Schreiben in alten Gemäuern

Von Gerd Brendel · 05.08.2009
Burgschreiber: Das klingt nach Minnesang, Luther auf der Wartburg oder Feudalherren, die dichtenden Gauklern in ihren Mauern Narrenfreiheit gewähren.
Der Burgschreiber oder die Burgschreiberin von Beeskow bei Frankfurt an der Oder genießt auch ohne ritterliche Protektion diese Freiheit, dank der Förderung durch das Land Brandenburg. Ein halbes Jahr darf er oder sie umsonst in der mittelalterlichen Anlage auf der Spreeinsel wohnen, im - laut Homepage- "schlicht ausgestatteten Schlafraum", im "Burgschreiberstübchen" den Computer benutzen und eintauchen in eine versunkene Welt:

"Beeskow und die Burg würde ich beschreiben damit, dass Beeskow ein sehr hinreißendes mittelalterliches Städtchen ist, dessen mittelalterliche Struktur heute erlebbar und erlaufbar ist."

So schildert "Burgherr" Tilman Schladebach seinen Arbeitsplatz. Er leitet das Kulturzentrum auf dem Burggelände, und war als Mitglied der Burgschreiber-Jury mitverantwortlich für die Vergabe des Stipendiums an die Wahl-Berlinerin Nina Jäckle . Die Schriftstellerin wurde 1966 am anderen Ende der Republik im tiefsten Südwesten in Villingen-Schwenningen geboren. Bevor sie selbst zur Feder griff, ließ sich Jäckle in Paris zur Übersetzerin für französische Literatur ausbilden.

Ihr erster Roman "Noll" über die letzten 24 Stunden eines Krebskranken wurde von der Kritik als "existenzielle Prosa" gelobt. Jäckles zweiter Roman "gleich nebenan" spielt auf dem Land. Es ist die Geschichte einer Dreiecks-Beziehung zwischen der Ich-Erzählerin, ihrem blinden Freund und der Nachbarin.

"Man spricht davon, dass mit uns etwas nicht stimmt, sage ich. Viele im Dorf sind dieser Meinung, mit uns stimmt etwas nicht. Sie erzählen es, während sie in der Bäckerei anstehen, wenn sie auf eine Bekannte treffen, wenn sie mit einer Freundin telefonieren, sage ich, er lacht darüber. So ist das eben. Wir leben auf dem Land, vergiss das nicht, wir alle werden seltsam hier, lacht er."

Dass es dagegen nicht einfach ist, auf dem Land in aller Munde zu sein, wenn man das will, erfuhr Nina Jäckle in ihrer Zeit als Burgschreiberin am eigenen Leib: Eine szenische Lesung im mittelalterlichen Burgsaal wurde verschoben, weil die Veranstalter die Konkurrenz zu einer Brückeneinweihung scheuten.

"Denn das müssen wir natürlich vermeiden, dass wir, entschuldigen sie den Ausdruck, Perlen vor die Säue werfen, in dem wir 50 Meter weiter 'ne Volksfestveranstaltung haben und dann mit unserer wunderbaren Lesung alleine bleiben. Das darf nicht sein."

Die nachgeholte Lese-Aufführung wurde übrigens ein voller Erfolg. "Auch fand er die literarische Sprache sehr schön", zitierte die "märkische Oderzeitung" einen begeisterten Besucher in ihrer Besprechung am nächsten Tag.