Schreiben nach Srebrenica

Von Knut Cordsen · 09.07.2005
Zehn Jahre nach dem Massaker von Srebrenica diskutierten in München zehn Autoren aus dem ehemaligen Jugoslawien über ihren Umgang mit der Vergangenheit und ihre heutige Sicht auf den Krieg, der das Leben aller veränderte. Sie erinnerten dabei auch an die Verantwortung der Schriftsteller für die Sprache ihres Landes.
Bora Cosic, der serbische Schriftsteller mit Wohnsitz in Istrien und Berlin, blickt dieser Tage angewidert auf das, was in seiner Heimat passiert. Das Massaker von Srebenica, bei dem vor zehn Jahren mehr als 7000 Menschen von bosnischen Serben unter General Ratko Mladic hingerichtet wurden, wird von der akademischen Elite Belgrads in Frage gestellt. Cosic erzählt, an der Universität hätten unlängst Mitglieder der juristischen Fakultät eine Protestveranstaltung organisiert, der zufolge es Srebrenica nie gegeben haben soll.

Bora Cosic: "Das war eine wirklich große, homogene Gruppe von Studenten, die die Existenz des Massakers von Srebrenica schlichtweg verneinten, das Massaker leugneten; darüber hinaus gibt es viele Menschen, die zwar wissen, dass etwas dort in Srebrenica passiert ist, aber die wollen nicht wissen, wer das gemacht hat, wer die Täter waren, zu dieser Gruppe zählt auch Peter Handke, - eine große Gruppe."

Leider ist das, was Bora Cosic erzählt, kein Einzelfall. Als vor kurzem Fotografien der grausamen Verbrechen in Srebrenica großflächig auf Plakaten gezeigt wurden, verunstalteten überwiegend jugendliche Anhänger der paramilitärischen Einheit der so genannten "Skorpione" diese Fotos und beschmierten sie mit ihren Parolen, Sprüchen, denen zufolge Srebrenica sich jederzeit wieder ereignen könne.

Cosic stöhnt und zitiert aus dem Hamlet: "Reif sein ist alles". Die serbische Jugend aber lasse sich irreleiten. Nicht nur er ist enttäuscht. Auch ein Autor wie Vladimir Arsenijevic fühlt sich zu Boden geworfen, ja geradezu "bombardiert" etwa durch ein Video wie jenes, welches Soldaten drehten und das im Film festhält, wie die Schlächter in Srebrenica männliche Zivilisten töteten. Dieses Video konnte man sich lange ganz legal in der Videothek ausleihen. Vladimir Arsenijevic ist empört.

Vladimir Arsenijevic: "Wir sind ja daran gewöhnt, dass sich die Mörder und Henker frei zwischen uns bewegen. Die Mörder sind unter uns. Dass es sich hier aber um eine Gruppe von Mördern als Exhibitionisten handelt, die ihre Untat auf Video aufgenommen und verteilt haben, das ist schon ein ungewöhnliches Detail und wirft ein besonderes Licht auf die Tat. Indem sie ihr Verbrechen in Umlauf brachten, wurden die Täter zu Schauspielern in ihrem eigenen Snuff-Video."

Folgrichtig hält den Romancier Vladimir Arsenijevic auch nicht mehr viel in Belgrad, in seinem, wie er sagt, "beschissenen, leprösen Land". Eines seiner Bücher hat er gleich "Cloaca maxima" genannt. Er kann jeden verstehen, der abhaut, nach London, Prag oder Mexiko-City. Das Lebensgefühl junger "postjugoslawischer" Künstler sei ein uns völlig fremdes, meint der kroatische Verleger und Übersetzer Nenad Popovic.

"Sie leben in sozusagen historisch-archaischen Formen, die mit dieser Welt Münchens oder der Welt von Amsterdam oder Mailand nichts gemeinsam hat. Sie leben in historischen Katakomben, sie verbringen ihre besten Jahre wie Intellektuelle in den dunkelsten Zeiten der europäischen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts."

Es waren die pessimistischen Stimmen, die düsteren Visionen, die dieses Treffen im Münchner Literaturhaus dominierten. Becque Cufaij, der Kosovo-Albaner, der heute in der Nähe von Stuttgart lebt, sieht den Balkan fallengelassen vom Westen und in Hoffnungslosigkeit versinken. Und Svetlana Broz, die Enkelin Titos, die als Ärztin im Bürgerkrieg Leid lindern half und ein Buch über "Gute Menschen in teuflischen Zeiten" verfasst hat, verkündete auf dem Münchner Podium, das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag, der Prozess gegen Slobodan Milosevic sei eine Farce, solange ein Radovan Karadzic weiterhin frei herum laufen könne.

Schriftsteller seien keine "Amoretten, die über einem barocken Altar schweben und die Welt aus der Höhe betrachten, oft sind sie sehr wohl mit dem politischen Leben verflochten", ergänzte der Slowene Drago Jancar. Er hob in München die Verantwortung jedes Schriftstellers für die Sprache seines Landes hervor. In der Gesellschaft des in viele Zungen zerfallenen ehemaligen Jugoslawien sei die Sprache nämlich verhunzt und instrumentalisiert worden und werde so immer noch missbraucht, wofür nach Drago Jancars Meinung das Bewusstsein fehlt.

Drago Jancar: "Die bleichen Untäter, die heute vor dem Haager Kriegsverbrecher-Tribunal stehen oder sich mit den Video-Aufnahmen ihrer Verbrechen konfrontiert sehen, begreifen vielleicht gar nicht, woher die gefährliche Raserei über sie gekommen ist. Wir, die wir uns mit der Sprache beschäftigen, wissen aber, dass die Ursache hierfür oft die Sprache der Symbole und gefährlichen Metaphern ist. Mit der Sprache, dem Spiel der Symbole werden blutige Taten ausgelöst. Dann ist sie eine verräterische Sprache."

Wohl wegen dieser besonderen Macht der Sprache sieht Dzevad Karahasan ganz unglücklich aus. "Meine Sprache", sagt der Philosoph Dzevad Karahasan, "ist leider nicht allein meine, sondern auch die von Franjo Tudjman und Slobodan Milosevic". Und diese Sprache verhindere, dass über Srebrenica gesprochen werde. Denn über Srebrenica wird in der herrschenden Sprache mit aller Wortgewalt geschwiegen.