Schotter statt Pflanzen vor dem Haus

"Die Negation dessen, was wir als Garten begreifen"

08:36 Minuten
Vorgarten mit Schotter und etwas Grün.
Schotter und etwas Grün: "Der Vorgarten ist die Visitenkarte eines Haushaltes." © zur Verfügung gestellt von Ulf Soltau
17.09.2018
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"Gärten des Grauens" heißt eine Facebook-Seite, auf der Nutzer Bilder von dem hochladen können, was wohl früher ein Garten war, wo aber nun vor allem Schotter ist. Der Biologe Ulf Soltau betreibt die Seite und sagt, die Natur werde da praktisch ausgesperrt.
Ein Garten – das ist, so die Definition im Lexikon, "ein abgegrenztes Stück Land, in dem Pflanzen oder Tiere gepflegt werden". Nur: Auf viele deutsche Gärten trifft das nicht wirklich zu. Da müsste es wohl eher heißen: Ein Garten ist ein Stück Land, in dem Stein und Beton gepflegt werden. Der Trend hierzulande geht zum Schottergarten, zu Steinen statt Grün. "Gärten des Grauens" nennt Ulf Soltau diese Anlagen.
Und unter "Gärten des Grauens" auf Facebook fordert der Diplom-Biologe seit einiger Zeit Menschen dazu auf, Fotos von Schottergärten zu posten. Soltau sagt, ihn würden jeden Tag zehn bis zwanzig Fotos erreichen. Er vermutet, dass der Schottergarten weit verbreitet sei, dass er aber auch eher ein ländliches Phänomen sei – jedenfalls kenne er in Berlin, wo er lebt, kaum solch einen "Garten".
Soltau spricht von der "Negation dessen, was wir als Garten begreifen". Es sei zwar schon immer so gewesen, dass der Garten eine Grenze zur Natur bilde, der Garten ist Kulturraum, aber inzwischen werde die Natur praktisch ausgesperrt, der Schottergarten sei eben auch Negation von Natur.
Soltau vermutet, dass dahinter der Versprechen der Pflegeleichtigkeit steht: Der Schottergarten mache eben keine Arbeit.

Reminiszenz an einen Garten

Allerdings deuteten die Fotos darauf hin, dass der Schottergarten seine Funktion als Garten verloren habe. So sei auffällig, dass auf den Fotos die Rolläden meist herabgelassen seien, die Leute blickten also nicht mehr in den Garten. Außerdem stünden zwar oft Bänke in den Schottergärten, aber das scheine mehr eine Reminiszenz zu sein an Zeiten, in denen man sich noch gerne im Garten aufgehalten habe.
Von Natur könne in den Gärten, die in seiner Facebook-Gruppe gepostet werden, jedenfalls nicht die Rede sein: Er erklärt sich das mit einer gewissen Entfremdung des Menschen von der Natur in den letzten Dekaden. Natur sei immer stärker aus dem öffentlichen Raum herausgedrängt worden, sagt Soltau:
"Naturschutz findet heute in Reservaten statt, in Naturschutzgebieten; die Natur im landwirtschaftlichen Bereich wird zurückgedrängt durch Industrialisierung der Landwirtschaft; aber auch im städtischen Raum wird Natur zusehends durch sogenannte pflegeleichte Flächen ersetzt."
An einer Stelle hat Soltau geschrieben: "Sauberkeit, Ordnung und der Krieg gegen das Unkraut sind nach wie vor Kardinaltugenden des deutschen Privatgärtners. Natur ist und bleibt ein nicht hinzunehmender Störenfried auf heimischer Scholle."
Soltau sagt, das könnte ein Grund sein, er sei aber kein Psychologe. Er regt indes an, einmal zu hinterfragen: "Wie kommt es zu dem übertriebenen Ordnungswahn, der unsere Wohnzimmer eigentlich nie hätte verlassen dürfen?"

Baumärkte sprechen von Outdoor-Wohnzimmern

Baumärkte sprächen inzwischen schon von Outdoor-Wohnzimmern: "Das heißt, wir reden nicht mehr vom Garten, sondern von einem Bereich, den wir natürlich sauber und spinnwebenfrei halten wollen. Und das ist ja nun gegen sämtliche Ökologie, die in einem Garten ursprünglich heimisch ist."
Baumärkte nutzten die entstehende gesellschaftliche Norm à la: "Der Vorgarten ist die Visitenkarte eines Haushaltes und sollte dementsprechend gepflegt aussehen."
Es mag auch sein, dass nachbarschaftlich ein gesellschaftlicher Druck da sei, sagt Soltau: "Es ist auffallend, dass in Siedlungen oder in Reihenhausgärten oftmals ein ähnlicher Stil zufinden ist; dass diese Gärten sich in vielerlei Hinsicht sehr deutlich ähneln" Es gebe eine Normentwicklung, die zu ähnlichen Resultaten führe.

"Terror Gardening Award"

Er versuche das Thema mit Humor zu behandeln und sehe damit auch Erfolge: Erstens stiegen die Abonnentenzahlen auf Facebook, zweitens habe er auch schon Wirkung in der Politik erzielt. So habe Xanten darauf reagiert, dass es einmal nominiert gewesen sei für den monatlich vergebenen "Terror Gardening Award" der Facebook-Seite. Die Stadt habe die Bebauungspläne dahingehend verändert, dass Schottergärten nun unerwünscht sind.
(mf)
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