Schriften eines Müßiggängers

26.03.2009
Dies ist das letzte Buch des großen brasilianischen Romanciers Joaquim Maria Machado de Assis. "Tagebuch des Abschieds" erschien kurz vor seinem Tod 1908 und ist von einer stillen Wehmut durchdrungen. In der Geschichte erzählt er von einem Botschafter a. D., der in seine Heimat zurückkehrt und sich in eine junge Witwe verliebt.
"Tagebuch des Abschieds" sind die Schriften eines Müßiggängers. In gemächlichem Rhythmus und mit liebenswerter Umständlichkeit legt der Held und Ich-Erzähler Aires Tag für Tag seine Beobachtungen dar. Der Botschafter a. D. ist nach vielen Jahren im Ausland in seine Heimatstadt Rio de Janeiro zurückgekehrt, frischt alte Bekanntschaften auf, trifft seine Schwester, besucht abendliche Zusammenkünfte im Hause des Ehepaares Aguiar und verwickelt sich in einen Liebeshandel, der sich um die anmutige Witwe Fidélia entspinnt.

Selbstironisch und mit leiser Spöttelei nimmt er Alltäglichkeiten in den Blick und legt die ein Leben lang andauernde Erziehung der Gefühle dar. Obwohl alle um ihre "schöne Seele" kämpfen – das Ideal der klassischen Gedämpftheit der Affekte dürfte den deutschen Lesern aus Goethes "Wilhelm Meister" bekannt sein – werden sie immer wieder von den Unwägbarkeiten der Emotionen übermannt. Zunächst ist Aires selbst von den Reizen der jungen Witwe, die sich gegen den Willen ihrer Familie verheiratet hatte und ihren Mann nach kurzer Ehe verlor, in den Bann geschlagen.

Ausgerechnet auf dem Friedhof, wo er gemeinsam mit seiner Schwester Rita die schöne Frau zum ersten Mal erblickt, schließt er eine frivole Wette ab: im Widerstreit mit Rita, die ihn auf die inbrünstige Witwenschaft der Dame aufmerksam macht, setzt er auf die Wiederverheiratung dieses zarten Geschöpfes – er selbst wolle sie ehelichen. Genau das passiert dann zwar nicht, denn der über 60-Jährige muss sich mit den Peinigungen des Alterns auseinandersetzen, aber dennoch wird er zum Wächter und Berater in Liebesdingen.

Den Rahmen der Geschichte bilden die Angelegenheiten des befreundeten Ehepaares Aguiar: die kinderlosen Eheleute sind die Wahleltern von Fidélia und haben einen zweiten Patensohn, der aus Portugal nach Brasilien zurückkehrt und bei ihnen Quartier nimmt. Natürlich kommt es, wie es kommen musste. Das neue Glück wird allerdings durch eine von Machado de Assis äußerst subtile Doppelbödigkeit vermittelt: Ebenso wie um Tugendhaftigkeit und Sittlichkeit geht es auch um Verleugnung und Verstellung. Eingewoben in die moralphilosophischen Überlegungen sind immer wieder Bemerkungen zur politischen Lage Brasiliens und zur Abschaffung der Sklaverei.

"Tagebuch des Abschieds" ist das letzte Buch des großen brasilianischen Romanciers. Es erschien zwei Monate vor seinem Tod im Juli 1908, ist von einer stillen Wehmut durchdrungen und trägt alle Züge eines Alterswerks. Der Verfasser, 1839 in Rio de Janeiro geboren, stammte aus einfachsten Verhältnissen und konnte nur dank seiner Förderer eine Schule besuchen, wo er schon als Heranwachsender mit Gedichten und Aufsätzen auf sich aufmerksam machte.

Machado de Assis, der gleichzeitig als Journalist und Schriftsteller reüssierte und zu Beginn seiner Karriere der Inbegriff eines engagierten Schriftstellers war, gilt als Urheber eines neuen Realismus, der die Romantik überwindet und einen neuartigen ästhetischen Anspruch formuliert. In Anknüpfung an Sterne, Swift und Heine wird die Ironie zu einem zentralen Stilmittel. In vielen seiner großen erzählerischen Werke geht es darum, den schönen Schein kritisch zu analysieren und den menschlichen Schwächen auf die Spur zu kommen. "Tagebuch des Abschieds" besticht vor allem durch seine Atmosphäre. Es passiert nicht viel, aber das auf schönste Weise.

Rezensiert von Maike Albath

Joaquim Maria Machado de Assis, Tagebuch des Abschieds, Roman,
aus dem Portugiesischen übersetzt und herausgegeben von Berthold Zilly, Friedenauer Presse, Berlin 2009, 232 Seiten, 22,50 Euro.