wir haben eine völlig reine Weste."

Reine hehre Werte der Aufklärung vertritt in Hamburg das Thalia-Theater: Dort finden sieben Vattenfall-Lesungen statt in der knapp hundert Zuschauer fassenden Theaterbar.

"Wir sind ein Unternehmen, das sich dem gesellschaftlichen Fortschritt für verpflichtet hält, das Utopien verbreitet, das humane Lösungen propagiert, natürlich vertragen sich die Label im Moment nicht besonders gut."

Dem Thalia-Geschäftsführer Ludwig von Otting ist die Vermietung an den Stromkonzern mittlerweile unangenehm. Der überzeugte Atomkraftgegner findet die Günter-Grass-Lesung vor dem Krümmel-Meiler, wörtlich, "super".

"Er kämpft genau an der Stelle, an der das symbolträchtig ist. Ich find das großartig, dass er das macht. Ich glaube nicht, dass wir das konterkarieren, indem wir hier Lesungen machen."

Den Vertrag mit Vattenfall könne er nämlich nicht brechen, sagt von Otting. Wolle es auch nicht. Das wäre doch wohl eine hysterische Reaktion. Es handele sich schließlich um einen Industriekonzern, nicht um eine faschistische Vereinigung oder Kinderschänder. Allerdings:

"Also wenn nächstes Jahr die Situation kommt, und Vattenfall kommt zu uns und sagt: Wir bauen übrigens drei neue AKWs, und können wir nicht bei euch ein paar Dichter lesen lassen, dann würde ich sagen: Das lassen wir mal lieber, das hat wohl keinen Sinn. Mit euch wollen wir nichts zu tun haben."

Womöglich wird das Thalia-Theater dann zum Schauplatz der Gegen-Lesetage. Die haben bloß einen gravierenden Nachteil: kein Geld im Rücken. Die Organisatoren arbeiten ehrenamtlich, viele Autoren verzichten – wie Feridun Zaimoglu - auf das Honorar für ihren Auftritt. Doch Veranstalter Hans-Peter Weymar hat dem Publikum der Harry-Rowohlt-Auftaktlesung im Übel und Gefährlich versprochen:

"Also im nächsten Jahr wird’s alles noch dicker kommen. Für den Vattenfall-Konzern im negativen, für unser Festival im positiven Sinne."

(*)An dieser Stelle weicht die schriftliche Fassung von der gesendeten ab.