Schönheitschirurg über seine Branche

"Die Vorstellungen von Schönheit sind extremer geworden"

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Immer häufiger seien die Wünsche von Kundinnen nicht mehr nachvollziehbar, sagt der plastische Chirurg Volker Rippmann. Teilweise lehne er die Umsetzung ab.
Immer häufiger seien die Wünsche von Patienten nicht mehr nachvollziehbar, sagt der plastische Chirurg Volker Rippmann. Teilweise lehne er die Umsetzung ab. © picture alliance / Zoonar / Max 4e
Volker Rippmann im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 05.06.2020
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Der plastische Chirurg Volker Rippmann hat ein Buch verfasst: "Wahnsinnig schön. Die verrückte Welt der Schönheitschirurgie". Ein Gespräch über sich verändernde Schönheitsideale, die Verantwortung der Branche und irre Anfragen.
Stephan Karkowksy: Ärzte sind in der Regel dazu da, Krankheiten zu diagnostizieren und Patienten wieder gesund zu machen. Was aber diagnostiziert eigentlich ein Schönheitschirurg, und was genau heilt er – das verrät uns der plastische Chirurg Volker Rippmann in seinem neuen Buch "Wahnsinnig schön. Die verrückte Welt der Schönheitschirurgie". Schon das Vorwort hat mich umgehauen. Da kommt eine Patientin, die will sich ihre Brustwarzen entfernen lassen. Warum denn das?

Die Grenzen der Schönheitschirurgie

Rippmann: Sie merken schon, dass wir echt mit teilweise skurrilen Anfragen konfrontiert werden, was auch die Motivation für mich war, so ein Buch zu schreiben, weil ich manchmal gedacht habe, ich lebe in einer Blase und werde mit Dingen konfrontiert, die ich gar nicht mehr selber einsortieren kann.
Die Dame mit den Brustwarzen hatte folgendes Problem: Sie wollte die Brustwarzen entfernen lassen, weil sie sie nicht als schön empfunden hat und weil sie bei ihr manchmal oben aus dem Dekolleté rausgeschaut haben. Und auch den Reiz, die Brustwarzen häufig auf einen selber ausüben, wenn man sie berührt, den wollte sie nicht mehr.
Karkowsky: Haben Sie das gemacht, haben Sie den Auftrag angenommen?
Rippmann: Nein, den habe ich nicht angenommen. Das ist auch ein Thema des Buches, wo setze ich denn da meine Grenzen, und was mache ich? Ich bin zwar nicht der Entscheider, aber bestimmte Dingen – und Brustwarzen haben ja auch ihre Funktion – würde ich nicht machen.
Karkowsky: Eine Menge Dinge sind möglich heute in der plastischen Chirurgie. Welche Eingriffe sind für Sie Routine?
Rippmann: Routine ist alles das, was wir regelmäßig machen. Dazu gehören die klassischen Fettabsaugungen, Oberlid-, Unterlidstraffungen, Bauchdeckenstraffungen, Brustvergrößerungen, Botulinumtoxin oder im Volksmund Botox genannt, Gesichtsaufbau mit Fillern. Das machen wir tagtäglich.
Karkowsky: Ich frage mal ab, wer alles schon bei Ihnen war, und Sie nicken bitte oder schütteln den Kopf. Sophia Wollersheim ist ein bekannter Name. Die hat sich mehrere Rippen entfernen lassen für die perfekte Wespentaille. Popstar Shirin David, die soll rund 33.000 Euro ausgegeben haben für Brüste, Po, Lippen, sagt Ihr Kollege Werner Mang. War die bei Ihnen? Aha.
Jürgen Drews, 75 Jahre und noch immer jung? Gut, kein Kommentar. Da sind wir schon bei der Gretchenfrage: Schönheitschirurgen gelten als besonders verschwiegen, weil die Klientel sich das so wünscht. Was passiert denn, wenn Sie mal eine Kundin auf der Straße treffen, beim Einkaufen oder auf einer Party?

Manchmal trifft man die Patientin wieder

Rippmann: Ja, ganz spannend, da musste ich tatsächlich durch einen Lernprozess gehen, als ich den Beruf angefangen habe. Man startet mit den Patienten, wenn man sie operiert, das ist eine gemeinsame Reise, und man ist ja auch sehr intim. Ich kenne bei vielen Patienten wahrscheinlich mehr Körperstellen als der eigene Ehemann.
Dann trifft man diese Patienten nach einigen Monaten auf irgendeiner Veranstaltung, was hier in Berlin ja durchaus mal passieren kann, und dann ist diese gemeinsame Reise auf einmal vorbei. Die Patienten erkennen einen gar nicht mehr. Am Anfang bin ich dann hingerannt und habe hallo gesagt, aber jetzt halte ich mich eher zurück.
Wenn mein Patient mich selber begrüßen will, dann ist das schön, aber viele, gerade die, die in der Öffentlichkeit stehen, wollen tatsächlich mit Schönheitschirurgen in der Öffentlichkeit selten gesehen werden. Das ändert sich aber bei der jungen Generation. Ich habe jetzt auch schon das Gegenteil erlebt, dass ich auf einer Veranstaltung war und dann von einer Patientin auf die Seite gezogen wurde, die schreit: "Ah, mein Doktor!" Sie hat ein Foto mit mir gemacht und das dann auch entsprechend gepostet. Also die Jungen sind da etwas offener inzwischen.
Karkowsky: Was genau diagnostizieren Sie eigentlich, wenn eine Kundin zu Ihnen kommt, wie ich es bei Ihnen im Buch gelesen habe, und sagt: "Ich hätte gerne Brüste wie Honigmelonen, hier habe ich Ihnen eine mitgebracht, schauen Sie mal?"
Rippmann: Ehrlich gesagt finde ich das gar nicht so schlecht, zumindest scheinen die Patientinnen eine realistische oder zumindest klare Vorstellung zu haben von dem, was sie haben wollen. Skurril wird es ja nur dann, wenn die Wünsche so sind, dass sie nicht mehr nachvollziehbar sind.
Eine Honigmelone könnte von der Größe her auch noch machbar sein. Das ist jetzt eine Größe, die wir auch durchaus machen können. Wenn der Wunsch da ist und die Honigmelone das Vorbild ist für die Brust, dann kann man zumindest versuchen, darauf einzugehen.
Karkowsky: Aber um noch mal auf Ihre Funktion als Arzt zurückzukommen: Haben Sie den Eindruck, Sie heilen auch mit Ihrer Arbeit?

"Wir heilen einen ganz hohen Leidensdruck"

Rippmann: Oh ja. Ich lade jeden gerne mal ein, bei mir eine Sprechstunde zu begleiten. Es wird uns ja häufig vorgeworfen, dass wir uns nur mit Oberflächlichkeiten befassen und im Prinzip nur Dinge machen, die medizinisch gar nicht notwendig sind. Das ist falsch. Gerade wir heilen einen ganz hohen Leidensdruck.
Stellen Sie sich vor, ein junges Mädchen, die Brustentwicklung auf der einen Seite funktioniert nicht richtig, sie hat eine Brustasymmetrie, oder sie entwickelt gar keine Brust, oder auch ein junges Mädchen mit einer großen Höckernase, die jeden Tag die Höckernase in ihrem Spiegel sieht und wirklich darunter leidet - und wenn man sie dann mit relativ einfachen Eingriffen von dem Leid befreien kann, dann ist das eigentlich eine schöne Sache - für den Patienten wie auch für den Arzt.
Karkowsky: Ist denn diese Heilung nachhaltig, oder kommen viele wieder, weil sie dem Drang der Selbstoptimierung nicht widerstehen können und nach der dann geglätteten Nase vielleicht noch andere Dinge entdecken, die sie gerne schöner hätten?
Rippmann: Das gibt es, es gibt unterschiedliche Patienten. Es gibt die Patienten, die ein explizites Problem haben. Höckernase, sonst rundum zufrieden. Wir machen die Höckernase wieder gerade, die Patientin werde ich nie mehr sehen in meinem Leben. Das ist auch das Ziel, das wir eigentlich haben.
Es gibt aber auch die Wiederholungstäter, die immer wieder was machen wollen. Da muss man schauen. Botox muss man sowieso immer spritzen, aber wenn wir merken, dass im Prinzip das Lebensglück darin gesucht wird, einfach immer irgendwas zu verändern, ohne dass es im Prinzip nachvollziehbar ist, das ist, wo wir dann sagen, wir glauben nicht, dass das Lebensglück in einer weiteren Operation liegt. Ein verantwortungsvoller plastischer Chirurg erkennt das auch.
Karkowsky: Ich habe bei Ihnen gelernt, dass die sozialen Medien eine große Rolle spielen für die Selbstoptimierung der gerade jungen Menschen. Wäre es nicht eigentlich billiger, sich bei Instagram tausend neue Follower zu kaufen statt eine neue Nase machen zu lassen?

Der Hintern erlebt eine Renaissance

Rippmann: Weiß ich nicht, was tausend neue Follower kosten, aber in der Tat haben die sozialen Medien unser Geschäft ein bisschen auf den Kopf gedreht. Die Schönheitsvorstellungen sind extremer geworden, weil offensichtlich auf Bildschirmen alles, was extremer ist, was größere Rundungen hat, viel schöner rüberkommt.
Ein runder, knackiger Hintern lässt sich schöner fotografieren als ein flacher. Der Hintern hat eine richtige Renaissance erlebt. Natürlich ist für alle Veränderung spannend. Wenn Sie einen Instagram-Account haben und immer wieder neue Follower generieren wollen, wollen die Follower Veränderung sehen. Eine Motivation von vielen Influencern ist eben auch die ständige Veränderung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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