Scholz für doppelte Staatsangehörigkeit

Olaf Scholz im Gespräch mit Burkhard Birke und Christian Rabhansl · 04.02.2012
Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat einen neuen Anlauf zur Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit gefordert. Wie Scholz im Deutschlandradio Kultur sagte, wäre dies ein Beitrag zur besseren Integration von Ausländern. Ferner sprach sich Scholz für eine Finanztransaktionssteuer aus.
Deutschlandradio Kultur: Herr Scholz, vor einem Jahr haben Sie mit absoluter Mehrheit die Wahlen in Hamburg gewonnen. Nach knapp einem Jahr sind Sie mit 74 % Zustimmung extrem populär. Und Ihre Partei würde sogar mit noch größerer absoluter Mehrheit regieren können, wenn morgen in Hamburg gewählt würde. Verraten Sie uns Ihr Erfolgsrezept?

Olaf Scholz: Es ist schwierig Erfolgsrezepte zu verraten, wo es doch darum geht, das zu tun, was die Bürgerinnen und Bürger sich von den Politikerinnen und Politikern versprechen. Ich habe vor der Wahl gesagt, ich werde nur das versprechen, was ich hinterher auch halten kann. Das haben viele sehr geschätzt. Und die sind, glaube ich, sehr überzeugt davon, dass das jetzt auch geschieht.
Wir haben uns vorgenommen, ordentlich zu regieren, unsere Arbeit zu machen und uns auch nicht allzu sehr treiben zu lassen von den täglichen Aufgeregtheiten. Auch das ist etwas, was viele sich von Verantwortlichen in der Politik wünschen. Und so machen wir das.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind wesentlich beliebter als beispielsweise Ihre Kollegen im Bund. Können Sie denen Tipps geben? Was könnten die tun, um auch so ähnliche Zufriedenheitswerte zu bekommen?

Olaf Scholz: Solche Tipps haben etwas Unhanseatisches. Deshalb halte ich mich da zurück.

Deutschlandradio Kultur: Dennoch hat ja Ihre Partei eine Klausur abgehalten letzte Woche in Potsdam. Und die Strategie ist: Kann man die einfach jetzt so zusammenfassen: Die "Troika gegen Mutti", also gegen Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, als der Mutter der Nation, tritt jetzt eine Troika aus dem Fraktionsvorsitzenden Steinmeier, aus dem ehemaligen Finanzminister Steinbrück und dem Parteivorsitzenden Gabriel an?

Olaf Scholz: Die ganze SPD wirbt dafür, dass wir ein starkes Mandat von den Bürgerinnen und Bürgern bekommen. Da sind wir auch durchaus sehr hoffnungsvoll. Denn tatsächlich hat sich die SPD ja von der schweren Wahlniederlage bei der letzten Bundestagswahl gut erholt. Wir haben nicht die Umfragewerte, die wir uns wünschen, aber doch viel bessere, als viele sie uns zugetraut haben.

Und wir haben seit der Bundestagswahl in vielen Landtagswahlen erfolgreich abgeschnitten, stellen in 9 Ländern den Ministerpräsidenten oder wie in Hamburg den Bürgermeister. Wir regieren die großen Städte dieser Republik und in drei Stadtstaaten – Berlin, Bremen und Hamburg. Wir regieren Hamburg, München, Berlin und Köln. Das sind die ganz großen Städte. Wir sind fast überall dabei und haben gute Aussichten, dass das auch in Schleswig-Holstein und im Saarland klappt. Diese Strecke wollen wir dann zur Bundestagswahl verlängern.

Deutschlandradio Kultur: Am Wochenende im Parteivorstand wurde auch deutlich, zum Beispiel Andrea Nahles sagte, niemand in der SPD-Spitze sehnt sich in die Große Koalition zurück, also, das war eine recht klare Ansage: Wir kämpfen für Rot-Grün. Ist das richtig, sich da so festzulegen?

Olaf Scholz: Die SPD will den Kanzler stellen. Und sie weiß, dass die Partei, mit der es am einfachsten ist, eine Verständigung über gemeinsame politische Ziele herzustellen, die Partei DIE GRÜNEN ist. Insofern ist das die Ansage, die wir miteinander teilen.

Deutschlandradio Kultur: Kann es da sein, dass sie vielleicht sogar auf eine FDP, wenn sie es denn überhaupt noch mal schaffen sollte, 2013 in den Bundestag zu kommen, angewiesen wären, da ja links ausgeschlossen ist ein Bündnis mit der Linkspartei?

Olaf Scholz: Ich kenne eigentlich im Augenblick wenige, die auf eine gute Zukunft für die FDP wetten würden. Die Umfragewerte sind sehr schlecht. Die FDP steht weiter unter der 5-Prozentgrenze. Da muss schon viel passieren, damit sich daran noch mal was ändert.

Deutschlandradio Kultur: Mein Kollege Burkhard Birke sprach gerade schon die Linkspartei an und dieses Ausschließen. Das klang am Wochenende bei Sigmar Gabriel so, er sagte: "Ich bin ganz sicher, dass wir alle in der SPD der Meinung sind, dass man in einer der größten Volkswirtschaften der Welt nicht mit einem Partner regieren kann, der wenig berechenbar ist." Dieses "ich bin ganz sicher" und "ich bin davon überzeugt", das weckt ja beim Zuhörer gerne mal auch so ein bisschen die Skepsis – oh, vielleicht ist er sich doch nicht so sicher. Sagen Sie uns jetzt hier klipp und klar, das wird es nicht geben?

Olaf Scholz: Wir sind alle einig. Und deshalb muss man da gar nichts hinein interpretieren, dass das politische Programm, das die Partei DIE LINKE vertritt, nicht geeignet ist, Deutschland zu regieren. Die haben sich aus der Regierungsfähigkeit selbst heraus bewegt, ja eigentlich nicht mal den Versuch unternommen, in die Nähe zu geraten.

Deutschlandradio Kultur: Das könnte dann aber im Zweifelsfall eine Neuauflage einer Großen Koalition – sogar wieder als Juniorpartner – bedeuten. Denn, Sie haben es eben angesprochen, die Umfragewerte sind noch nicht so gut, sie sind besser, aber sie liegen immer noch 6 bis 8 Prozentpunkte hinter der Union.

Olaf Scholz: Vielleicht sollte ich dann doch noch einen Tipp aus Hamburg geben, nämlich dass man sich nicht so sehr aufhalten soll mit Spekulationen darüber, wer mit wem. Klare Ansagen sind notwendig, wir sagen, wir würden das gerne mit den Grünen machen, sondern damit, worum es eigentlich geht.
Die Bürgerinnen und Bürger wählen eine Partei, weil sie wollen, dass die Politik, die sie vorher versprochen hat, umgesetzt wird, und erwarten, dass man hinterher das auch tut, was man vorher gesagt hat. Darauf kann man sich bei uns verlassen. Und das ist die Klarheit, die jeder erwartet.

Deutschlandradio Kultur: Und was sagt die SPD? Wie wollen Sie sich programmatisch definieren? Mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Wärme, aber wie wollen Sie sich da zwischen Linkspartei und einer immer sozialer werdenden Union abgrenzen?

Olaf Scholz: Die SPD ist eine Partei, die zunächst mal dafür steht, dass das Land gut regiert wird. Das hat was zu tun mit der Frage der Außenpolitik. Das hat etwas zu tun mit Europapolitik, dass man da einen klaren Kurs hat. Das hat etwas zu tun mit der Frage der Haushaltskonsolidierung, wenn es um den Bundeshaushalt geht, und natürlich auch damit, dass wir dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Grundlagen unseres Zusammenlebens erhalten bleiben. Wir müssen jetzt, und da geht es viel zu langsam voran, die beschlossene Energiewende auch umsetzen. Es müssen Leitungen gebaut werden. Es muss der Strom aus der Windenergie On- und Offshore aus verschiedenen Erzeugungsanlagen dorthin kommen, wo er im Westen und Süden der Republik gebraucht wird. Und das ist eine große Herausforderung auch für die Infrastruktur unseres Industrielandes.

Es bedeutet, dass wir uns darum kümmern, dass sowohl die industriellen Strukturen als auch die Qualifikationen der vielen Facharbeiterinnen und Facharbeiter, der Ingenieurinnen und Ingenieure erhalten bleiben und entwickelt werden, damit Deutschland seinen Wohlstand sichern kann.
Und dann geht es auch darum, dass es mit dem Zusammenhalt besser klappt, dass es sozial gerecht zugeht. Das gehört alles zusammen.

Deutschlandradio Kultur: Sie sprachen jetzt mehrere Punkte an, unter anderem die Ökologie. Als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg haben Sie im letzten Jahr den Titel "Umwelthauptstadt Europas" gehabt in Hamburg. Gleichzeitig haben Sie aber dafür gesorgt, dass es keine Umweltzone gibt, keine City-Maut. Sie haben die Startbahn gestoppt. Ist Ihr Herzblut wirklich bei der Ökologie oder ist es ein schönes Etikett, was Sie mitnehmen, aber wenn es um Standort geht, dann zählt doch die Wirtschaft?

Olaf Scholz: Das ist ein falscher Gegensatz. Und vielleicht ist es deshalb auch richtig darauf hinzuweisen, dass Hamburg deshalb im letzten Jahr Umwelthauptstadt Europas war, die zweite überhaupt in der Reihe der Umwelthauptstädte, weil da in den 70er Jahren schon mit angefangen wurde. Hamburg hat einen der ersten Umweltminister der Republik gehabt – viele Jahre, bevor die Bundesrepublik Deutschland überhaupt einen Umweltminister hatte. Und wir haben damals angefangen dafür zu sorgen, dass die in der großen Industriestadt Hamburg, die sie immer noch ist, großen Probleme, die sich aus der Verseuchung von Wasser, von Luft, von Boden ergeben haben, gelöst werden, haben viele Entscheidungen für eine ökologische Politik getroffen. Und das machen wir jetzt auch weiter.

Wir sind gegenwärtig dabei, die Energiewende in Hamburg zu stemmen. Ich habe mit den Versorgungsunternehmen einen Vertrag geschlossen, in dem wir uns an diesen strategisch beteiligen und gleichzeitig sicherstellen, dass zum Beispiel durch den Ausbau von Fernwärme und Kraftwärmekopplung, durch den Einsatz der Windenergie für das Hochtemperatur-Fernwärmenetz mit Wärmespeichern durch Modellvorhaben, wo wir Windenergie umwandeln wollen in Wasserstoff, in Methan, das man nutzen kann, dafür zu sorgen, dass Hamburg weniger CO2 verbraucht und gleichzeitig sicherstellt, dass wir die erneuerbaren Energien als einen wichtigen Bestand unserer Energieversorgungsstruktur nutzen können. Das machen wir.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem haben Sie auch eine Menge verhindert. Ich nenne noch mal die Umweltzone. Oder Sie haben jetzt auch die Energieeffizienz angesprochen. Es gab eigentlich Vorschriften bei der Umwelthauptstadt Europas für die Energieeffizienz von Gebäuden. Das haben Sie runter gefahren. Warum? Wie passt das zusammen?

Olaf Scholz: Zunächst mal ist es so, dass die Umweltzone eine Sache ist, von der alle Fachleute wissen, dass sie keine Auswirkungen auf die Umwelt hat. Das ist etwas, was gern gesagt wird und das auch wahrscheinlich deshalb das sinnfälligste Produkt für ideologischen Umweltschutz, dem es nicht um die Umwelt, sondern um Symbole geht. Tatsächlich müssen wir etwas tun. Das tun wir zum Beispiel durch den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs. Wir werden dafür sorgen, dass wir eine U-Bahn verlängern. Wir werden dafür sorgen, dass eine neue S-Bahnstrecke gebaut wird. Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Busse beschleunigt werden, höhere Kapazitäten bewältigen. Und ich habe mich auch festgelegt: Spätestens ab 2020 werden wir keine Busse mehr anschaffen, die Emissionen haben. Das wird eine erhebliche Reduzierung mit sich bringen.

Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass es Förderprogramme gibt für Gebäudesanierung in großem Umfang. Was wir nicht machen, ist, dass wir bei dem großen Neubau, den die wachsende Stadt Hamburg hat, härtere Vorschriften machen, die dazu führen, dass normale Mieter sich die nicht leisten können. Wir sind eine Stadt, die wächst. Wir haben jetzt in diesem Jahr wahrscheinlich über 1,8 Mio. Einwohner. Es werden 2030 1,9 Millionen vorhergesagt. 10 Jahre sind nicht genug Wohnungen gebaut worden. Das machen wir jetzt mit dem größten Wohnungsbauprogramm Deutschlands.

Deutschlandradio Kultur: Herr Scholz, Sie sind ja einer, der immer für viel Basisdemokratie auch geworben hat, auch als Parteigeneralsekretär. Sind Umweltfragen eigentlich generell geeignet für Plebiszite? Sollte man zum Beispiel jetzt über die Frage eines atomaren Endlagers in Deutschland ein Plebiszit abhalten?

Olaf Scholz: Ich bin für Plebiszite. Dass wir ein Endlager in Deutschland brauchen, steht fest. Wo es hinkommt, das muss in Deutschland noch einmal offen gesucht werden. Diesen Weg versuchen wir gerade mit voranzubringen, dass das auch tatsächlich geschieht und wir dann die fachlich richtige Entscheidung treffen.

Deutschlandradio Kultur: Sie stimmen auch über das neue Wahlprogramm der SPD ab. Wie soll das denn funktionieren? Sollen alle Bürger Deutschlands abstimmen? Soll das Parteivolk abstimmen? Wer soll abstimmen?

Olaf Scholz: Der Bundesparteitag wird über das Wahlprogramm abstimmen irgendwann im nächsten Jahr. Jetzt haben wir einen Prozess, wo wir uns vorgenommen haben, all das, was wir schon an Beschlüssen gefasst haben, einmal verkürzt zu präsentieren und in vielen Runden mit vielen Bürgerinnen und Bürgern, mit Interessengruppen zu diskutieren, daraus neue Impulse aufzunehmen und das in unseren Willensbildungsprozess hin zum Wahlprogramm einzubringen.

Deutschlandradio Kultur: Brauchen wir wieder eine neue Urwahl für etwa den jetzt Kanzlerkandidaten der SPD, wie wir damals die Urwahl zum Parteivorsitzenden hatten, wo es dann Rudolf Scharping wurde?

Olaf Scholz: Es ist möglich, dass man solche Fragestellungen auf diese Art und Weise löst. Das haben wir ja mit unseren Veränderungen im Rahmen der Parteiorganisation jetzt auf dem Bundesparteitag noch einmal vorangebracht. Aber es muss nicht jedes Mal so sein. Wenn es eine große Einigkeit darüber gibt, wer es sein soll, so wird es übrigens in diesem Fall sein, dann ist das natürlich nicht richtig so zu tun, als hätte man eine Wahl.

Deutschlandradio Kultur: Also ist es möglich? Sind Sie persönlich dafür, dass der Kanzlerkandidat gewählt wird?

Olaf Scholz: Die eigentliche Frage ist: Soll es immer eine Urabstimmung geben, wie Sie die eben angesprochen haben? Nein, das glaube ich nicht, sondern dann, wenn sie ansteht, weil es eine Differenz gibt, die auf diese Weise demokratisch entschieden werden kann. Aber ich will ganz klar sagen, ich gehe nicht davon aus, dass wir unterschiedliche Bewerber haben, die dann durch eine Urwahl ausgewählt werden müssen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Scholz, ich möchte ein bisschen das Format unserer Fragen verändern und werde Ihnen Halbsätze hinwerfen mit der Bitte, die zu ergänzen:

Wenn drei sich um die Kanzlerkandidatur streiten, dann...

Olaf Scholz: .. wird es einer von den dreien.

Deutschlandradio Kultur: Nach 10 Jahren im Vorstand der SPD wird es langsam Zeit, dass ich...

Olaf Scholz: ... meine Erfahrungen weiter da einbringe.

Deutschlandradio Kultur: Die Tatsache, dass ich früher Scholzomat betitelt wurde und mir heute sogar Charisma zugesprochen wird, ...

Olaf Scholz: .. ist nett.

Deutschlandradio Kultur: Wenn ich noch einmal Arbeitsminister wäre, dann würde ich...

Olaf Scholz: Jetzt dafür sorgen, dass die Regelungen zur Kurzarbeit, die Deutschland durch die Krise gebracht haben, nicht einfach auslaufen, wie das der Fall ist, sondern dass man das Instrumentarium so erhält, dass wir es in einer möglichen Krise sofort einsetzen können.

Deutschlandradio Kultur: Die Idee, zusammen mit Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern einen Nordstaat zu gründen, ...

Olaf Scholz: ... hieße, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Tatsächlich geht es um enge Zusammenarbeit. Wir müssen im Norden zusammenarbeiten. Wir müssen das auch mit den einzelnen Ländern. Wir haben eine Metropolregion, die durch einen Vertrag zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg jetzt erweitert wird auf fast 5 Mio. Einwohner. Diese Metropolregion Hamburg ist der Raum, in dem wir miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.

Deutschlandradio Kultur: Die Linkspartei wäre im Bund doch ein brauchbarer Koalitionspartner, wenn...

Olaf Scholz: Das ist so weit weg, dass mir nicht einfällt, welche der vielen Voraussetzungen aufgezählt werden müssen. Sie sind es nicht.

Deutschlandradio Kultur: Wegen der Beobachtung von Parlamentariern sollte der Verfassungsschutz...

Olaf Scholz: ... sich doch noch mal ein neues Konzept überlegen. Das ist zu Recht auf Kritik gestoßen, wie das zuletzt gehandhabt worden ist.

Deutschlandradio Kultur: Rechtes und nationales Gedankengut muss überall konsequent ausgeschlossen werden, außer...

Olaf Scholz: ... Ich wüsste jetzt nicht.

Deutschlandradio Kultur: Dann fragen wir nach: Dass die SPD Thilo Sarrazin nach seinen Vererbungsthesen nicht ausgeschlossen hat, das find ich...

Olaf Scholz: Es hat der Parteivorstand, dem ich angehöre, ein Verfahren angestrengt. Dieses Verfahren hat ein Ende gefunden, übrigens auch deshalb, weil klargestellt wurde, dass Herr Sarrazin nicht mehr die These vertreten will, dass die Entwicklungsmöglichkeiten eines Menschen von seiner Herkunft abhängen.

Deutschlandradio Kultur: Ein NPD-Verbot ist sinnvoll und machbar, wenn...

Olaf Scholz: Es ist dringend notwendig. Und es ist deshalb auch jetzt sinnvoll und machbar.

Deutschlandradio Kultur: Wenn mir ein gönnerhafter Freund Geld leihen möchte, dann...

Olaf Scholz: ... nehme ich es nicht.

Deutschlandradio Kultur: Wenn mich die Lufthansa oder Air Berlin upgraden möchten, dann...

Olaf Scholz: Das ist noch nie vorgekommen und es wird auch nicht vorkommen.

Deutschlandradio Kultur: Damit, Sie ahnen es, Herr Scholz, sind wir natürlich beim Thema, was jetzt auch die Öffentlichkeit, auch vor allen Dingen uns Journalisten sehr beschäftigt hat in der jüngeren Vergangenheit, nämlich das Gebaren von Bundespräsident Christian Wulff. Reicht denn das, was bisher bekannt geworden ist, für einen Rücktritt aus? Fordern Sie seinen Rücktritt?

Olaf Scholz: Der Präsident muss selbst dazu beitragen, dass er sein Amt weiter wahrnehmen kann. Das ist die Aufgabe, die jetzt ansteht.

Deutschlandradio Kultur: Macht er das gut?

Olaf Scholz: Es ist seine Aufgabe, die Bedingungen zu schaffen, die es möglich machen, dass jedermann und alle bereit sind zu sagen, er kann dieses Amt mit Würde fortsetzen.

Deutschlandradio Kultur: Macht er das gut?

Olaf Scholz: Wir sind in dieser Debatte, und ich will das einfach mit diesem Satz bei diesem Satz belassen.

Deutschlandradio Kultur: Ich bin hartnäckig: Ist das Amt des Bundespräsidenten beschädigt?

Olaf Scholz: Das Amt des Bundespräsidenten gibt es schon lange und wird es auch noch lange geben. Der jeweilige Amtsinhaber muss dafür Sorge tragen, dass die Bedingungen existieren, die es möglich machen, dieses Amt gut wahrzunehmen.

Deutschlandradio Kultur: Brauchen wir schärfere Spielregeln für das Verhalten von Politikern?

Olaf Scholz: Es gibt eigentlich scharfe Spielregeln. Und deshalb wird ja auch gemeinsam betrachtet: Sind sie eingehalten worden?

Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt gesehen, dass es durchaus teilweise keine scharfen Spielregeln gibt, nämlich wenn es zum Beispiel um das Sponsoring von Veranstaltungen etc. geht. Wäre das nicht eine gute Gelegenheit für die SPD Glaubwürdigkeit zu gewinnen, indem sie sagen, wir stellen für uns neue Regeln auf, die über die gesetzlichen hinausgehen?

Olaf Scholz: Es wird ja der Eindruck erweckt, als ob es keine strikten Regeln gäbe, die beachtet werden. So ist es aber nicht.

Deutschlandradio Kultur: Na, wenn wir zum Beispiel Sponsoring durch Zentis ansehen, dann steht da im Gesetz, dass das legal ist, "sofern es das Regierungshandeln nicht beeinflusst". Und damit scheint die Sache erledigt zu sein. Das reicht Ihnen aus?

Olaf Scholz: Man braucht klare Regeln, die man vorher festlegt und an die sich hinterher gehalten wird. Klar muss für alle immer sein, dass das Handeln von politisch Verantwortlichen nicht durch Sponsoring beeinflusst wird. Wenn das der Fall ist, darf es nicht gemacht werden. Übrigens sollte auch jeder so sensibel sein, es auch dann nicht zu machen, wenn bloß der Eindruck entsteht, dass ein Zusammenhang zwischen dem, was man politisch tut, und dem Sponsoring für öffentliche Auftritte von Ministerien oder anderen stattfindet.

Deutschlandradio Kultur: Themenwechsel: Herr Scholz, Europa durchlebt eine der tiefsten Krisen, der Vertrauenskrisen. Griechenland steht am Abgrund. Sollte man Griechenland einfach Pleite gehen lassen?

Olaf Scholz: Wir sollten dafür Sorge tragen, dass Griechenland eine gute Zukunft hat. Und deshalb bin ich dagegen, dass man so schnöde sagt, die sollen einfach Pleite gehen. Das ist keine gute Idee.

Deutschlandradio Kultur: Sie tragen bislang die Politik der Bundesregierung fast stärker mit als SPD als der Koalitionspartner, der offizielle, die FDP – also doch wieder Große Koalition demnächst, weil das dann eben auch besser klappt?

Olaf Scholz: Ich betrachte mit großem Bedauern, was im Amerikanischen Kongress geschieht, dass sich Regierung und Opposition nicht zusammenraufen können in Fragen von nationaler Bedeutung. Das ist in Deutschland Gott sei Dank anders. Und deshalb wird man sich auch weiter darauf verlassen können, dass die SPD – auch als Partei in der Opposition – im Bundestag das tut, was für Deutschland oder für Europa für die Stabilität unserer Währung oder zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise notwendig ist.

Deutschlandradio Kultur: In diesem Zusammenhang würden Sie dann eventuell auch gegen die Stimmen der FDP mit der Union gemeinsam die Finanztransaktionssteuer im Bundestag verabschieden, wenn das eingereicht würde?

Olaf Scholz: Wir haben uns schon lange für die Finanztransaktionssteuer eingesetzt und sehen mit großem Wohlgefallen, wer alles jetzt auch dafür ist. Deshalb würden wir die Gelegenheit, dass es dazu kommt, nicht an uns vorbeigehen lassen.

Deutschlandradio Kultur: Sollte es das Modell Sarkozy, also eher Börsenumsatzsteuer, was ja auch das Modell Cameron, also das britische ist, sein? Oder sollte es wirklich eine Tobin-Steuer auf alle, also auch auf Derivatgeschäfte, sein?

Olaf Scholz: Unser Vorschlag war immer, das umfassend zu machen, weil wir ja doch verhindern müssen, dass mit der einen Regelung dann Ausweichstrategien verfolgt werden. Und man versucht dann auf eine Art und Weise das Gleiche wie bisher zu machen, aber jenseits des besteuerten Vorgangs. Also, deshalb verfolgen wir schon das Konzept einer umfassenden Finanztransaktionssteuer, die übrigens auch Sinn macht und notwendig ist, damit die Staaten, die ja viele Schulden auf sich genommen haben, um die letzte Währungskrise, die letzte Finanzkrise abzuwettern, die auch wieder abtragen können.

Deutschlandradio Kultur: Bei dieser Frage geht es auch stark um das Gerechtigkeitsempfinden in der Bevölkerung. Und soziale Gerechtigkeit, damit will die SPD ja in den Wahlkampf gehen. Das haben Sie am letzten Sonntag beschlossen. Das ist ein weites Feld – Bildung, Löhne, Sozialsysteme, Steuern. Was ist da der zentrale Punkt für die SPD, soziale Gerechtigkeit?

Olaf Scholz: Wir müssen dafür sorgen, dass der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft funktioniert, dass diejenigen, die über sehr große Handlungsmöglichkeiten verfügen, auch ihren Beitrag dazu leisten, dass unsere Gesellschaft finanziert werden kann.

Deutschlandradio Kultur: Darf ich da kurz nachhaken? Das heißt, dieses Konzept, dass man Kapitalerträge ähnlich hoch besteuert wie persönlich erzieltes Einkommen durch Arbeit, ist das die Stoßrichtung?

Olaf Scholz: Dazu haben wir ja gerade in diese Richtung Beschlüsse gefasst auf dem letzten Parteitag, die auch sehr einvernehmlich formuliert worden sind. Ich glaube, alle haben ein großes Verständnis dafür, dass wir in der gegenwärtigen Situation dazu beitragen müssen, dass zum Beispiel die Staatsschulden nicht immer weiter wachsen, dass wir deshalb auch sicherstellen müssen, dass diejenigen, die dazu in der Lage sind, mit durchaus moderaten Schritten, aber ihren Beitrag leisten und mehr, als das bisher der Fall ist.

Im Übrigen geht es darum, dass wir die Grundlagen unseres Miteinanders gewährleisten. Das Wichtigste ist sicherlich dafür zu sorgen, dass jeder ein eigenständiges unabhängiges Leben führen kann.

Deutschlandradio Kultur: Über einen flächendeckenden Mindestlohn?

Olaf Scholz: Wir haben uns schon lange eingesetzt dafür, dass es in Deutschland mehr Mindestlöhne gibt. Ich bin auch sehr stolz darauf, dass wir in der Zeit, in der ich selber als Bundesminister Verantwortung hatte, den Durchbruch geschafft haben. Die Mindestlöhne kommen Stück für Stück. Und am Ende wird es auch einen flächendeckenden Mindestlohn geben, wie in jeder modernen marktwirtschaftlichen Demokratie.

Deutschlandradio Kultur: Die Union hat das nun schon Stück für Stück ausgeweitet auf immer mehr Branchen und arbeitet jetzt auch mehr und mehr für den Mindestlohn. Wenn die Union das nun noch vor der Wahl vorhat, tragen Sie das mit? Oder wollen Sie das eigentlich lieber für den Wahlkampf aufheben?

Olaf Scholz: Niemals darf man Politik so machen, dass man den Erfolg eines anderen verhindert, damit man ihn sich selbst einheimsen kann. Aber ich bin noch nicht so sicher, dass das jetzt nicht alles noch sehr vorsichtige Manöver sind. Am Ende sind die Beschlüsse, die die Union gefasst hat, noch nicht so, dass das wirklich ein wirksamer flächendeckender Mindestlohn wird, der die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes vor schlimmem Missbrauch beschützt.

Deutschlandradio Kultur: Im Empfinden vieler in der Bevölkerung steht die letzte Regierungsverantwortung für solche Dinge wie Rente mit 67, Minijobs, Zeitarbeit, also Dinge, die als nicht sozial empfunden werden. Gibt es Dinge, die Sie im Nachhinein vielleicht ein bisschen bereuen?

Olaf Scholz: Es ist uns gelungen in den verschiedenen Phasen der Regierungsverantwortung seit 1998 dazu beizutragen, dass viel mehr Menschen in diesem Land Beschäftigung gefunden haben. Wir haben auch den Sozialstaat wieder stabil gemacht. Das heißt ja, dass Einnahmen und Ausgaben zusammenpassen, eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass man auch auf lange Sicht auf den Sozialstaat und seine Funktionsfähigkeit setzen kann.

Gleichzeitig gibt es Sachen, von denen wir finden, dass es da Fehlentwicklungen gibt, die man in Ordnung bringen muss. Der gewaltige Missbrauch der Leiharbeit zum Beispiel, den wir beobachten können, weit über Flexibilitätsnotwendigkeiten für Unternehmen hinaus, muss zurückgedrängt werden. Da haben wir auch sehr präzise Vorstellungen.

Deutschlandradio Kultur: Olaf Scholz, Sie regieren eine Stadt, wo es sehr, sehr viele Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund gibt und auch viele, die keinen deutschen Pass haben. Sollte man diese Leute nun alle mit einem deutschen Pass ausstatten, um sie besser zu integrieren?

Olaf Scholz: Die Zuwanderung in der Welt findet fast überall so statt, dass diejenigen, die ankommen in einem neuen Land, wollen, dass sie einen Arbeitsplatz haben, dass sie eine gute Schule für ihre Kinder bekommen, damit die ihren Platz in der Gesellschaft finden und dass die auch möglichst schnell die Staatsbürgerschaft des Landes erwerben können, in dem sie angekommen sind. Das hat in Deutschland über Jahrzehnte nicht so richtig funktioniert. Und deshalb müssen wir das jetzt ändern.

Ein wichtiger Beitrag war die große Staatsangehörigkeitsreform in der Regierung Schröder. Und jetzt müssen wir dafür sorgen, dass das auch umfassend vollzogen wird. Ich habe mich jedenfalls entschlossen als Hamburger Bürgermeister, diejenigen, die schon lange genug in Deutschland und Hamburg leben, um die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben zu können, anzuschreiben und sie zu bitten, sich für die Staatsbürgerschaft in Deutschland zu entscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Für viele Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, gilt, sie können ihre alte Staatsbürgerschaft behalten. Das gilt für die EU-Länder, aber es gibt auch noch andere Länder, wie zum Beispiel die Schweiz, wo das möglich ist. Das heißt, das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft trifft in Deutschland vor allem zugewanderte Türken. Sollte das geändert werden?

Olaf Scholz: Zunächst mal werbe ich dafür, dass man sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheidet. Wer sich genau genug auskennt, weiß sogar, dass eine mehr ist als zwei, weil man mehr Rechte hat und auch den Schutz des deutschen Staates umfassender in Anspruchnehmen kann. Aber unabhängig davon habe ich immer richtig gefunden, dass wir – wie die meisten Länder – die Mehrstaatlichkeit hinnehmen und es uns vor allem darum geht, dass sich jemand mit dem Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu unserem Land und zu dem Zusammenleben hier bekennt.

Deutschlandradio Kultur: Also, ein klares Bekenntnis für doppelte Staatsbürgerschaft?

Olaf Scholz: Wir haben das mehrfach versucht. Es hat bisher an Gesetzgebungsmehrheiten gefehlt. Aber diesen Versuch, den werden wir wiederholen. Das Dringendste jetzt wäre, dass wir die Pflicht, sich entscheiden zu müssen als junger Mensch zwischen zwei Staatsbürgerschaften, wieder abschaffen. Es ist ja letztes Mal nur gelungen, dass man zwar als Kind von Ausländern, die lange hier leben, wenn man in Deutschland geboren worden ist, die deutsche Staatsbürgerschaft Kraft Geburt erwirbt. Aber es gibt eine Pflicht, sich nach dem 18. Lebensjahr zwischen den beiden, die man dann hat – von den Eltern und Kraft Geburt –, zu entscheiden. Das ist etwas sehr Komisches, und das sollten wir möglichst bald beenden.

Deutschlandradio Kultur: Wir danken recht herzlich für dieses Gespräch.

Olaf Scholz: Dankeschön.
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