Schon wer ein Buch liest, ist verdächtig

Mana Neyestani im Gespräch mit Katrin Heise · 11.04.2011
Der Despotismus hat tiefe Spuren in der Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens hinterlassen, sagt der iranische Karikaturist Mana Neyestani. Die Demokratiebewegung brauche daher viel Zeit.
Katrin Heise: Er gehört zu den wichtigsten politischen Karikaturisten seines Landes, der in Teheran geborene Künstler Mana Neyestani. Einer seiner kritischen Cartoons löste 2006 Straßenschlachten aus, bei denen es Tote und Verletzte gab. Neyestani wurde dafür verantwortlich gemacht und im berüchtigten Evin-Gefängnis inhaftiert. Ihm gelang die Flucht nach Malaysia, politisch hielt er sich dann zeitweise zurück aus Angst vor Auslieferung an den Iran. Inzwischen konnte er durch das Notfallprogramm von "Reporter ohne Grenzen" vor wenigen Wochen ein Stipendium in Frankreich antreten und ich freue mich sehr, dass ich ihn heute hier im Studio begrüßen kann. Ich freue mich, schönen guten Tag, Mana Neyestani!

Mana Neyestani: Ich danke Ihnen sehr, auch Ihnen guten Tag!

Heise: Während Ihrer Zeit, Herr Neyestani, in Malaysia, da mieden Sie anfangs politische Inhalte. Nach den Unruhen in Teheran 2009 allerdings und deren Folgen dann, da sind Sie dann wieder politischer geworden. Kämpfen Sie also sozusagen wieder mit Stift und Humor – denn Karikaturen sind ja auch immer humoristische Sticheleien –, kämpfen Sie so gegen das Regime in Teheran?

Neyestani: Ich bin nicht sicher, dass man meine Arbeit als Kampf bezeichnen könnte, denn das Wort Kampf enthält eine gewisse Portion an Gewalt in sich. Aber in einem Land wie Iran kann man sagen, dass allein das Denken, dass Denken allein irgendwie eine Straftat darstellt und als illegal bezeichnet wird oder auch werden kann. So sind die Situationen in solchen Ländern wie dem Iran.

Heise: Ihre Cartoons werden daher sicherlich von offizieller Seite immer wieder versucht zu verhindern. Welche Bedeutung hat Ihre Arbeit im Iran, wie sehr ist sie im Moment verbreitet, wie viele Leute können sie sehen?

Neyestani: Die Beantwortung dieser Frage fällt mir schwer, denn ich lebe schon seit vier Jahren nicht mehr im Iran. Aber was feststeht, ist, dass meine Karikaturen im Iran in den Zeitungen, in den Magazinen, den Zeitschriften nicht mehr veröffentlicht werden dürfen. Das heißt, diejenigen, die meine Karikaturen erfahren, sind Internetuser und diejenigen, die die Websites lesen und auf sich halten sozusagen.

Heise: Während der Proteste im Jahr 2009 sollen Bilder von Ihnen ja unter den Potestlern kursiert haben. Also das heißt, ich nehme an, dass gerade Menschen, die sich wehren gegen das Regime, Ihre Arbeit für wichtig halten und sie sich anschauen?

Neyestani: Als ich selber diese Arbeiten von mir, also die Karikaturen und andere Zeichnungen, gesehen habe, habe ich mich einerseits natürlich sehr gefreut, andererseits war ich auch erstaunt, dass sie diese Arbeiten kennen und dass das auch als Symbol sozusagen benutzt wurde. Aber ein gewisser Zweifel ist bei mir immer noch da bezogen auf die Frage, wie weit meine Arbeit in die Breite der Bevölkerung sozusagen hineingekommen und -gereicht haben. Aber es hat mich auch gefreut, dass diejenigen, die gegen das Regime protestiert haben, diese Arbeiten sozusagen als Arbeiten, die das, was sie sagen wollten, zum Ausdruck brachten … Das hat mich gefreut.

Heise: Was bedeutet der Iran für Sie? Die Auseinandersetzung mit dem Regime scheint ja nach wie vor die Quelle, oder die Hauptquelle jedenfalls Ihrer Arbeit zu sein, Herr Neyestani.

Neyestani: Ich habe immer an eine demokratische Bewegung im Iran geglaubt. Und diese demokratische Bewegung im Iran hat auch lange vor dieser Demokratiebewegung im Jahre 2009 begonnen. Das war eine Herausforderung, die schon lange vor diesem Zeitpunkt begonnen hat, obgleich man sagen muss, dass dies – also die Bewegung im Jahre 2009 – einen Höhepunkt darstellt.

Heise: Gehören eigentlich politische Anspielungen für Sie in Karikaturen immer hinein, also war es schon immer die Politik, die Sie zum Zeichenstift hat greifen lassen?

Neyestani: Nein, es ist keineswegs so. Im Iran ist es anders als anderswo in europäischen Ländern, wie in Frankreich, Deutschland und anderen. Im Iran reicht es, wenn Sie einfache Dinge machen. Zum Beispiel wenn Sie ein Privatleben haben oder wenn Sie Rockmusik hören wollen oder wenn Sie einen Roman schreiben oder auch lesen wollen. Das sind Sachen, die als eine politische Tätigkeit betrachtet und auch gezählt werden. Das heißt, es ist im Iran die Politik, die wie ein Oktopus ihren Schatten auf alles wirft, und egal, was man tut, in diesem Bereich wird das als eine politische Arbeit, als eine politische Tätigkeit angesehen.

Heise: Das heißt, man hat sich als Künstler, oder man kann sich als Karikaturist eigentlich gar nicht ohne Politik bewegen. Der iranische Karikaturist Mana Neyestani ist im Deutschlandradio Kultur zu Besuch. Die Karikatur, Herr Neyestani, die Sie 2006 ins Gefängnis brachte, stellte einen Jungen dar, der mit einer Kakerlake spricht. Diese Kakerlake fragte zurück: "Wie bitte, hä?" Die Minderheit der Aseri im Iran erkannte in dem verwandten Ausdruck ihre eigene Sprache und fühlte sich dann als Kakerlake bezeichnet, beleidigt. Es kam zu Ausschreitungen, es kam zu Zerstörung, es gab Tote. Sie und der Chefredakteur der Zeitung, die damals diese Karikatur veröffentlichte, Sie wurden verantwortlich gemacht, ins Gefängnis gesteckt. Haben Sie diese Zeichnung bereut?

Neyestani: Die Arbeit, diese Zeichnung damals, wurde völlig missverstanden und so gedeutet, wie ich es gar nicht gemeint hatte. Das war im Rahmen einer Arbeit für Kinder. Das war eine Satire, die sich auch mit Kakerlaken sozusagen befasste, und in dieser Zeichnung waren auch andere Kakerlaken zu sehen, die Persisch sprachen.

Und ich habe niemals daran gedacht, dass die Verwendung dieses Ausdrucks – "namana", das heißt also "wie bitte, hä", zu diesen Missverständnissen führen würde. Denn ich muss sagen, das ist zwar ein Ausdruck in der aserbaidschanischen Sprache, aber das wird auch in der persischen Alltagssprache benutzt. Das heißt, ich bereue die Verwendung dieses Ausdrucks, weil der ja zu diesem Missverständnis geführt hat und dazu, dass diese Folgen dann zu verzeichnen waren. Denn ich möchte niemals ein Teil derjenigen, die ja zu meinen Adressaten gehören, beleidigen.

Aber das führt allerdings, also diese Karikatur, diese Zeichnungen führten allerdings auch dazu, dass ein Teil der iranischen Bevölkerung, also die Ethnien dazu gebracht wurden, ihre Forderungen auch zum Ausdruck zu bringen. Denn es gibt da im Iran viele Ethnien, nicht nur die Asari, die ja turkstämmig sind, sondern auch die Kurden und die Belutschen und so weiter. Und die werden ja immer unterdrückt und deswegen war es auch gut, dass die dazu beigetragen haben, dass zumindest die Asaris in diesem Zusammenhang ihre Forderungen zum Ausdruck bringen konnten und zum Ausdruck gebracht haben.

Jedenfalls, das, was dann die Folge dieser Angelegenheit war, was ja mit meiner Person nichts mehr zu tun hatte, das ist etwas, was mich betrübt, denn ich bin der Meinung, dass, auch wenn das auf der Grundlage eines Missverständnisses passiert ist, diese Minderheit das Recht hat, ihren Protest kundzutun, und die Regierung hatte nicht das Recht, auf diese Menschen zu schießen, also gegen sie mit Gewalt vorzugehen. Man hätte das in einem Dialog machen müssen und in diesem Dialog wären dann auch die Missverständnisse zur Sprache gekommen und man hätte sie bereinigen können.

Heise: Ich würde gerne mit Ihnen noch einen Blick auf aktuelle Ereignisse werfen: Wenn Sie jetzt die Länder Tunesien und Ägypten beobachten, das, was dort an Veränderung geschieht, gibt Ihnen das Hoffnung auch für Ihr eigenes Heimatland, für den Iran?

Neyestani: Also Hoffnung natürlich, aber meiner Ansicht nach ist es zu früh, ein Urteil zu fällen oder Prognosen zu stellen. Die Bewegung, diese Veränderungen in Tunesien, Ägypten und auch in Syrien, die führen dazu, dass man eine gewisse Hoffnung schöpft. Es ist so, dass dort eine Veränderung da sein wird, aber ob diese Veränderung zu einer demokratischen Ordnung führen wird, da bin ich mir noch nicht sicher.

Denn in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, zu denen auch der Iran gehört, ist es so, dass wir eine längere Geschichte des Despotismus haben, und die Menschen haben in ihren Gedanken noch eine gewisse Portion davon, auch wenn sie von Freiheit sprechen und auch wenn sie für Freiheit sich aussprechen. Und damit gehen auch kulturelle Probleme einher. Und deswegen muss man noch abwarten. Deswegen bin ich nicht sicher, ob euphorische Gefühle, euphorische Bewegungen, Revolution und so was, solche Dinge, zu einer tiefen Veränderung der Befindlichkeiten der einzelnen Individuen führen können. Insofern sollte man abwarten, wie ich vorhin sagte. Wie dem auch sei, muss ich sagen, dass ich mich trotzdem über diese Freiheitsbewegung dort freue.

Heise: Sagt Mana Neyestani, iranischer Karikaturist, der seit Jahren im Exil leben muss, dank "Reporter ohne Grenzen" ein Stipendium in Frankreich hat. Herr Neyestani, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute!

Neyestani: Ich danke Ihnen auch sehr, dass Sie mir diese Gelegenheit gegeben haben!

Heise: Vielen Dank auch dem Übersetzer Aboulghasem Zamankhan!
Mehr zum Thema