Schrei-Training für Metalsänger

Perfekt gebrüllt

Tom Araya, Sänger und Bassist der amerikanischen Metal-Band Slayer
Tom Araya, Sänger und Bassist der amerikanischen Metal-Band Slayer © dpa / picture alliance / Friso Gentsch
Von Matthias Röckl · 20.04.2016
Slayer, Slipknot und viele andere Metal-Bands haben bei Melissa Cross Hilfe gesucht. Die New Yorker Sängerin zeigt den harten Jungs, wie sie auf der Bühne schreien und brüllen, ohne ihre Stimmbänder zu ruinieren.
"Im Grunde funktioniert richtiges Singen immer auf dieselbe Weise – egal ob Oper oder Heavy Metal. Ein Wundermittel, das eine schlechte Technik gut klingen lässt, gibt es nicht. Man muss das lernen, um es richtig zu machen."
Melissa Cross ist eine New Yorker Legende: In ihrem Studio in Manhattan bringt sie Metal- und Hardcore-Sängern die Kunst des Schreiens bei. Gerade zu Gast ist Jeffrey Wellfare, Sänger bei "Capture The Crown".
"Ich habe einfach so mit der Musik angefangen, was sich zuerst auch gut anfühlte. Aber dann kam ich an einen Punkt, an dem meine Stimme begann, kaputt zu gehen. Ich habe sogar Blut gehustet, weil ich zu viel geschrien habe. Weil ich es übertrieben habe."
Melissa Cross sitzt an einem Konzertflügel, auf dem ein großer Computerbildschirm steht. Darauf läuft gerade ein Youtube-Video von Wellfares Band. Die 59-Jährige schüttelt lässig ihre roten Locken zu den Metal-Riffs von Wellfares Song. Gemeinsam gehen sie das Stück durch.

Brüllen ohne Angst

Metal ist pure Emotion. Und Sänger müssen selbst herausfinden, wie sie den richtigen Ton - oder besser gesagt - das perfekt wütende Geschrei treffen.
"Die meisten Kids, die mit dem Schreigesang anfangen, gehen da mit einer Attitüde ran, als wollten sie ihr Zimmer auseinandernehmen. Sie ahmen das nach, was sie schon mal irgendwo gehört haben. Dabei schleicht sich oft eine Wut oder eine Angst ein. Das richtet dann den Schaden an."
Seit drei Jahren gehört Wellfare schon zu Melissas Gesangsschülern. Sie hat ihm die richtige Atemtechnik beigebracht und Tipps, wie man so schreit, dass auch der Text verständlich rüberkommt.
"Es gibt verschiedene Arten zu schreien. Die Variante, bei der man auf einer Note startet, diese dann stimmlich verzerrt und dann wieder auf einer klaren Note endet – die hört sich am schlimmsten an. Ich sage dazu ‚Fry Scream‘. In der Heavy-Metal-Szene verständigen wir uns über solche Begriffe. Ich erzeuge diese Schreie ganz ohne Angst. Mir geht es um das Verstehen der Technik, den Fry-Mechanismus."

Plärren, grunzen, kreischen - mit spezieller Gesangstechnik

Als Vocal-Coach hat Melissa Cross die unterschiedlichsten Screams analysiert: das Plärren, die grunzenden Shouts, das klirrende Kreischen. Anfangs hat die Gesangslehrerin Metalsänger so lange imitiert, bis sie herausfand, wie das mit dem Schreien am besten funktioniert - und zwar, ohne sich dabei die Stimmbänder zu ruinieren.
"Es gibt da noch einen anderen Schrei, der vor allem im Death Metal vorkommt. Ich nenne ihn den Todesschrei. Der kann schnell zu Problemen führen, weil man den Ton lange halten muss und dafür die gesamte Luft aus den Lungen braucht. Dabei kommt man schnell aus der Puste. Also bringe ich den Leuten bei, wie man es richtig macht."
Melissa Cross hat selbst nie in einer Death Metal Band gesungen. Dafür hat sie Theater und Oper studiert. Gewöhnlichen Gesangsunterricht gab sie so lange, bis seines Tages das Telefon klingelte. Es war ein Anruf, der ihr Leben verändert hat:
"Das muss irgendwann in den 90ern gewesen sein. Ein Typ, der gerade Aufnahmen mit irgendwelchen Schrei-Bands machte, hatte ein Problem mit dem Sänger, weil der immer wieder seine Stimme verlor und Blut spuckte. Da hat er mich um Hilfe gebeten. Ich sagte zu, - und heute ist dieser Sänger einer der besten seines Genres."
Und dieser erste Schüler war Jesse Leach von Killswitch Engage. Inzwischen ist Melissa selbst zur Legende geworden, eine Art Vertrauensperson für Metal-, Punk- und Hardcore-Sänger. Zu ihren Kunden gehören Courtney Love, Megadeath und auch Indie-Bands wie Animal Collective. Geholfen hat sie auch Jeffrey Wellfare von Capture the Crown.

"Rock’n’Roll ist cool. Aber wenn man auf lange Sicht Musik machen will, muss man sich mit seinem Körper, seiner Stimme ernsthaft beschäftigen. Denn das ist ein wichtiger Teil deiner Karriere. Wenn du es nicht machst, bist du ein Idiot."
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