Schonungsloser Blick auf die dänische Mentalität

10.02.2011
Die dänische Region Südjütland ist für Autor Erling Jepsen nicht verklärte Heimat, sondern ein literarischer Kampfplatz: Sein Protagonist, ein Polizist aus Kopenhagen, muss sich hier mit allerlei Krimal-Katastrophen und grotesken Situationen herumschlagen.
Erling Jepsen ist bekennender Süd(!)jütländer. Doch die dänische Region ist dem 1956 geborenen Autor nicht verklärte Heimat, sondern ein literarischer Kampfplatz. Bereits in seinem Roman "Die Kunst, im Chor zu weinen" (2008) tummelt sich auf dem dänischen Flachland eine illustre Schar seltsam gewaltbereiter Figuren. Zwischen Morgen- und Abendgebet wird geprügelt, vergewaltigt und getötet – doch keine Straftat wird zur Anzeige gebracht. Denn neben dem dänischen Grundgesetz haben die Südjütländer ein anderes, eigenes Recht etabliert, das sich zwischen Selbstjustiz und Verschweigen bewegt.

Protagonist des Romans "Fürchterlich glücklich" ist der 34 Jahre alte Polizist Robert. Aufgrund eines psychologischen Gutachtens wird er von Kopenhagen in die jütländische Provinz versetzt. Die Behörde bescheinigt dem Ordnungshüter berufliche Inkompetenz. Bei einer Razzia in Christiania habe er sich während des Zugriffs im Gebüsch versteckt, die Bankräuber schlichtweg übersehen und während seine Kollegen ihren Rassismus kultivierten, trank er Tee mit den Migranten. Also stellt sich die berechtigte Frage: kann oder will Robert nicht?

In Højer begegnet dem frisch Geschiedenen und von einer neurotischen Mutter im Rollstuhl Gestressten eine Gemeinde, die mit allen Wassern gewaschen ist. Der diensthabende Polizeimeister befindet sich ständig im Tiefschlaf. Während die Straßen zur Mittagszeit menschenleer sind, ist die Kneipe des Ortes randvoll gefüllt, derweil sich der Distriktarzt mit der Dorfnutte vergnügt. Bald überfällt auch Robert eine große Müdigkeit, selbst beim Onanieren kann er das Gähnen kaum unterdrücken.

Doch die Ödnis täuscht. Hinter den Gardinen und den gepflegten Hecken spielen sich Katastrophen ab, um die jeder weiß und in die auch jeder verstrickt ist. Nur ist Robert unfähig, etwas dagegen zu tun. Bei dem Versuch, rechtliche Schritte gegen Ladendiebstahl, Misshandlung oder Mord einzuleiten, wird er selbst zum Täter. Schließlich avanciert er zu einem Polizisten, der seine eigenen Leichen produziert, und der hofft, dass diese bei der von ihm ausgeschriebenen Fahndung unentdeckt bleiben.


Erling Jepsen schafft surreale, groteske Situationen, die von übler Mittäterschaft und Korruption zeugen. Das angrenzende Moor von Højer wird zur Metapher für einen Leichenzug, der weit in die Vergangenheit zurückreicht und seine fröhliche Fortsetzung bereits ankündigt: "Hier ragte noch eine Hand heraus, dort noch ein Fuß, aber das ließ sich jetzt auch nicht mehr ändern."

Jepsens Blick auf die dänische Mentalität in dieser Region ist schonungslos. Sein schwarzer Humor, der alle Texte durchzieht, besitzt einen reizvollen Kippmechanismus: ein befreiendes Lachen bleibt im Halse stecken und muss wieder heruntergeschluckt werden. Das Würgen will kein Ende nehmen!

Besprochen von Carola Wiemers

Erling Jepsen: Fürchterlich glücklich, Roman
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
Suhrkamp Verlag 2010
305 Seiten, 8,90 Euro