Schreibend töten

Von Maicke Mackerodt · 23.03.2006
Vom 23. bis zum 26. März 2006 treffen sich 100 deutschsprachige Krimiautorinnen und Krimifreundinnen in Köln. Die Mitglieder der "Sisters in Crime" töten ungestraft, denn sie begehen ihre Verbrechen ausschließlich schreibend. Zu den 200 mörderischen Schwestern in Deutschland, Schweiz und Österreich gehört auch die in Köln lebende Mila Lippke.
Mila Lippke "Ich bin sehr naiv ans Schreiben gegangen: Ich habe gedacht, man setzt sich hin und schreibt was runter und dann steht das Buch am Ende. Als ich dann versucht habe, die ersten 20 Seiten nieder zu schreiben, habe ich gemerkt: Oh je, so geht das gar nicht, jetzt musst Du Dein Handwerkzeug auspacken, was Du bei der Soap gelernt hast und musst erst mal richtig plotten, Exposee schreiben und die Szenen richtig aufbauen."

"'Los Polacke! Arbeite!" Einer der deutschen Vorarbeiter (...) brüllte Kolja an. "Schneller! Wird's bald, oder muss ich nachhelfen?" Mit letzter Kraft rammte Kolja den Spaten in die gefrorene Erde. Etwas traf ihn am Rücken.

Lippke: "Ich habe im Rahmen eines Besuchsprogramms von polnischen Zwangsarbeitern in Köln eine Geschichte erfahren. Das war die Liebesgeschichte zwischen einer 16-jährigen Kölnerin und einem polnischen Zwangsarbeiter, die ich so reizvoll fand. Wie kam man in der damaligen Zeit dazu, sich in den Feind, also in den Untermenschen zu verlieben? Wie ist das passiert? Ja, das hat mich nicht mehr losgelassen."

Als Marie in das Gesicht des Polen blickte, erschrak sie. Es war noch jung, doch die dunklen Augen hätten von einem alten Mann, von ihrem Opa sein können. Sie sahen unfassbar traurig aus. Mitleid stieg in ihr auf.

Lippke: "Bei der Recherche habe ich mich auch sehr mit dem Gestapogefängnis in Köln befasst, in dem Kolja gefangen gehalten wird. Für die Szenen bin ich dort hin gefahren und habe mir diesen engen Trakt mit engen Zellen angeguckt, bin bei einer Führung auch in einer ganz winzigen Zelle gewesen, habe die Inschriften gelesen und mich von dieser bedrückenden Atmosphäre inspirieren lassen."

Die in Köln lebende Autorin Mila Lippke ist immer noch ganz überrascht, wie nachhaltig ihr erster Krimi sie beschäftigt hat. Zwei Jahre hat die zierliche, blonde 33-Jährige recherchiert. Neben ihrer Arbeit als Story-Editorin für die RTL-Serie "Unter uns" hat sie mit Zeitzeugen gesprochen, Kleinanzeigen im "Westdeutschen Beobachter" gelesen oder einen ehemaligen Hitler-Jungen interviewt.

Die sorgsam recherchierten Fakten verwendet sie sparsam: Es gelingt ihr, völlig unangestrengt, die Stimmung im Nazi-Köln im Winter 1940 einfühlsam mit einer Krimi-Handlung und einer Liebesgeschichte zu verbinden. Und so ist "Mehr zu fürchten als der Tod" ein lesenswertes Buch geworden. Da sie als Fernsehautorin Teamarbeit gewohnt ist, hat sie sich unmittelbar nach ihrer Buchidee direkt dem Netzwerk "Sisters in Crime" angeschlossen - wozu auch die mörderische Schwester Jutta Wilbertz und ihre Krimichansons gehören:

Lippke: "Es gibt Treffen, wo wir uns einfach auf den neuesten Stand bringen: Also ich bin gerade an dieser Geschichte dran, mein Buch stagniert gerade völlig, dass man überhaupt nicht weiß, ob man nicht das Buch lieber in die Tonne kloppen sollte. Was ist besonders gut finde, dass man nicht schon ein Buch veröffentlicht haben muss, um daran teilzunehmen, sondern dass man auch eintreten kann, wenn man einfach nur Leserin ist. Ich darf auch rumspinnen, dass ich irgendwann mal veröffentliche, Schwestern insofern, weil man sich unterstützt, ich habe es ganz aktiv erfahren, dass ich von Mit-Sistern gefördert worden bin, wie ich aus der Geschichte was Besseres machen kann."

Über 3000 Exemplare sind von ihrem ersten Krimi bisher verkauft worden, was für eine unbekannte Autorin beachtlich ist. Weil die sympathische Theaterwissenschaftlerin mit dem ansteckenden Lächeln vor neun Monaten Mutter geworden ist, hat sie den zeitintensiven Job als Chef-Editorin aufgegeben und erarbeitet nun drei Tage die Woche Konzepte für Action-Filme.

Ein wichtiger Bestandteil für den Erfolg jeder Autorin sind Lesungen, immer wieder Lesungen. Damit die sportlich gekleidete Kölnerin dafür Zeit hat, teilt sie sich die Familienarbeit mit ihrem Lebenspartner, der ebenfalls freiberuflich arbeitet. Die "Sisters in Crime" kombinieren ihre Lesungen - je nach Talent - mit kabarettistischen Einlagen oder mit Musik, wie die Sauerländerin Kathrin Heinrichs, die mit ihrer eigenen Combo "Wildes Holz" auftritt. Mila Lippke wurde sogar in eine Kölner Realschule eingeladen

Lippke: "Ich war völlig baff, das war sensationell, wie ernst die die Figuren genommen haben, also ob die Figuren wirklich existieren würden, die wollten immer wissen, was ist denn aus Hansi geworden und was ist aus Marie und Kolja geworden, als ob es reale Bekannte, Verwandte von mir wären …

Die dann die Originalschauplätze, die unweit ihrer Schule waren abgesucht haben; die das Haus, in dem meine Geschichte zum großen Teil spielt, als Modell nachgebaut haben. Die haben ganz liebevoll im Detail, die Wohnungen sich überlegt, wo wer wohnt, (...) und dann gibt es auf dem Dach den Taubenschlag, mit ganz kleinen Tauben im Fenster; die sich richtig rein begeben haben in die Zeit und die alternative Enden gefunden haben für mein Buch, also es war großartig."

Reich wird man mit Bücherschreiben nicht. Trotzdem hat die quirlige Autorin bereits ihren nächsten Krimi fast fertig. Er erscheint im Mai und spielt in der Weimarer Zeit. Denn es macht ihr Spaß, sich richtig intensiv mit vergangenen Zeiten und widersprüchlichen Figuren zu beschäftigen.

Lippke: "Meine Mutter hätte es am liebsten gesehen, wenn ich einen Doktortitel gemacht hätte, und es war dann erst mit Soap ein bisschen ein Problem, das zu akzeptieren, auch Krimi ist jetzt nicht ganz die hohe Literatur... Mittlerweile ist sie sehr stolz auf das, was ich mache und kann es auch akzeptieren, dass ich nicht ihren Wünschen entsprochen habe."